_machtwechsel_

Die Erklärungen in der Forschergemeinde über das zukünftige Verhältnis zwischen D. Medvedev und V. Putin sind wenig einheitlich; es ist aber wohl ohnehin verfrüht, dazu eine abschliessende Position zu vertreten. Mehrheitlich wird angenommen, dass Putin die Macht in das Regierungsamt verlagern und Medvedev schwächen wird. Obwohl Putin und Medvedev eine Änderung der Verfassung zu diesem Zweck ausgeschlossen haben, lässt sich dieses Ziel auch auf dem Verordnungsweg und einfachgesetzlich erreichen. Zentrale Indikatoren für eine Stärkung des Regierungsamtes wären:

Die Reorganisation der Regierung, mit der die Verwaltungsreform von 2004 zurückgenommen wird. In der Regierung würde eine breite Führungsebene aus zahlreichen stv. Regierungschefs eingezogen. Wenn Putin diese Ämter mit loyalen Kadern bestellen kann, entlastet er sich selbst von der Mikrosteuerung der Regierungsarbeit und weitet die Kontrolle über die Ministerialbürokratie aus. Mit einer Änderung des ‚Gesetzes über die Regierung‘, die einfachgesetzlich erfolgen kann, kann Putin sich die bislang dem Präsidenten rechenschaftspflichtigen Ministerien (Äußeres, Inneres, Verteidigung, Justiz) unterstellen

Dadurch wäre es auch möglich, die Rechenschaftpflicht der Gouverneure vom Präsidentenamt zur Regierung zu verlagern. Zwar würde weiterhin der Präsident die Gouverneure ernennen, er könnte aber dazu gezwungen werden, dabei die Regierung zu konsultieren. Auch könnte Medvedev dadurch die Kontrolle oder gar das Ernennungsrecht der Leiter der sieben Großregionen Russlands verlieren.

Ein weiterer wesentlicher Indikator für die Machtverlagerung wäre der Abzug von Schlüsselpersonen aus dem Präsidialamt in den Regierungsapparat. Dazu zählen Igor SeÄin, stv. Leiter des Präsidialamtes und Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Viktor Ivanov, Kanzleichef Putins und Aufsichtsratsvorsitzender des Rüstungskonzerns Almaz Antej, FSB-Direktor Patrušev und Wirtschaftsberater I. Šuvalov. Indikativ ist auch, wer auf der Aktionärsversammlung von Gazprom Ende Juni zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wird: Wenn es der derzeitige Regierungschefs V. Zubkov sein wird, kontrollieren die Sicherheitsdienste neben Rosneft auch Gazprom.

Es kann als sicher gelten, dass Medvedev, v.a. aber sein Lager dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen werden. Medvedevs Unterstützung kommt vor allem von seinen Studienkollegen an der Rechtsfakultät in St. Petersburg: Sein engster Freund, Anton Ivanov, ist der Vorsitzende des Obersten Schiedsgerichtes; aber auch am Verfassungsgericht sitzen mit Sergej Kazancev und Sergej Mavrin zwei Getreue; dazu kommt auch der Leiter des Amtes der Gerichtsvollzieher Nikolaij VinniÄenko.

Auch im Lager des zukünftigen Präsidenten sind derzeit aus taktischen Gründen die moderaten Mitglieder der Nachrichtendienste: der Leiter der einflussreichen Drogenkontrollbehörde Äerkesov, der frühere Verteidigungsminister Sergej Ivanov. Dazu kommen die gazpromniki, Verbindungsleute Medvedevs bei Gazprom, allen voran der stv. Vorsitzender der Gazprombank Ilja Jelisejev und der stv. Leiter der Rechtsabteilung von Gazprom Konstantin ÄujÄenko. Aber auch in der Großindustrie hat Medvedev Verbündete, wie den Leiter der Staatsindustrieholding Rostechnologii Sergej Äemezov und der CEO der Eisenbahnen Vladimir Jakunin.

Zuletzt wird Medvedev auch von Schlüsselfiguren des früheren Präsidenten Jelzin unterstützt – Aleksander Vološin und dem CEO des staatlichen Energiekonzerns und der grauen Eminenz Jelzins Anatolij Äubajs. Medvedev ist also keine isolierte Figur in der Moskauer Führungselite. Sollte Putin also tatsächlich auf seine Entmachtung drängen, wird das nicht ohne Widerstand des Medvedev-Lagers erfolgen können. Dieses Ringen aber ist derzeit mit offenem Ausgang, bis Jahresende werden die wesentlichen Weichen aber gestellt sein.

Vielleicht ist es aber ohnehin nicht das Ziel Putins, Medvedev zu schwächen. Sollte Putin 2012 wieder in den Kreml zurückkehren wollen, wäre es wohl auch nicht in seinem Interesse, das Präsidentenamt an sich zu schwächen. Putins Übernahme des Regierungsamtes könnte auch dazu dienen, Medvedev gegenüber den radikalen siloviki wie Igor SeÄin den Rücken zu stärken. Denn gerade aus diesem Lager ist vehemente Obstruktion gegen Medvedev zu erwarten.

Diesen Druck aufzufangen, könnte ein wesentlicher Grund für Putins Übernahme des Regierungsvorsitzes sein. Medvedev wird Zeit brauchen, seine faktische Autorität gegenüber den verschiedenen Lagern zu etablieren. Putin könnte ihm dazu den Rücken freihalten. Versagt Medvedev aber, ist eine Rückkehr Putins wahrscheinlich.

Putin sieht sich aber auch mit einer anderen Front konfrontiert. In den nächsten Monaten stehen unpopuläre Entscheidungen an: die weitere Liberalisierung der Gaspreise und die unvermeidbaren Preissteigerungen für kommunale Dienstleistungen wie Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Abfallbeseitigung und Heizanlagen, werden die aufgrund der hohen Lebensmittelpreise ohnehin starke Inflation von derzeit bis zu 15 Prozent in die Höhe treiben. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung richtet sich in Russland aber traditionell gegen die Regierung und nicht gegen den Präsidenten. Ein Einbrechen der hohen Beliebtheitswerte Putins wäre auch mit seiner Schwächung in der Führungselite verbunden.

Foto: http://mrchristo.wordpress.com

Dieser Kommentar ist in einer gekürzten Fassung in der Tageszeitung ‘Der Standard’ am 8. Mai 2008 erschienen. 

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