eren keskin und die freiheit des wortes

Der türkische Rechtsstaat hat sein autoritäres Gesicht wieder einmal gezeigt: Eren Keskin, Streiterin für Menschen- und Bürgerrechte, wurde von einem Richter für mehr als ein halbes Jahr zu Kerkerhaft verurteilt. Ihr ‚Verbrechen‘: Keskin hat in einem Gespräch mit dem ‚Tagesspiegel‘ im Jahr 2006 die Stellung des türkischen Militärs in der türkischen Innen- und Außenpolitik kritisiert. Das aber sieht der Richter in einem asiatischen Viertel Istanbuls als ‚Beleidigung des Türkentums‘. Das Strafgesetzbuch der Türkei sieht im § 301 drakonische Strafen vor – bis zu 3 Jahren Gefängnis; also sollte Keskin wohl noch dankbar sein, ob der Milde, die ihr durch das ‚Türkentum‘ zuteil wurde. Freilich ist da noch das Bemühen des Generalstabs der türkischen Streitkräfte, Keskin aus der Rechtsanwaltskammer der Türkei auszuschliessen. Ein Jahr Berufsverbot musste Keskin schon über sich ergehen lassen.

Keskin ist eine Frau, die seit vielen Jahren unerschrocken für Bürgerrechte eintritt – als Anwältin und Humanistin. Sie ist ein weiteres Opfer einer Rechtsordnung, die das Türkentum vor dem freien Wort, der Kritik und demokratischer Teilhabe schütze. Mag es bleiben wo es sei – das Türkentum. In Europa aber, hat es nichts verloren.

Foto: www.medicamondiale.org

Medvedev: An der Leine oder doch am Ruder

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Hölzern wirkt er noch im Umgang mit dem Wahlvolk; der junge Jurist, der sich noch nie um ein Wahlamt bemüht hat, wirkt ungeübt, steif und bisweilen etwas hilflos. Medvedev ist bedachter und besonnener als sein Vorgänger. Die scheue Zaghaftigkeit stört auch nicht wirklich – schon gar nicht in gelenkten Wahlen. Auch wenn seine Ideen und Konzepte dem Wahlvolk kaum bekannt sind, kann Medvedev als moderater und liberaler Reformer gelten.

Sein Regierungsprogramm hat Medvedev vor wenigen Tagen in einer Rede in Krasnojarsk bereits detailliert skizziert. Die weitere Absenkung der Steuerlast, budgetäre Ausgabendisziplin, verstärkter Schutz der Eigentumsrechte durch rechtsstaatlich eingehegte Gerichte zählen zu den wesentlichen Merkmalen seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Aber auch sozial-, bildungs- und gesundheitspolitische Reformen werden seine Präsidentschaft kennzeichnen: ohne verbesserte Ausbildung und medizinische Versorgung, ohne Förderung von Familien mit Kindern wird Russland nicht über eine ausreichende Zahl an gesunden, gut ausgebildeten und innovativen Arbeitskräften verfügen. Diese Reformen kommen ohnehin spät, denn das Land wird bereits in wenigen Jahren mit einem Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften konfrontiert sein.

Außen- und sicherheitspolitisch wird Medvedev kurzfristig keine Akzente setzen. Der Jurist ist darin völlig unerfahren – kaum hilfreich angesichts der gespannten Beziehungen Russlands mit EU und USA. Das überhebliche und aggressive Auftreten Russlands wird sich daher kurzfristig nicht verändern; innovative Elemente sind nicht zu erwarten. Ähnliches gilt für die Außenwirtschafts- und die Energiepolitik. Die aggressive, mehr gewinn- als machtpolitisch motivierte Gasexportpolitik und die fortgesetzte Renationalisierung der Erdölwirtschaft werden anhalten.

Zwei Äußerungen Medvedevs in den letzten Wochen wurden aber kaum registriert: In Krasnojarsk erklärte der Anwärter, zukünftig sollten sich Staatsbeamte aus den Aufsichtsräten der strategischen Industriebetriebe des Landes zurückziehen. Das war eine klare Kampfansage an den radikalen Flügel der Sicherheitsdienste (siloviki); allen voran an das Lager um Igor Sečin, den Aufsichtsratsvorsitzenden des staatlichen Ölunternehmens Rosneft, der auch stv. Leiter des Präsidialamtes ist. Zu diesem Lager gehören auch Viktor Ivanov, Aufsichtsratsvorsitzender beim Rüstungsunternehmen Almaz Antej und bei der staatlichen Fluglinie Aeroflot und Alexander Bastrykin, Aufsichtsratsmitglied bei Rosatom und Leiter der berüchtigten Untersuchungsbehörde der Generalstaatsanwaltschaft.

Medvedev selbst war nie Mitglied der Nachrichtendienste; zu seinen Unterstützern zählen dennoch gemäßigte Mitglieder der siloviki wie der Leiter des Präsidialen Sicherheitsdienstes Zolotov und der Leiter der Drogenkontrollbehörde Čerkessov.

In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Itogi hat Medvedev aber auch mit einer anderen Aussage aufhorchen lassen. Russland werde ohne starke Präsidialmacht zerfallen und es könne nur einen Präsidenten geben – nicht zwei oder drei. Das war eine deutliche Antwort auf eine Bemerkung Putins wenige Tage zuvor; Putin hatte gemeint, zwar sei der Präsident der Hüter der Verfassung, die höchste exekutive Autorität liege aber beim Vorsitzenden der Regierung.

Darin ist bereits die Saat eines Zwistes zwischen Dmitrij Medvedev und seinem Mentor Vladimir Putin angelegt. Sowohl die politische Kultur als auch die verfassungsrechtliche Ordnung kennen nur die monokratische Herrschaftspraxis eines starken Präsidenten. Die Regierung ist dem Präsidenten nachgeordnet; er kann diese jederzeit entlassen, jede ihrer Entscheidungen aufheben und einfachgesetzlich ist auch festgelegt, dass die zentralen Ministerien – Verteidigung, Inneres, Äußeres und die Nachrichtendienste – ausschließlich dem Präsidenten unterstellt und nur diesem berichtspflichtig sind. Die Exekutive ist in Russland damit asymmetrisch angelegt; der Vorsitzende der Regierung ist das deutlich schwächere Verfassungsorgan.

Das aber ist nur ein Grund, warum Putins Entscheidung, in die Regierung zu wechseln, überraschte. Dazu kommt nämlich die politische Asymmetrie der beiden Staatsämter: Es ist der Präsident, der über politischen Einfluss und wirtschaftliche Macht entscheidet. Funktionäre, die derzeit noch Putin ihre Loyalität bezeugen, könnten bald schon in das Lager des neuen Präsidenten wechseln.

Auch wird die neue Regierung Russlands schmerzhafte soziale Strukturreformen vorantreiben müssen: die Freigabe der Gaspreise für die Privathaushalte, die Erhöhung der Preise für kommunale Dienstleistungen (Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Abwasser, Müll) aber auch die Strukturreformen in der Landwirtschaft werden Unmut in der Bevölkerung erzeugen; der Zorn der Bürger trifft aber immer die Regierung, niemals den Präsidenten, der gleichsam unantastbar den Alltagsgeschäften entzogen scheint.

Warum aber ist Putin dennoch geneigt, das Amt des Regierungsvorsitzenden zu übernehmen? Viele Beobachter meinen, Medvedev, der ungelenke Zögling Putins würde sich mit der Rolle als technischer Präsident begnügen und gleichsam in einem historisch einzigartigen Rollenverzicht der faktischen Abwertung des Präsidentenamtes zustimmen. Medvedev aber ist keine willfährige und führungsschwache Persönlichkeit; als Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom hat er dies häufig bewiesen.

Anzunehmen ist vielmehr, dass Putin für eine gewisse Zeit als wachsame graue Eminenz das Ringen um die Macht, das sich in den nächsten Monaten verschärfen wird, zu beobachten. Putins Ziel ist wohl, die Stellung Medvedevs zu stärken; ihn dabei zu unterstützen, die Falken der siloviki einzuhegen und sie an der Obstruktion präsidentieller Entscheidungen zu hindern. Medvedev wird seine Autorität, ähnlich wie Putin in den ersten Monaten seiner Amtszeit, nur langsam entfalten können; dafür braucht er die Unterstützung seines Mentors. Gelingt es Medvedev sich durchzusetzen, ist es wahrscheinlich, dass sich Putin in die zweite Reihe zurückziehen wird. Scheitert Medvedev aber, gelingt es ihm nicht, die Kontrolle über die widerstreitenden Lager zu erlangen, kann Putin als Regierungsvorsitzender intervenieren und die Macht wieder an sich reißen. Ein frühzeitiger Rücktritt Medvedevs wäre dann nicht ausgeschlossen.

Medvedev ist in diesem Ringen aber nicht nur auf Putin angewiesen; zwei Lager formieren sich derzeit, um ihm den Rücken zu stärken. Das sind zum einen die liberalen siloviki, die bereit sind, mit Medvedev eine Zweckkoalition gegen die Falken der Nachrichtendienste einzugehen. Wichtiger aber ist das andere Lager: Gefolgsleute Boris Jelzins kehren an die vorderste Front zurück, allen voran der Direktor des staatlichen

Elektrizitätskonzerns Anatolij Čubajs und der frühere Leiter des Präsidialamtes Aleksandr Vološin. Beide wollen Medvedev unterstützen, aber eben auch steuern.

Das Lager der Getreuen um Medvedev hingegen ist noch klein; dazu gehören vor allem ehemalige Studierende aus Sankt Petersburg: Anton Ivanov, der Vorsitzende des Obersten Schiedsgerichtes und die Verfassungsrichter Sergej Kazancev und Sergej Mavrin. Dazu kommen Mitstreiter aus den Rängen von Gazprom, allen voran Vorstandsmitglied Čujčenko.

Medvedev wird also in den ersten Monaten seiner Amtszeit mit einer unübersichtlichen Lage konfrontiert sein: nachrichtendienstliche Falken, die ihn zu obstruieren versuchen, die Rädelsführer der Raubprivatisierung der neunziger Jahre, in deren Schlepptau sich Oligarchen wie Oleg Deripaska befinden und die liberalen siloviki, für die Vološin und Čubajs aber Erzfeinde sind. Eine riskante Konstellation, in der Medvedev Anleitung und Unterstützung braucht. Vladimir Putin ist bereit, ihm diese zu geben. An den Säuberungen in der Regierung und im Präsidialamt wird zu erkennen sein, wer sich letztlich durchsetzen wird.

Foto: Reuters/RIA Novosti
http://www.minnpost.com/stories/
2007/12/10/315/putin_picks_a_putin_man_as_his_successor

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Nun ist es also wieder so weit: 2 Jahre nach der vorüber- gehenden Absetzung der Neuenfels-Inszenierung der Oper Idomeneo an der Berliner Staatsoper aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde nun auch eine Ausstellung satirischer Plakate der dänischen Kulturgruppe ‘Surrend’ in Berlin Tiergarten abgesetzt – ebenso aufgrund von Sicherheitsbedenken der Veranstalter.

In beiden Fällen waren es nicht die Bedenken von Brandschützern, sondern die Angst vor Gewaltdrohungen von radikalen Islamisten. Neuenfels entfachte den Zorn mit dem Schlussbild abgetrennter Köpfe von Buddha, Jesus und Mohammed. Weder Buddhisten noch Christen antworteten auf diesen künstlerischen Entwurf mit der Androhung von Gewalt, islamistische Verbände aber schon.

Nun wird die Plakatausstellung der Künstlergruppe ‘Surrend’ Opfer religiöser Fanatiker. Ein Bild mit der Kaaba in Mekka, das mit der Losung ‘Dummer Stein’ betitelt war, entfachte den heiligen Zorn der Islamisten. Die Störung der Ausstellung und Gewaltdrohungen zwangen die Veranstalter zur vorübergehenden Schliessung. Neben diesem Plakat hängt ein Bild eines orthodoxen Juden, das mit der Zeile ‘Dummer Hut’ versehen war. Bislang wurden Ausschreitung des Zentralrates der Deutschen Juden noch nicht gemeldet.

Der dänische Karikaturist Westergard – einer der Zeichner der Mohammed-Karikaturen aus 2006 – kann sein Leben nur noch im Untergrund verbringen; das Schicksal Salman Rushdies kennen wir seit mehr als 20 Jahren. Die Androhung von Gewalt soll nun auch unsere Opernhäuser schliessen und unsere Galerien verriegeln lassen. Dieser widerlichen Gewalt, die ausser dumpfen Groll kein Argument hervorzubringen vermag, gilt es zu widerstehen. Die Neuenfels Inszenierung sollte für 20 Jahre am Spielplan bleiben, und Surrend-Plakate im offset-Druck in jeder öffentlichen Einrichtung hängen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Gewaltneigung von Islamisten, die freie Meinung und die freie Kunst einengen.

Ihr könnt ja ruhig beleidigt sein; daran hindert euch ja niemand. Aber schlagt uns bitte nicht die Köpfe ein, nur weil es euch an Argumenten fehlt. Ach ja: Das Beleidigtsein geht uns allen langsam auf die Nerven.

 

Foto: DPA
(http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,538473,00.html)

_feindliche übernahme_

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Maria Böhmer begleitete Tayyip Erdogan nach Ludwigshafen, wo dieser nach den Hetztiraden türkischer Zeitungen der Brandopfer gedenken wollte. Der Beobachter fragt sich, warum denn die Integrationsbeauftragte der deutschen Bundes- regierung sich eines türkischen Ministerpräsidenten annahm; was sollte denn die Botschaft sein? Dass sich die deutsche Regierung ohne Vorliegen eines Brandursachenberichtes bereits schuldbewusst den türkischen Verdächtigungen nach Brandstiftung ergibt und sogleich unterwürfig zu Integration‘ aufruft – so als stünde es bereits fest, dass deutsche Brandstifter das Feuer verursacht hatten, das Feuer Ausdruck der angeblichen Integrationsverweigerung durch die Mehrheitsgesellschaft gewesen sei?

Erdogan nutzte denn auch gleich die ausgestreckte Hand zur generösen Geste: Die ‘Vorfälle’ in Ludwigshafen sollten als ‘Chance für einen neuen Beginn, für einen neuen Frieden’ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Februar 2008) gesehen werden. Warum Neubeginn, warum ein ‘neuer Friede’ zwischen Deutschen und Türken? Hatten denn erstere gerade einen kriegerischen Angriff gestartet?

Als feindliche Übernahme darf es denn auch gelten, wenn Erdogan in Köln eine ethnisch-religiöse Wahlrede hält, so als wäre er der Kanzler einer türkischen Parallelstaatlichkeit. Beachtlich ist auch, dass er Assimilation als ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ bezeichnet. Dies ist nicht nur als solches aberwitzig, sondern gänzlich bizarr angesichts der Tatsache, dass in der Türkei nach dem § 301 des Strafgesetzbuches verurteilt wird, wer an den Genozid der Türken gegen die Armenier 1915 erinnert. Der § 301 erlaubt es grundsätzlich, all jene strafrechtlich zu belangen, die das ‘Türkentum’ beleidigen, was immer dieses auch sein mag.

Integration zu fordern und gleichzeitig vor der angeblich drohenden Assmilation zu warnen, war eine klare Botschaft Erdogans an seine frenetisch jubelnden Zuhörer: ‘Verweigert Integration’! Assimilation wurde geschickt verwoben mit Integration; durch die Kriminalisierung der Assimilation wird diese Bewertung subtil auf die Integration ausgeweitet. Übrig bleibt eine kaum noch verhüllte Ermunterung Erdogans an die türkische Gemeinde, sich der Integration zu verweigern.

Erdogans Rede ist eine Aufforderung zur Verweigerung der Übernahme der Wert- und Staatsordnung der Mehrheitsgesellschaft und ihrer leitkulturellen Identität. Wenn sich deren Wehrhaftigkeit bei derart provokativen Schlüsselereignissen nicht nachdrücklich zeigt, ebnet sie der feindlichen Übernahme den Weg.

Parallelstaatlichkeiten und abgeschlossene Parallelgesell- schaften mit archaischen sozialen und/oder religiös motivierten Wertekodices und Verhaltenspraktiken sind unzumutbar und durchbrechen die demokratisch notwendige Einigkeit einer Gesellschaft auf einem gemeinsamen Kernwerteboden. Aber ist die Forderung nach diesem Grundwertekonsens denn bereits die Forderung nach Assimilation und damit verwerflich?

Der stv. Generalsekretär der islamischen Organisation Milli Görüs, Mustafa Yeneroglu, scheint diesen Kernwertekonsens – laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung, 12. Februar 2008 – denn auch zu ignorieren: ‚Es gibt in Deutschland Religionsfreiheit, ihr ist in Gewissensfragen Rechnung zu tragen‘ und meint damit, dass es zulässig sein soll, unter Berufung auf religiöse Überzeugungen getrennten Schwimmunterricht für Jungen und Mädchen einzufordern und andere geschlechtersegregierende Verhaltensweisen anzumahnen. Allerdings meinte in diesem Land auch van der Bellen, nichts gegen getrennten Schwimmunterricht für Buben und Mädchen zu haben.

Letztlich ist es in den Augen der multikulturalistischen Bannerträger aber doch ohnehin die Schuld der Mehrheitsgesellschaft, dass zahlreiche türkische und islamische Einwanderer nicht bereit sind, sich auf der Grundlage eines Kernwertekonsenses zu integrieren. Der Abgeordnete der deutschen Grünen im Europäischen Parlament meint denn auch, der starke Zuspruch der Türken zu Erdogan in Köln sei dadurch zu erklären, dass sich diese Menschen von den deutschen Politikern alleine gelassen fühlten. Wir sollten uns also alle schrecklich lieb haben und uns umarmen ….

 

PS: Dem Vernehmen nach bemüht sich eine diplomatische Vertretung der Türkei derzeit auch, in die Lehrinhalte einer österreichischen Universität einzugreifen.

 

 

Foto: BBC, http://news.bbc.co.uk/2/hi/in_pictures/6911184.stm

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_political_statements_: wenn Heiliges Unheil bringt

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Respekt, vor dem was heilig ist, verlangt Kardinal Schönborn. Es ist gut, wenn der Hirte zu seinen Schafen spricht, denn nur die sind es, die diesselben Dinge als heilig ansehen (sollten), wie er selbst. Den Anderen, vor allem denen, die ohne religiöses Bekenntnis sind, ist es völlig gleichgültig, was anderen heilig ist und sie entscheiden selbst, was Respekt erheischen darf und wem Respekt zu erweisen ist. Jeder hat das Recht, für heilig zu erklären, was ihm beliebt. Kein anderer kann aber gezwungen werden, diese Festlegung von Heiligem auch zu akzeptieren. Der Anspruch von Kirchen auf die Unantastbarkeit ihres Glaubens, ihrer religiösen Symbole und ihrer öffentlichen Präsenz kann durchaus missachtet werden. Nichts kann sich der Kritik entziehen, auch nicht, wenn sich Akteure ausbedingen, gerade ihre Überzeugungen als heilig und damit als unantastbar zu definieren. Vieles mag geschmacklos sein – aber über Jesus zu lästern, die jungfräuliche Empfängnis für ein Märchen zu halten, Mohammed zu zeichnen, sich über Burkas lustig machen, orthodoxe Patriarchen zu beschimpfen, am Shabbat zu arbeiten und die Oper Idomeneo bis zu ihrem (bitteren) Ende anzusehen, auch wenn sie von Neuenfels inszeniert wird, ist in einer säkularen demokratischen Ordnung ein unbestreitbares Recht. Auch die Geschmacklosigkeit darf ihr Recht einfordern, auch wenn der Geschmacklose dann auch bereit sein muss, sich einer öffentlichen Debatte zu stellen – ohne Strafgesetzbuch und heilige Bücher.

Hinter den säkularen Staat lassen wir uns nicht zurückbeten – nicht von anglikanischen Sharianisten, von islamistischen Hasspredigern oder katholischen Redemptoristenpatern. Die Resakralisierung des öffentlichen Raumes ist unzumutbar – auch wenn sich eine Zweckkoalition von Katholiken, Protestanten und Muslimen vehement dafür einzusetzen beginnt. Wehret den Anfängen, denn was den Einen heilig ist, muss den Anderen gleichgültig sein dürfen.

Ceterum Censeo: Tayyip Erdogan war dieser Tage in Ludwigshafen, wo in einer schrecklichen Brandtragödie zahlreiche alevitische Bewohner umgekommen sind. Die Türkei hat auch eigene Ermittler an den Brandort entsandt, um ein rechtsstaatlich einwandfreies Untersuchungsverfahren sicherzustellen. Nun, was immer die Türkei in rechtsstaatlichen Fragen beitragen kann – Erdogan könnte nach seiner Rückkehr in die Türkei auch die zentralanatolische Stadt Sivas besuchen, wo 1993 zahlreiche alevitische Künstler von einem fanatischen Mob verbrannt wurden.

Foto: Schlussszene in der Neuenfels-Inszenierung von ‘Idomeneo’ an der Deutschen Oper in Berlin, 2006.

http://operachic.typepad.com/opera_chic/idomeneo/index.html

Commemorating Hrant Dink

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In memory of Hrant Dink, killed in January 2007 in Istanbul (Turkey). Hrant Dink, born in 1954, was a journalist, member of the editorial team of the bilingual weekly Agos. Dink worked with Agos from 1996 till the day he was shot.

According to a report on telegraph.co.uk.posted on January 21st, 2007: “Eyewitnesses said the assailant was a teenager wearing a white cap and jeans. “He shouted ‘I shot the infidel’ as he ran away,” said Muharrem Gozutok, a restaurant owner.” (Source: http://www.telegraph.co.uk). On October 7, 2005 Hrant Dink had been convicted under article 301 of the Turkish penal code, which deal with insulting ‘Turkishness’.

Read more on Amnesty International’s report on Turkey.

Source of picture of Hrant Dink: http://www.armeniapedia.org

Die Rationalität iranischen Erdgases

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Investitionen der OMV in den iranischen Gassektor sind aus mehreren Gründen sinnvoll. Die Beteiligung an der Entwicklung von Phase 12 des South Pars Gas Field, Investitionen in die Flüssiggasproduktion (LNG) sowie Bezugsverträge von iranischem LNG, das über einen geplanten Regasifizierungsterminal in Kroatien leitungsgebunden nach Zentraleuropa transportiert werden kann, ist aus der Sicht verstärkter Energiesicherheit höchst wünschenswert. Angesichts des wachsenden Erdgasbedarfes der EU-27 und abnehmender interner Fördermengen steigen die Importvolumina. Im Hinblick auf den nahöstlichen Raum ist zum einen der Zugriff auf LNG aus Iran, derzeit v.a. aber aus Qatar, ein wesentliches Element der Bezugsdiversifikation.

Zum anderen ist der Zugriff auf iranisches Gas für die Rentabilität des Erdgaspipelineprojektes ‚Nabucco‘ von elementarer Bedeutung. Der erforderliche Gasdurchsatz von 31 Mrd. m3 kann auf absehbare Zeit nicht ausschließlich durch azerbajdžanisches Erdgas gedeckt werden und der Zugriff auf turkmenisches Erdgas ist unsicher. Die Gasreserven Irans sind daher nicht nur aus unternehmenswirtschaftlichen Interessen, sondern auch aus Gründen der Energiesicherheit unverzichtbarer. Die Versorger- und die Routendiversifikation sind zentraler Bestandteil zur Stärkung der Energiesicherheit der EU-27.

Ist die Zusammenarbeit im Gassektor mit dem Iran angesichts seiner Herrschaftswirklichkeit aber ethisch zulässig? Zunächst ist hier anzumerken, dass die Energieversorgung der EU-27 die Zusammenarbeit mit vielen autoritären Regimen erfordert – von Saudi Arabien und anderen Golfstaaten über Algerien, Libyen und Russland bis Nigeria. Iran ist damit kein Einzelfall.

Zudem ist festzuhalten, dass die EU-27 – im konkreten Fall die OMV – nicht der alleinige Interessent für iranische Gasreserven, die immerhin 16 Prozent der globalen gesicherten Reserven ausmachen, sind. Der chinesische Zugriff auf und das indische, aber auch das pakistanische Interesse an den iranischen Gasreserven ist enorm. Teilt man die Annahme, dass die Gaszusammenarbeit die Stabilität des iranischen Regimes befördere, so wären mögliche Investitionen der OMV im Iran ein Baustein in einem globalen Investitionsmuster in den iranischen Erdgassektor; ein Verzicht der OMV auf Gaszugriff im Iran würde den Raum aber noch mehr für chinesische und indische Interessen öffnen.

Ausländische Direktinvestitionen in strategische Sektoren der iranischen Volkswirtschaft können mittelbar regimestabilisierend sein. Das trifft aber nicht nur auf den Iran zu, sondern auf eine Mehrheit der Staaten, mit denen die EU-27 im Energiesektor zusammenarbeiten. Den ethischen Gehalt dieser Verflechtungen zu diskutieren ist so legitim, wie die Betonung wechselseitiger Interessen. Das eine ist über das andere nicht erhaben.

Ist das iranische Regime aber ein Sonderfall, der andere Regeln erforderte? Zunächst ist hier festzuhalten, dass die Kritiker der OMV vorwerfen, das multi- (VN) und bilaterale (USA) Sanktionsregime gegen Iran zu unterlaufen. Wenn aber dieser Vorwurf gerade von philoisraelischen Organisationen erhoben wird, dann liegt dem logisch zugrunde, dass Sanktionen also taugliche Mittel sind, um das Innen- und Außenverhalten des Iran zu beeinflussen. Iran, das auf ausländische Kapital- und Expertiseinvestitionen elementar angewiesen ist, ist tatsächlich grundsätzlich verletzlich. Dies ist geradezu die Voraussetzung für die Wirksamkeit von Sanktionen. Sanktionen machen nur Sinn, wenn Regime verletzlich sind und als rationale Akteure derartige Kosten vermeiden wollen. Abhängigkeiten zwingen Regime daher dazu, die Kosten des eigenen Verhaltens abzuwägen.

Hier nun setzt der logische oder ideologische Widerspruch der Iranhasser‘ ein, wenn sie den iranischen Führungseliten Willen oder gar Fähigkeit zu rationalen Kostenkalkulationen absprechen. Wenn das iranische Regime rational genug ist, auf äußere Sanktionen zu reagieren, Kosten wahrzunehmen, dann ist diese Rationalität unteilbar. Dann muss dem iranischen Regime auch zugebilligt werden, sein Verhalten in der nahöstlichen Region rational zu steuern.

Das aber billigt die philoisraelitische Gemeinde der ‚Antideutschen‘ der iranischen Führung nicht zu. Als Zeichen des irrationalen Herrschaftscharakters werden dabei immer wieder die rhetorischen Eskalationen eines Mitglieds der verflochtenen multiplen Entscheidungszentralen – des Präsidenten Ahmadi-nejad – angeführt. Brandreden, die v.a. eine Binnenwirkung haben , der Absicherung Ahmadi-nejads gegenüber rivalisierenden Akteuren in der iranischen Führung durch emotionale Apelle an die iranische Gesellschaft dienen, sind aber kein zuverlässiger Indikator für die Bewertung der Handlungs- und Interessenprofile des Iran.

Den sich in logische Widersprüche verhedderten anti-deutschen Ideologen kann mit Verweis eine implizite Kernaussage der National Intelligence Estimate/2007 geholfen werden. Die NIE geht davon aus, dass Iran tatsächlich als rationaler Akteur anzusehen ist, der auf äußeren Druck – mit dem Abbruch des atomaren Waffenprogramms 2003 – reagiert. Rationale Akteure ergreifen aber keine irrationalen Ziele, die ihre eigene Existenz gefährden.

Dieser Rationalitätsvorbehalt ist insbesondere auf eine mögliche nukleare Bewaffnung Irans anzuwenden: selbst wenn Iran die nukleare Option erwerben oder sogar in der Lage wäre, Trägersysteme nuklear zu bestücken, wäre deren Einsatz aber irrational, auch und gerade gegen Israel. Irrational, weil die Zweitschlagsfähigkeit Israels direkt und indirekt nicht ausschaltbar ist und einen rational agierenden Iran ausreichend abschreckt. Auch die vielfach zitierte Erpressbarkeit Israels durch einen angedrohten nuklearen Schlag des Iran ist nicht gegeben, da auch in diesem Szenario die Abschreckungslogik greift.

Die organisierten Iran-Kritiker müssen sich daher endlich entscheiden: ist denn Iran nun ein rationaler Akteur, der durch Sanktionen unter Druck setzbar ist? Oder ist er ein irrationaler
Akteur, der nukleare Waffen auch um den Preis der Selbstvernichtung gegen Israel einsetzen wird?

Wer die OMV wegen des angeblichen Unterlaufen des Sanktionsregimes gegen Iran kritisiert, geht daher logisch wohl vom Iran als rationalen Akteur aus. Dann ist Iran aber kein Sonderfall, sondern ist wie andere autoritäre Regime auch zu bewerten, mit denen Energiezusammenarbeit Sinn macht. Darum darf diese unternehmerische Investitionsfreiheit auch für die OMV gelten, zumal dadurch ein Kerninteresse der EU-27 – die Energiesicherheit – befördert wird.

Dieser Kommentar ist am 22. Dezember 2007 in der Tageszeitung ‘Die Presse’ erschienen.

Foto: nebuchadnezzarwoollyd.blogspot.com

Fighting bulldogs under a rug

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‘Kremlin political intrigues are comparable to a bulldog fighting under a rug. An outsider only hears the growling, and when he sees the bones fly out from beneath it is obvious who won.’ In diesen Tagen ist Churchills Diktum über Stalin beinahe ein Trost für die Russlandforscher, die mit Deutungen des anstehenden Machtwechsels in Russland von den Geschehnissen immer wieder überrollt und widerlegt werden.

Putin will also der Regierung vorstehen wenn Dmitri Medvedev in den Kreml einziehen sollte. Dies war lange als eine unwahrscheinliche Variante angesehen worden, nunmehr scheint sie aber das tatsächliche Drehbuch zu sein. Bevor Putin das Angebot Medvedevs, die Leitung der Regierung zu übernehmen, noch nicht angenommen hatte, war zu vermuten, dass hinter dem Angebot lediglich die Absicht stand, die Wahlchancen Medvedevs zu befördern; ganz nach der Losung: ‚Stimmen Sie für Medvedev und sie bekommen Putin gleich dazu‘.

Mit der von Putin am Wahlkongress von Edinaja Rossija eingegangenen Selbstverpflichtung ist zwar dieser Effekt noch stärker gegeben; nun können die Wähler scheinbar sicher davon ausgehen, dass Putin auch nach den Wahlen im März im Zentrum der Macht verbleiben wird. Aber welche Absicht kann hinter diesem Drehbuch stehen?

De jure ist das Amt des Regierungsvorsitzenden gegenüber dem Präsidenten völlig abgewertet. Der Präsident kann nach den Regeln der Verfassung alle Regierungsentscheidungen aufheben, kann den Kabinettssitzungen vorstehen, hat sich durch Dekret im Jänner 1994 auch alle relevanten Ministerien unterstellt: Außen-, Verteidigungs-, Innen-, Justizministerium, die Direktoren des Inlands- und des Auslandsgeheimdienstes (FSB und SVR), aber auch des militärischen Aufklärungsdienstes (GRU). Der Präsident kann die Regierung jederzeit ohne Angaben von Gründen entlassen. Die Regierung zu leiten, ist daher keine machtgestaltende, sondern eine koordinierende und ausführende Aufgabe.

Manche erklären sich die Entscheidung Putins, dieses Amt dennoch zu übernehmen, mit der angeblichen Durchsetzungsschwäche Medvedevs und mit der persönlichen Loyalität Medvedevs gegenüber Putin. De jure übergeordnet, würde Medvedev nach dieser Deutung de facto die Macht in die Hände Putins legen. Dagegen spricht, dass Medvedev zwar als loyal gelten kann und nach außen tatsächlich wie ein eingeschüchterter Zögling Putins wirkt. Das hat aber auch auf Putin zugetroffen, als dieser wie ein Schuljunge von Jelzin über seinen Wahl zum Nachfolger informiert wurde. Zudem ist die Leitung des Aufsichtsrates von Gazprom, die Medvedev noch inne hat, nicht gerade ein Amt, das einem unerfahrenen, durchsetzungsschwachen Mann übertragen worden wäre

Wenn Medvedev also keine schwache Führungspersönlichkeit ist und als Präsident de jure über der Regierung steht, wäre ein Führungskollektiv Medvedev-Putin höchst riskant und grundsätzlich instabil. Dies umso mehr, als mit dem Einzug eines neuen Präsidenten in den Kreml sich Loyalitäten rasch ändern, denn der neue Zar verfügt über die Macht, Pfründe neu zu verteilen.

Wenn alle diese Faktoren aber zutreffen, warum hat sich Putin aber dennoch für diese Variante entschieden? Kein Russlandforscher ist in der Lage, zu wissen, was der Grund dafür ist; möglich ist nur, auf höchstem Informationsniveau zu deuten und zu verstehen suchen. Meine Sicht der Dinge ist daher, dass die Ankündigung Putins nicht nur den Zweck verfolgt, bis zuletzt nicht als ‚lame duck‘ zu erscheinen, sondern dazu dienen soll, die derzeitige Instabilität in den Führungsrängen unter Kontrolle zu halten.

Bereits in den vergangenen Monaten hat sich die – mitunter auch gewaltsame – Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Lagern der Sicherheitsdienste, der siloviki, verschärft. Wechselseitige Verhaftungen und Intrigen waren an der Tagesordnung. Im Zentrum standen die ‚hard core siloviki‘ um FSB-Direktor Patrušev, dem stv. Leiter des Präsidialamtes Sečin, dem Leiter der staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsbehörde Bastrykin und dem stv. FSB-Direktor Bortnikov. Zuletzt hatte diese Fraktion den stv. Finanzminister Storčak, der Medvedev und Finanzminister Kudrin nahesteht, verhaften lassen.

Inmitten dieser gefährlichen Unruhe, hat sich Putin für Medvedev entschieden und damit den siloviki eine herbe Niederlage beigefügt. Letztere waren und sind aber nicht bereit, diese einfach hinzunehmen; zu viel an Macht und Einfluss steht auf dem Spiel.

Hier setzt auch meine Erklärung für Putins Entscheidung, die Regierungsleitung zu übernehmen, an. Putin könnte damit zwei Ziele zu erreichen versuchen: Zum einen wird durch seinen, wenn auch abgestuften, Verbleib an der Macht den siloviki signalisiert, dass deren Interessen nicht völlig marginalisiert, sondern durch Putin zumindest in den Grundzügen gesichert werden.

Zum anderen – und dies scheint mir die wichtigste Absicht Putins zu sein – versucht Putin damit, Medvedev Zeit zu geben, nach der Wahl zum Präsidenten seine Autorität auszuweiten, bis dieser de facto stark genug ist, die bisherige Funktion Putins zu übernehmen, gleichsam als Vermittler zwischen den rivalisierenden Lagern stabilisierend zu wirken.

Putins Entscheidung könnte daher weniger seinem persönlichen Machterhalt, sondern mehr der Wahrung der Systemstabilität geschuldet sein. Aber vielleicht sehen wir noch immer zu wenige Gebeine der sich zerfleischenden Hunde ….

Dieser Kommentar erscheint am 19. Dezember 2007 in der Tageszeitung ‘Der Standard’ in einer durch die Redaktion leicht veränderten Version.

Foto: http://www.petplanet.co.uk/petplanet/breeds/Bulldog.htm