Der Zusammenbruch der Rüstungskontrolle

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Die – rechtlich an sich nicht vorgesehene – Aussetzung des KSE-Vertrages aus 1990 (A-KSE 1999) durch Russland ist ein weiterer Akt der Aushöhlung der vertraglich geregelten Rüstungskontrolle, nicht aber deren Beginn. Die mühsam, in zähen und langwierigen Verhandlungen erzielten, Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen der vergangenen vier Jahrzehnte brechen schrittweise in sich zusammen.

Der ABM-Vertrag aus 1972, der die USA und die UdSSR daran hinderte, durch flächendeckende Raketenabwehrsysteme die gesicherte Zweitschlagsfähigkeit der anderen Vertragspartei (Mutual Assured Destruction, MAD-Logik) zunichte zu machen, wurde 2001 durch die Bush-43 Administration gekündigt. Nachdem Revisionsverhandlungen des ABM-Vertrages gescheitert waren, wurde diese rechtskonforme Kündigung von der USA als notwendig erachtet, um Forschung, Entwicklung und Stationierung von Komponenten eines Ballistischen Raketenabwehrsystems (Ballistic Missile Defence) zu ermöglichen. Der im Juli 1991 unterzeichnete Vertrag über die Abrüstung strategischer Waffen (START 1) legte die Verringerung strategischer Abschußeinrichtungen (land- und seegestützte Interkontinentalraketen – ICBMs und SLBMs – sowie strategische Bomber) auf 1.600 und die Absenkung der operativen Nuklearsprengköpfe auf 6.000 fest. Dieser Vertrag, der ein umfassendes Verifikationsregime zur Überwachung der Abrüstungsverpflichtungen enthält, läuft 2009 aus. Ein völkerrechtliches Nachfolgeabkommen mit einem ausdifferenzierten Überwachungsregime und weiteren Absenkungen der Abschußvorrichtungen und der Sprengköpfe ist aber äußerst unwahrscheinlich; die Führung der USA ist derzeit daran nicht interessiert.

Bis 2012 schließlich läuft der derzeit letzte Abrüstungsvertrag – der Vertrag über Strategische Offensivwaffen (Moskauer Vertrag) aus 2002 – aus. Dieses Rüstungsabkommen sieht zwar die weitere Abrüstung der Abschußvorrichtungen und der operativen Sprengköpfe auf 1.700-2.200 vor. Deaktivierte Sprengköpfe müssen aber nicht mehr zerstört, sondern dürfen gelagert werden (hedging); sie können daher jederzeit kurzfristig reaktiviert werden. Zudem enthät dieser Vertrag keinerlei Überprüfungsmechanismen. Aus derzeitiger Sicht wird es ab 2013 keinen völkerrechtlichen Vertrag über strategische nukleare Abrüstung mehr geben.

Die Aussetzung des KSE-Vertrages setzt diese Erosion der vertraglichen Rüstungskontrolle nunmehr auch im konventionellen Bereich fort. Die russländische Entscheidung erweist sich nun als langfristige Folge der Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA in 2001 und des seitdem kontinuierlich erfolgenden Ausbaues von Raketenabwehrkomponenten. Nach Fort Greely (Alaska) mit 15 Interzeptoren und dem Luftwaffenstützpunkt in Vandenberg (Kalifornien) mit 2 Interzeptoren ist die Raketenabwehr mit der geplanten Anlage in Polen mit 10 Interzeptoren in eine weitere Ausbaustufe eingetreten. Radarkomponenten – als Raketenfrühwarnsysteme (Ballistic Missile Early Warning Systems (BMEWS) oder als Radaranlagen zur Steuerung der Abfangraketen – finden sich mittlerweile bereits in Thule (Grönland), Clear Airforce Station (Alaska), Vardö (Norwegen), Shemya (Aleuten), Fylingdales (Britannien) und möglicherweise in Jince (Tschechien).

Die Aussetzung des KSE-Vertrages durch Russland wiederum wird kurzfristig nur die Mechanismen zur Überwachung der russländischen Vertragstreue aussetzen; nachdem die Ankündigung erst in 150 Tagen in Kraft treten wird, sind auch noch Verhandlungen zur Beilegung der Krise denkbar. Gelingt dies nicht, ist mittelfristig aber auch eine sektorale konventionelle Aufrüstung Russlands an den Grenzen Polens (Kaliningrad, Aufrüstung der Baltischen Flotte), an der Schwarzmeerküste (Aufrüstung der Schwarzmeerflotte) und im nördlichen Kaukasus erwartbar.

Die eigentliche Gefahr der Erosion des KSE-Vertrages aber ist die mögliche Kündigung des INF-Vertrages aus 1987 durch Russland. Dieser Vertrag hatte damals die völlige Vernichtung der nuklear bestückten Kurz- und Mittelstreckenraketen festgelegt. Der Rückzug Russlands von diesem Abkommen liegt nicht nur im Interesse der russländischen Rüstungsindustrie, sondern wäre eine relativ kostengünstige assymetrische Reaktion Russlands auf die Erweiterung der BMD-Einrichtungen im östlichen Europa.

Die bilaterale vertragliche Rüstungskontrolle steckt damit in einer massiven Krise; vertragliche Rüstungsbegrenzungen im konventionellen und nuklearen Sektor lösen sich auf; ohne rasche und massive Initiativen zu deren Stärkung droht deren Zusammenbruch.

Dieser Kommentar ist am 17. Juli 2007 unter dem Titel ‘Die Gefahr einer Kettenreaktion’ exklusiv in der Tageszeitung ‘Die Presse’ erschienen.

Monopoly on Truth…

censorship.jpgLet me use this blog to complain about the increasingly hostile attitude of the European and US media (and publics) to impartial research on Russia. Current russophobia andRussiabashing in western media makes it increasingly difficult to get the results of serious research onRussiaheard. This is not to complain about lacking access to the media and public visibility; actually it is not a real problem to get your views noticed, but they are immediately denounced as pro-Kremlin and pushed aside; furthermore a lack of visibility would not suffice to write this short blog entry.

What is indeed worrying though is the fact, that meticulous research which aims to provide a balanced, sober and knowledgeable view of both Russian domestic and foreign politcs, which runs counter to the currently accepted views, is increasingly attacked as utterly russophile. This connotation seeks to suggest that our research is not to be sonsidered serious and impartial. Incidents are increasing where critical but balanced research is attributed as Kremlin propaganda. On more than one accession funding for research projects was denied not based on criticsm on the scientific merits of the research proposal but due to an allegedly russophile bias of my work.

This is reminiscent of Cold War days and amounts to a kind of censorship and political denunciation. The Russian research community needs to get increasingly aware of this. There is no more interest in debate and critical thought; assessments seem to be fixed and made usable in political campaigns.

Warnzeichen für die Freiheit

freiheit_frankreich.jpgDie Terrorakte in britischen Städten sind ein weiteres Alarmzeichen für die anhaltende Gefahr, die von totalitären und aggressiven Tätergemeinden für die offenen Gesellschaften liberaler Demokratien ausgeht. Islamistische Gewalttäter zwingen die Führungen unserer Länder, Freiheit durch Sicherheitserfordernisse einzuschnüren. Islamistischer Terror wird dadurch zur doppelten Gefahr: zum einen werden unsere Werte verachtet, der aufklärerisch-humanistische Wertekodex, dessen Erringung mutigen und blutigen Einsatz der Kämpfer für die Moderne und den Säkularismus erfordert hat. Zum anderen untergräbt feindliche Belagerung, Terror, Gewaltbereitschaft und Fanatismus unsere Freiheit, weil sie unsere Staaten zu Überwachung, Restriktion und Kontrolle zwingen, um die Gewalt zurückzudrängen oder zumindest einzuhegen.

Islamistischer Terror wächst innerhalb unserer Gesellschaften (homegrown terrorism) oder wird in unsere Gesellschaft hineingetragen – von Tätern anderer Länder oder durch Islamisten, die von den Schlachtfeldern islamistischer Glaubenskrieger in ihre europäischen Stammländer zurückkehren (flowback terrorism).

Freiheit aber muss verteidigt werden, liberale Werte sind ohne Wehrfähigkeit bedroht. Islamistischer Terror muss unsere Abwehr mobilisieren, Einigkeit und Festigkeit, Beharrlichkeit und Ausdauer. Zurückweichen, Einschüchterung und Nachgiebigkeit sind die falschen Signale. Islamistischer Terrorismus ist zweifelsfrei auch die Reaktion auf ungerechtes und unrichtiges Verhalten unserer Regierungen; aber nicht nur berechtigt dies nicht zur gewalttätigen Abschlachtung unserer Mitbürger, sondern ist ganz sicher nicht der einzige Quell und Begründung der islamistischen Terrortaten.

Freiheit, Gleichberechtigung, Offenheit und Akzeptanz vielfältiger Lebensformen auf dem Boden aufklärerisch-humanistischer Werte – auch wenn sie in unseren Ländern vielfach nur verkümmert eingelöste Wertebindungen sind – sind unteilbar und unveräusserlich. Liberale Demokratien dürfen nicht kapitulieren.

Die polnische Schande

kaczynski_nowy_400_krynicki_prezyde.jpgBeinahe wäre der Reformvertrag der Europäischen Union am Starrsinn, nationalistischer Verirrung und Verblendung der polnischen Verhandler gescheitert. Den Vertrag zu verwässern aber, hat dieses Irresein allemal ausgereicht; der Reformvertrag, wenn er denn überhaupt angenommen werden wird, hat verzerrte Stimmgewichte beibehalten; mindestens ein Jahrzehnt noch wird Polen ein völlig unangemessenes Stimmgewicht erhalten bleiben.

Die polnische Regierung ist der Schandfleck der Europäischen Union. Deren Vertreter stehen längst ausserhalb der aufklärerisch-humanistischen Wertegemeinschaft. Diese Regierung hätte Ächtung, Ausgrenzung und Isolierung verdient, nicht aber einen Kniefall vor der erpresserischen Selbstgerechtigkeit der nationalistischen Brüder.

Die polnische Regierung ist eine katholisch-nationalistische Hetzgemeinschaft. Als Bürger der Union graut mir vor diesen Vertretern frömmlerischer Verbohrtheit. Eine Regierung, die darüber diskutiert, Kafka und Schiller aus den Schulbüchern zu verbannen, hat in Europa nichts verloren. Eine Regierung, die Lehrer entlässt, weil sie Aufklärungsbroschüren des Europarates an den Schulen verteilen, ist gänzlich unannehmbar. Eine Regierung, der mit der ‚Liga der Polnischen Familien’ eine Bande angehört, deren Jugendorganisation ungehindert und unbestraft ‚Schwule ins Gas’ auf Warschauer Straßen grölen darf, beschmutzt europäische Werte. Eine Regierung, die ein Urteil zugunsten einer Frau anfechten will, die in Polen nicht abtreiben konnte, obwohl sie durch die Schwangerschaft beinahe völlig das Augenlicht verloren hat, darf in der EU an keinem Verhandlungstisch mehr auftauchen.

Die polnische Gesellschaft wird diese Flut katholischer Selbstherrlichkeit überstehen; sie stemmt sich ihr entgegen. Wie lange aber müssen wir warten, bis diese Regierung aus ihren Ämtern gejagt wird?

Solange wie es dauern wird, muss die polnische Regierung am Pranger stehen, aber nicht am Gesprächstisch europäischer Politik.

Cartoon by: Artur Krynicki
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Das Radar von Heiligendamm…

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Das Angebot Putins auf dem G-8 Treffen in Heiligendamm, im Bereich der Raketenabwehr (MD) mit der USA zusammenzuarbeiten, hat vor allem politische Absichten, lässt aber eine Vielzahl an militärisch-technischen Fragen offen, an denen das Projekt vermutlich scheitern dürfte.

Putin wollte nach der eskalativ-aggressiven Rhetorik der vergangenen Wochen in Heiligendamm als derjenige auftreten, der konkrete – und scheinbar konstruktive – Lösungsversuche anbietet. Zudem drängt er die USA damit, zu zeigen, wie ernst deren Versprechen, im MD-Bereich mit Russland zusammenzuarbeiten, zu nehmen ist. Nicht zuletzt aber dient diese Offerte auch dazu, die MD-Pläne der USA in Tschechien und Polen zu verzögern; nun, da die russländische Offerte am Tisch liegt, kommen die USA unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck, wenn sie das MD-Projekt in Osteuropa nicht zumindest aussetzen; die USA sieht sich genötigt, den ernsten Willen zu zeigen, das russländische Angebot zu diskutieren.

Die offenen militärisch-technischen Fragen aber sind zahlreich: Die derzeitige russländische Radaranlage (LPAR-Radar, Large-Phased Array Radar) im azerbajdzanischen Qabala mit einer Reichweite von annähernd 6.000 km ist Teil des russländischen Frühwarnsystems. Die 1985 in Betrieb genommene Radaranlage – auf Basis der in den siebziger Jahren entwickelten sowjetischen Radartechnologie – muss dringend modernisiert werden; US-Radartechnologie wäre dazu äusserst willkommen. Zudem könnten damit kostenintensive russische Pläne, ein Ersatzradarsystem im nördlichen Kaukasus zu errichten, vermieden werden.

Auch ist das russländische Qabala-Radar nur eine geleaste azerbajdzanische Anlage, aber kein russländisches Eigentum auf einem offiziellen Militärstützpunkt; dazu könnte der neue Vorschlag aber führen; vor allem aber wäre damit eine langfristige russländische Präsenz in Azerbajdzan garantiert. Offen ist, ob Russland bereit ist, einen solchen Stützpunkt gemeinsam mit der USA zu nutzen, oder lediglich den Zugang von US-Experten zu einer im Kern russländischen Anlage einräumen will.

Ausserdem wäre im Rahmen dieser Initiative möglich, das technisch eingeschränkt nutzbare russländische Radar durch ein modernes X-Band Radar zu ersetzen, das die Qualität der Radarleistung deutlich erhöhen würde.

Das wichtigste aber wäre, dass Russland durch die Verhinderung der Radaranlage im tschechischen Jince sicherstellt, dass der bedrohlichste Aspekt dieses US-Unterfangens – die radargestützte militärische ‚Aushorchung’ Zentralrusslands – vermieden werden kann. Das Qabala-Radar würde nach Süden, nicht aber nach Norden ‚blicken’.

Offen ist aber die entscheidende Frage, ob damit auch die Pläne zur Stationierung von Interzeptoren in Polen hinfällig sind. Die für die Zerstörung feindlicher (iranischer) Raketen in deren mittlerer Flugbahn (midcourse-defence) gedachte Anlage könnte durch eine Raketenbatterie in Azerbajdzan ersetzt werden, die feindliche Raketen in deren Startphase (boost-phase defence) abfängt. Derartige kinetische Interzeptoren wären keine Gefahr für die russländischen Interkontinentalraketen. Putin aber deutete zuletzt an, die Abfangraketen könnten in der Türkei oder seegestützt im Kaspischen Meer stationiert werden.

Das Risiko dieses Vorschlages für Russland aber ist eine deutliche Verschlechterung der Beziehungen zum Iran. Diese wurde ohnehin bereits durch die von Russland ausgesetzte Lieferung nuklearer Brennstäbe an das iranische Nuklearkraftwerk Busher getrübt. Die Errichtung eines hochauflösenden Radars 160 km von der nördlichen Grenze Irans entfernt, wäre für Iran ein militärisch aggressiver Akt.

Der russländische Vorschlag wird in den kommenden Wochen auf politischer und militärisch-technischer Ebene diskutiert werden. Anzunehmen ist, dass dabei die zahlreichen offenen militärisch-technischen Fragen zum Scheitern der Initiative führen werden. Dann aber kann Russland der USA die Schuld daran zuschieben, während letztere wohl versuchen wird, diesen Eindruck zu verschleiern, und das Scheitern auf ‚berechtigte Sorgen’ der azerbajdzanischen Führung zurückzuführen.

Besonnenheit und Geduld

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Das Urteil ist eindeutig: Putin sei eine autokratischer Herrscher, der die demokratischen Institutionen ausgehöhlt und durch ein Netz von Nachrichtendienstoffizieren unterwandert habe. Polizeigewalt, eine willfährige Justiz, die Knebelung der (staatlichen) Medien, die Attacken gegen regierungskritische NGOs, die Marginalisierung des Parlaments seinen Ausdruck dieser autoritären Verhärtung.

Der Befund ist richtig, aber eben doch zu einfach, um der komplexen Verhältnisse in Russland gerecht zu werden. Als Putin die Führung Russlands übernahm, stand das Land vor dem Kollaps seines Finanz- und Bankwesens. Die Bedienung der Schulden war ausgesetzt, die Währung deutlich abgewertet worden. Die soziale Verelendung, die mit den neoliberalen Reformen 1992 eingeleitet wurde, der radikale Bevölkerungsrückgang, der radikale Abfall der Lebenserwartung, die niedrigen Reallöhne, unbezahlte staatliche Transferleistungen hatten das Meinungsbild der russländischen Bevölkerung radikal geprägt. Die Mehrheit der Bevölkerung forderte nicht mehr demokratische Mitbestimmung, sondern starke Führung, Ordnung, Stabilität, Berechenbarkeit und einen bescheidenen Wohlstand.

Zugleich drohte Russland auseinanderzubrechen; das Land hatte aufgehört ein einheitlicher Rechtsraum zu sein. Die meisten Provinzen weigerten sich, föderale Gesetze umzusetzen, billigten Gesetze, die föderalen Rechtsnormen eindeutig widersprachen und die Steuertransfers waren vielfach zusammengebrochen.

An dieser Weggabelung russländischer Politik übernahm mit Putin ein Nachrichtendienstoffizier die Führung, für den die willensstarke Führung entscheidend war. Putin zeigte sich als autoritärer und nationalistischer Modernisierer. Diese Haltung hat Putin eingenommen, weil für ihn allein dadurch eine Rückkehr Russlands zu einer Großmachtrolle – sein eigentliches Ziel – möglich schien. Alles, was sich dieser ‚Mission’ entgegenstellte, auch demokratischer Widerspruch, wurde und wird als Störfaktor angesehen, der beseitigt und ausgeschaltet wurde.

Die russländische Politik ist autoritärer geworden – aber das mit Zustimmung und Zuspruch der Bevölkerung, die wegen der sozialen Verelendung der neunziger Jahre von der Demokratie – oder dem was damals so genannt wurde – enttäuscht ist. Im April 2007 erklärten 71 Prozent der Bürger, das Land brauche eine ‚eiserne Hand’. Das erklärt auch die konstant hohen Zustimmungsrate zu Vladimir Putin. Seit November 2006 liegen diese Raten über 80 Prozent; auch wenn miteinberechnet wird, dass ein Teil davon auf die willfährige Berichterstattung in den staatlichen und staatsnahen Medien zurückzuführen ist, bleibt die Zustimmung außerordentlich hoch.

Ein Grund dafür ist der Umstand, dass das Realeinkommen der Bürger seit dem Amtsantritt Putins deutlich wächst – wenn auch ungleich: Die Ärmsten sind heute weniger arm, die Reichen noch reicher. Dennoch ist der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der Armutsgrenze lebt deutlich zurückgegangen. Die Wirtschaft wächst seit 2000 durchschnittlich um 6.6 Prozent im Jahr. Der Staatshaushalt zeigt nach den chronischen Budgetdefiziten der neunziger Jahre deutliche Überschüsse. Diese lagen 2005 bei 8.2 Prozent des BIP. Die Devisenreserven sind von 12.5 Mrd. USD in 2000 auf 386 Mrd. USD im April 2007 angewachsen. Die Reduktion der hohen Schuldenlast ist ein weiteres Merkmal der russländischen Finanzsituation.

Natürlich ist dies auch auf die hohen Preise für Energieträger und metallurgische Produkte zurückzuführen und auf eine niedrig bewertete russländische Währung in den ersten Jahren der Herrschaft Putins. Dazu kamen aber ein radikal verändertes Steuersystem, neue ordnungspolitische Vorgaben und eine staatliche Investitionspolitik, die den Aufschwung abstützten.

Russland ist heute ein wirtschaftlich und finanziell sehr viel stärkeres Land. Die Führung des Landes stützt sich auf die Zustimmung der Mehrheit der russischen Bürger ab. Aber der Preis dafür ist enorm hoch: Russland ist zu einem autoritären Land mit starken Beschränkungen für demokratische Mitsprache geworden.

Aber wenn dieser Befund der Herrschaft Putins derart gemischt ist, wie soll dann der Umgang mit Russland aussehen? Aufgeregte und aggressive Attacken auf die russische Führung, sind zwar verständlich und an sich angebracht. Diese Funktion sollten die medialen und zivilgesellschaftlichen Akteure in der EU auch wahrnehmen. Auf der staatlichen Ebene ist zwar auch öffentliche Kritik notwendig; aber zielführender ist ein anderer Zugang: Ein kritischer, aber umsichtiger, besonnener und geduldiger Dialog abseits der öffentlichen Bühne ist vorzuziehen. In diesen Monaten entscheidet sich die langfristige Ausgestaltung der Beziehungen zwischen der EU und Russland. Fehler die jetzt gemacht werden, werden langwährende Konsequenzen haben. Umsichtige und verantwortliche Staatskunst ist dieser kritischen Lage angemessen. Ziel europäischer Politik sollte es nicht sein, vorrangig kritische heimische Öffentlichkeiten zu bedienen, sondern das zu tun, von dem zumindest bescheidene Änderungsimpulse zu erwarten sind.

Russland wird ohnehin nicht von außen demokratisiert werden können. Dazu ist die derzeitige Führung zu selbstbewusst und die liberale Opposition in Russland (aus Selbstverschulden) zu schwach. Auch ist die Glaubwürdigkeit europäischer Kritik an der russischen Führung in der russischen Bevölkerung gering; misstrauisch wird beobachtet, wie jene westlichen Staaten, die in den Augen der Bürger Russlands für den wirtschaftlichen Niedergang und die soziale Verelendung ihres Landes verantwortlich waren, nunmehr die russische Führung kritisieren. Die Demokratisierung Russlands steht nicht jetzt an, aber vielleicht für die nächste Generation, wenn eine wohlhabende Mittelschicht, die sich nicht nur auf die großen Städte konzentriert, mehr Mitsprache einfordern wird. Wandel durch wirtschaftliche Verflechtung, Annäherung und einen kritischen Dialog können diesen Prozess beschleunigen.

Dieser Kommentar erschien exklusiv in der Tageszeitung ‘Der Standard’ am 23. Mai 2007.

Orange Pharisäer

timoshenko.jpgIn Kiiv haben die ‚orangen Revolutionäre’ unter der Losung der Rettung der Demokratie zur Rechtsbeugung gegriffen. Die orangen Zeitungsspalten in Kiiv spotten über die alkoholisierten und rückständigen Landsleute, die, in die Hauptstadt gekarrt, eine lächerliche Figur auf dem Majdan abgäben. Dieses selbstgerechte und manichäische Denken, das dem hehren orangen Lager das vermeintlich rückständige der blauen Landsleute entgegenstellt, ist Audruck dieser verzerrten und eingeengten Wahrnehmung, die den Apologeten der orangen Bannerträger eigen ist. Diese ist getragen von der sozialen Arroganz der Kiiver Mittelschicht und voller Ignoranz für das klägliche Scheitern der angeblichen Lichtgestalten der orangen Revolution.

Juščenkos Dekret über die Auflösung der Verchovna Rada ist für nahezu alle nicht-ukrainischen Rechtsexperten eine schwere Beugung, wenn nicht gar ein klarer Bruch der Verfassung. Jene ist völlig deutlich in ihrer taxativen Aufzählung der präsidialen Auflösungsgründe; keiner davon ist gegeben, auch nicht der präsidiale Rekurs auf den angeblichen Rechtsbruch durch die Überläufer aus seinen eigenen Reihen in das Lager der blauen Koalitionäre. Doch selbst wenn man das Auflösungsdekret als verfassungskonform ansieht, steht dem Präsident explizit nicht zu, vorgezogene Wahlen zur Verchovna Rada anzusetzen.

Auch des Präsidenten Verweis auf die angebliche Machtusurpation der blauen Koalition durch das im Jänner angenommene ‚Gesetz über die Regierung’ ist rechtlich umstritten, vor allem aber politisch bizarr, denn dieses Gesetz wurde mit den Abgeordnetenstimmen der organgen Volktribunin Timošenko angenommen – jener heiligen Julia, die nun in Brandreden fordert, die blauen Abgeordneten davonzujagen, mit denen sie doch eben noch gegen Juščenko gestimmt hatte.

Die Majdan-Revolution der frühen Wintertage 2004 hat viele Hoffnungen geweckt – vor allem die nach Freiheit, Würde und Selbstachtung; aber auch die Hoffnung auf eine frische Elite, die das Land mit Entschlossenheit, Mut, Weitsicht und Integrität führt. Die Ikonen dieser mutigen Demonstranten taug(t)en aber kaum, diesen Hoffnungen gerecht zu werden. Präsident Juščenko hatte noch 2001 die Bürger, die gegen die Ermordung des Journalisten Gongadze durch die Henker des Kučma-Regimes (dessen Teil Juščenko ebenso war wie Timošenko) auf die Straße gingen beschimpft und die Gralsfigur Timošenko hatte noch kurz davor mit den Meistern der Bestechlichkeit um P. Lazarenko an ihrem Aufstieg in den Klub der ukrainischen Reichen geschmiedet.

Die neu entdeckte Leidenschaft dieser selbstinszenierten Ikone am sozialen Populismus, den sie in den Regierungsgeschäften deutlich werden liess, hat zu wirtschafts- und finanzpolitisch erratischen Entscheidungen geführt, dem Einbruch der Wachstumsraten des ukrainischen BIP, dem Abzug ausländischer Direktinvestitionen nicht zuletzt aufgrund der rachsüchtigen Rufe Timošenkos nach der Renationalisierung kriminell privatisierter Unternehmer, und einem ausufernden Budgetdefizit. Dies war umso ernüchternder, als zugleich Günstlinge der neuen Führung zu den Gewinnern der eilig angesetzten Reprivatisierungen zählten.

Die post-revolutionäre Regierung ist bald im Strudel von Korruptionsvorwürfen zwischen Timošenko und Juščenko und den Intrigen oranger Oligarchen wie P. Porošenko auseinandergebrochen; die Wahlen zur Verchovna Rada wenig später waren bereits ein bitterer Fingerzeig enttäuschter Bürger; als dann im Machtrausch von Timošenko und Porošenko und dem Zaudern Juščenko’s auch noch die von den Wählern unterstützte orange Mehrheitskoalition scheiterte, was das groteske Finale der verratenen Majdan-Revolution erreicht.

Die Rückkehr der Betrüger, Kleingeister und – nun wieder der blauen – Oligarchen war das bittere Ergebnis der unsäglichen orangen Unfähigkeit. Sie war Ausdruck der an den Ambitionen der Volktribunin und der Entscheidungsschwäche des, durch die Verbrecher des alten Regimes gezeichneten, Präsidenten gescheiterten Majdan-Erhebung. Wenn nun Juščenko zum vermeintlichen Befreiungsschlag ansetzt und gleichsam das orange Scheitern durch einen Handstreich auszumerzen versucht, ist das Risiko enorm, das er damit eingeht. Daran ändert auch nichts, wenn Juščenko nun in geradezu bizarrer religiöser Deutung davon spricht, die (blauen) Pharisäer und Händler aus dem Tempel zu jagen.

Das Urteil des Verfassunsgerichtes, dem die beiden Lager entgegenharren, wird aber kein Richterspruch, sondern ein politischer Spruch sein – wie immer er auch ausfällt. Macht wird in der Ukraine nicht durch Recht eingehegt, das Recht wird durch die Mächtigen zurechtgebogen. Die Gemüter werden sich an diesem Entscheid erhitzen, aber blutige Schrecknisse werden den Majdan nicht entweihen.

Versagen die Richter dem Präsidenten die Gefolgschaft, kann das Land trotzdem noch in eine schlimme Krise stürzen – dann aber mit einem seiner Autorität völlig verlustig gegangenen Präsidenten. Erhält Juščenko aber die Unterstützung der Richtermehrheit, dann wird das Land den Weg der Neuwahlen bestreiten, die bereits jetzt durch Verfahrensmängel angefochten werden könnten. Was aber werden die orangen Lichtgestalten machen, wenn die blauen Koalitionäre an den Wahlen nicht teilnehmen sollten: Werden sie dann in der Verchovna Rrada alleine die Sitzreihen ausfüllen und dabei die West- und Zentralukraine hinter sich wissen? Wo werden sich dann die ostukrainischen Bürger wiederfinden und was wird dann aus der jetzt von Juščenko so salbungsvoll beschworenen Einheit des Landes?

Sollten die blauen Selbstbereicherer, die die sozialen Ängste und Nöte derer, die im verschmutzten und verseuchten Osten des Landes wohnen, schamlos für ihre Zwecke benutzen, aber an dem Wahlgang teilnehmen (was sie aus Machtgier tun werden), ist eine Mehrheit für diese sehr wahrscheinlich. Die Ukraine wäre dann wieder dort, wo sie auch vor zwei Wochen schon war. Das Land wäre damit durch eine nutzlose Verfassungskrise erschüttert und durch das Aufreißen kaum noch verheilter Gräben kein Stück weitergekommen, sondern zurückgeworfen worden.

Wird dann die Rachsucht des blauen Lagers zu einem neuerlichen Machtrausch ausarten, der das Recht beugt und bricht? Was auch immer am Ende dieses Abenteuers stehen mag: Die Bürger der Ukraine werden sich, wie auch jetzt schon, in den Fängen der ukrainischen Elite des orangen und des blauen Lagers wiederfinden, die in ihrer Unfähigkeit, Unentschlossenheit, Verlogenheit und Eitelkeit den Aufbruch des Majdan zunichte gemacht hat; einer Elite, die den Kompromiss vermeidet, aber die völlige Macht anstrebt.Die orangen Ikonen und die blauen Revisionisten – sie taugen alle nicht.

Dieser Beitrag wurde exklusiv publiziert in den ‘Ukraine Analysen’ 22, 2007.