… gasstreit und russländische gaswirtschaft …

Der Streit zwischen Russland und der Ukraine lässt sich vor allem auf wirtschaftliche Faktoren zurückführen. Die Gasproduktion in den nordwestsibirischen Gasfeldern geht stark zurück. Gazprom benötigt daher ernorme finanzielle Mittel, um neue Felder zu erschliessen, Gasleitungen zu modernisieren und neue Leitungen zu bauen. Angesichts sinkender Gaspreise ´muss der russische Konzern marktgerechte Preise bei allen Abnehmern – auch bei der Ukraine – durchsetzen.

Russland hält mit 26.4 Prozent die höchsten gesicherten globalen Reserven an Erdgas; Qatar und Iran 16.1 bzw. 15.3. Der Anteil von Erdgas am Energieaufkommen Russlands ist mit 57.1 Prozent außerordentlich hoch. Der hohe Anteil von Gas am Energieaufkommen und die Höhe des Eigenverbrauches sind aber vor allem auf die niedrigen Erdgaspreise für industrielle Abnehmer und private Haushalte zurückzuführen. Bis 2011 sind in Russland aber erhebliche Preissteigerungen für Gas vorgesehen – zunächst für industrielle Abnehmer, dann aber auch für private Haushalte. Daraus werden Anreize entstehen, die Energieeffizienz zu steigern und alternative Energieträger – Kohle und Kernenergie – zur Wärme- und Stromenergie zu nutzen. Dies ist ein immenses Investitionsvorhaben, das aber angesichts der massiven Finanzmarktkrise in Russland als unsicher gelten kann.

Erdgas wird in Russland von der staatlich kontrollierten Gazprom und den beiden privaten Unternehmen Itera und Novatek gefördert. Der Anteil von Gazprom an der Förderung liegt 2008 bei 83 Prozent. Novatek und Itera dürfen ihr Erdgas nur auf dem heimischen Markt verkaufen. Nur Gazprom ist es gesetzlich erlaubt, Erdgas zu exportieren; zuerst aber muss Gazprom den russländischen Binnenmarkt versorgen; annähernd 64 Prozent der gesamten Erdgasförderung Gazproms werden dafür bereitgestellt.

Die Erdgasproduktion in Russland liegt derzeit bei 607.4 bcm. Die Internationale Energieagentur (IEA) der OECD in Paris erwartet bis 2030 einen Anstieg auf 794 bcm. Die Regierung hat mehrere Maßnahmen eingeleitet, um den Binnenkonsum an Gas abzusenken, und damit mehr Gas für den Export freizumachen. Dazu gehören Maßnahmen zur Senkung des Energiebedarfs, Steigerung der Energieeffizienz, verstärkte Nutzung von Steinkohle und nuklearer Energie, aber auch radikale Maßnahmen gegen das Abfackeln (gas flaring) von Gas, das bei der Erdölgewinnung anfällt (associated gas). Erdgas im Wert von mehreren Milliarden USD werden derzeit jährlich verfeuert, weil es nicht in Gasleitungen eingespeist oder in Gaskraftwerken verfeuert werden kann.

Das Kernproblem der russländischen Gaswirtschaft aber ist die rückläufige Produktion in den bisherigen Förderregionen, den riesigen Gaslagerstätten im nordwestlichen Sibirien. Die Förderhöchstleistung in diesen Feldern wurde bereits erreicht, die Absenkung des Fördervolumens unvermeidbar. Die Fördermenge in dieser Region wird von derzeit (2007) 480 bcm auf 175 bcm in 2030 zurückgehen.

Die Erschließung neuer Gasfelder ist daher das vordringlichste Ziel für Gazprom. Die neuen Gasförderregion sind die Vorkommen der Halbinsel Jamal und die Gaslagerstätten der Barentssee. Die Erdgasförderung in diesen Regionen ist technisch äußerst schwierig und sehr kostenintensiv; daher muss Gazprom mit ausländischen Unternehmen zusammenarbeiten. Gazprom wird in den nächsten Jahren aber auch erhebliche finanzielle Mittel in die Wartung und Modernisierung der bestehenden Pipelineinfrastruktur investieren müssen.

Aufgrund des niedrigen Preisniveaus auf dem Binnenmarkt ist Gazprom daran interessiert, den Anteil des für den Export verfügbaren Gases zu erhöhen. Derzeit kann Gazprom aber nur 34 Prozent seines geförderten Gases exportieren. 73 Prozent davon werden in der EU und in der Türkei verkauft. Die Preise, die Gazprom in den EU-Staaten erzielen kann sind dabei deutlich höher als in den Staaten der ehemaligen UdSSR; diese Märkte sind für Gazprom daher wenig lukrativ, solange nicht auch in diesen Staaten marktgerechte Verkaufspreise erzielt werden können.

Das Gasleitungsnetz von Gazprom führt derzeit nur über Transitländer in den Raum der Europäischen Union – ein nicht unerhebliches Sicherheitsrisiko aus russischer Sicht. Bis 1999 konnte Gazprom sein Gas nur über das ukrainische Leitungsnetz exportieren; seit damals wird über die Jamal-Pipeline Erdgas über Belarus und Polen nach Deutschland transportiert. 2003 schließlich wurde die Leitung Blue Stream in Betrieb genommen; diese Leitung führt auf dem Boden des Schwarzen Meeres an die türkische Schwarzmeerküste. Aber noch immer 78 Prozent der russländischen Gasexporte werden über das ukrainische Leitungsnetz geführt.

Gazprom ist daher interessiert, sein Exportleitungsnetz weiter zu diversifizieren. Die zentralen Vorhaben dafür sind die Leitungen Nordstream und South Stream. Nordstream ist eine Gasleitung, die russisches Gas ab 2011 über die Ostsee direkt nach Deutschland exportieren soll. Das Projekt wird von Gazprom zusammen mit den deutschen Unternehmen BASF/Wintershall und E.On, sowie der niederländischen Gasunie getragen. Estland, Lettland und Polen, unterstützt von der schwedischen Regierung (und Finnland), blockieren das Vorhaben – unter Verweis auf ökologische Bedenken und militärische Sicherheitsrisiken.

Mit South Stream möchte Gazprom eine ‚Südumgehung‘ des ukrainischen Transitweges errichten. Das Projekt wird von Gazprom mit der italienischen ENI vorangetrieben. Die Gasleitung wird von der russländischen Schwarzmeerküste auf dem Seeboden des Schwarzen Meeres zum bulgarischen Varna und von dort in zwei Routen nach Italien und nach Österreich geführt werden.

Das sind also die strategischen Interessen der russischen Gaswirtschaft. Der Handelsstreit mit der Ukraine ist daher nur am Rande auch politisch begründet; im Kern aber geht es für Russland um finanzielle und gaswirtschaftliche Interessen.

Der Kommentar ist am 8. Jänner 2009 in der Tageszeitung ‘Die Presse‘ erschienen.

Foto: http://www.nationalpost.com/related/links/144151.bin?size=404×272

2 thoughts on “… gasstreit und russländische gaswirtschaft …”

  1. Die Grenze zwischen finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Konflikten kann man ja schon lange nicht mehr so sonderlich scharf zeichnen. Ich bin wirklich gespannt, wann die nächste Auseinandersetzung ansteht und ich fürchte solche Probleme werden wir in Zukunft immer öfter beobachten müssen. So vernetzt und abhängig voneinander wie unsere verschiedenen Staaten, Unternehmen und Organisationen mittlerweile sind, kann das bei der derzeitigen Energielage wohl kaum ausbleiben.

  2. Die Interessenlage ist insoferne noch komplizierter, als Russland (sprich: der Kreml) bestrebt ist, nicht nur die Produktion bzw. Gewinnung von Erdgas (und Erdöl) sondern auch die Lieferung bzw. Verteilung desselben in eigener Hand zu behalten (somit staatlich zu monopolisieren). Diese Intention, die soweit geht, dass sich Gazprom sogar an e.on beteiligt, um bis zu den deutschen Endverbraucherhaushalten vorzustoßen, widerspricht eindeutig den Vorgaben der EU, die auf Entstaatlichung bzw. Liberalisierung und freien Wettbewerb auch auf dem Energiesektor abzielen. Das ist der eigentliche Hintergrund für den aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der solange prolongiert bzw. wieder aufgekocht werden wird, bis es Russland endgültig gelungen ist, vorhandene europäische Widerstände (einzelner Staaten) gegen das North-Stream-Project durch die Ostsee zu knacken und das Nabucco-Vorhaben als Konkurrenz gegen das South-Stream-Project aus dem Feld zu schlagen.

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