Nuklearer Bluff?

Alle warten auf die Frühjahrsoffensive der ukrainischen Armee. Unterschiedlich sind die Ansichten der Militärexperten, wie sehr oder wenig erfolgreich der militärische Vorstoß sein wird. Klar ist allerdings das Kriegziel der ukrainischen Führung – es ist maximalistisch. Selenskij hat wiederholt erklärt, dass das gesamte von Russland besetzte Territorium zurückerobert werden soll, also inklusive der Krim und der Hafenstadt Sevastopol. Das ist ein nachvollziehbares, aber kühnes und vielleicht unmögliches Unterfangen.

In diesem Kriegsziel wird die Ukraine von den nordischen und osteuropäischen Staaten unterstützt, ebenso auch durch das Vereinigte Königreich. Sollte die ukrainische Armee aber militärisch in die Lage kommen, den russischen Zugriff auf die Krim in Gefahr zu bringen, warnen nicht wenige im westlichen Europa vor einer harten militärischen Eskalation. Dies deshalb, weil unbestritten ist, dass ein Verlust der Krim für die russische Führung eine desaströse Kriegsniederlage wäre. Eine Niederlage, die Putin politisch wohl nicht überleben würde. Daher will und muss Putin ein solches Szenario unbedingt verhindern.

Putin könnte auf die Bedrohung der Krim mit einer horizontalen oder, schlimmer noch, mit einer vertikalen Eskalation reagieren. Eine horizontale Eskalation wäre der Versuch, zusätzliche Länder als aktive Streitparteien in den Krieg hineinzuziehen. Die vertikale Eskalation hingegen wäre der Einsatz von taktischen nuklearen Waffen durch die russischen Streitkräfte.

Eine horizontale Eskalation kann als weniger wahrscheinlich gelten, weil die russische Armee mit einer zusätzlichen Front völlig überlastet wäre. Nicht unbedingt wahrscheinlich, aber durchaus möglich hingegen ist der russische Einsatz von Nuklearwaffen bei dem drohenden Verlust der Krim. Ziel eines solchen Einsatzes wäre, die ukrainische Führung zu einem Abbruch ihrer Offensive zu zwingen. Dabei ist nicht klar, ob Russland damit militärische oder zivile Ziele angreifen würde.

Die Unterstützer der maximalistischen Position meinen, die immer wieder geäußerten impliziten Drohungen der russischen Führung, nukleare Waffen einzusetzen, sei nur ein Bluff. Die russische Seite wolle Angst und Verunsicherung schüren, um damit die Unterstützung der Bevölkerungen der westlichen Staaten für die Ukraine zu brechen. Der Westen solle sich nicht selbst abschrecken, argumentieren die Kriegsmaximalisten.

Es kann sein, dass Russland nur blufft. Aber angesichts der katastrophalen Konsequenzen eines Nuklearwaffeneinsatzes wäre es doch besser, sich nicht darauf zu verlassen, dass es nur ein Bluff ist.

Daher wäre im Westen dringlich eine Diskussion darüber nötig, mit welchen Waffenlieferungen die ukrainische Armee wozu befähigt werden soll. Die westlichen Staaten betonen immer wieder, sie würden die Ukraine finanziell und militärisch unterstützen, „as long as it takes“. Aber was ist mit diesem „it“ gemeint? Ein maximalistisches Kriegsziel, oder doch ein Verzicht auf die Rückeroberung der Krim.

Kritiker werden meinen, meine Position wäre moralisch unhaltbar und würde die Souveränität der Ukraine nicht völlig anerkennen. Das ist nicht ganz unrichtig, aber angesichts eines nuklearen Risikos befinden wir uns in einem moralischen Dilemma. Manche machen es sich leicht und meinen, es sei das souveräne Recht der Ukraine, ihre Kriegsziele zu bestimmen. Aber das stimmt realistisch natürlich nicht: Die Entscheidung des Westens darüber, welche Waffen er der Ukraine liefert, bestimmt auch die erreichbaren Kriegsziele. Das ist die bittere Wahrheit.

 

Dieser Kommentar ist am 10.5.2023 auf der Website der Zeitschrift der Freitag erschienen (paywall).

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Die “existentielle Bedrohung”

Das neue außenpolitische Konzept Russlands unterscheidet sich deutlich von seinem Vorgängerdokument aus dem Jahr 2016. Es sieht den Westen als “existentielle Bedrohung für die Sicherheit und Entwicklung” des Landes. Diese Einstufung hat es in offiziellen Dokumenten im post-sowjetischen Russland noch nie gegeben. Die Distanz zwischen Russland und dem Westen war auch nie größer gewesen als jetzt konstatiert. Dem Westen, mit dem man 2016 noch auf Zusammenarbeit setzte, wird nun eine „anti-russische Politik“ und „Russophobie“ vorgeworfen, die darauf abziele, Russland in jeder Hinsicht zu schwächen. Der Terminus „existentielle Bedrohung“ ist aber auch ein alarmierender Begriff. Die russische Nukleardoktrin sieht den Einsatz von Nuklearwaffen für den Fall einer „existentiellen Bedrohung der Staatlichkeit“ vor.

Gleichzeitig betont das Dokument, Russland sehe sich nicht als “Feind des Westens”, wolle sich ihm gegenüber nicht isolieren und hege “keine feindlichen Absichten” gegen den Westen. Man setze auf “pragmatische Kooperation”. Das geht schwer zusammen. Wenn ich mich von einem Staat existentiell bedroht fühle, ihn aber gleichzeitig nicht als meinen Feind betrachte, hat das etwas biblisch Neutestamentarisches.

Wie immer Russland sich selbst versteht, Russland ist vom Westen völlig isoliert – politisch, wirtschaftlich, technologisch und militärisch. Diese Eiszeit wird auch lange anhalten; mindestens so lange, wie Vladimir Putin an der Macht sein wird. Aber selbst wenn Putin gehen /gestürzt werden sollte, ihm aber ein ähnlich Denkender nachfolgt, wird dieser Status eines Aussätzigen bleiben.

Aus dieser Isolation auszubrechen, ist das Ziel einer Werbeoffensive um den „globalen Süden“. Nicht nur Indien und China sind dabei im Blickpunkt, sondern allen voran afrikanische, arabische und lateinamerikanische Länder. Dazu dient das russische Konzept der – angeblich erforderlichen – „Dekolonialisierung“, mit dem angedeutet wird, Russland werde den Ländern des globalen Südens dabei helfen, die kolonialen Fesseln des Westens abzuwerfen.

Auffallend an dem neuen Dokument ist die Wiederbelebung von Begriffen aus dem Kalten Krieg – insbesondere die Termini „friedliche Koexistenz“ und „strategische (Anm.: nukleare) Parität“ kehren zurück. Eine solche friedliche Koexistenz sei mit dem Westen möglich, wenn dieser die Nutzlosigkeit seines antirussischen Kurses erkenne und, wenn insbesondere die europäischen Länder sich der Dominanz der USA entziehen werden. Da ist sie wieder – die alte sowjetisch/russische Strategie, einen Keil zwischen den USA und Europa zu treiben. Mit den USA solle auf der Basis der nuklearen Parität die Bereitstellung von Stabilität und internationaler Sicherheit gewährleistet werden. Dabei ist das Misstrauen, ja die tiefe Ablehnung der Außenpolitik der USA durch die russische Führung an vielen Stellen des Konzepts erkennbar.

Das Außenpolitische Konzept ist für die russische Diplomatie keine unmittelbare Handlungsanleitung. Sie dient als allgemeiner Rahmen der Außenpolitik Russlands und dokumentiert die Weltsicht der russischen Führung. Das gibt westlicher Außenpolitik einen Bezugs- und Ordnungsrahmen für die eigene Russlandpolitik. Diese muss den tiefen Graben zwischen Russland und den eigenen Staaten zur Kenntnis nehmen. Weder auf westlicher, noch auf russischer Seite gibt es noch ein Grundvertrauen oder einen Rest Hoffnung, dass diese Gräben in absehbarer Zeit überbrückt werden können.

Der Westen und Russland finden sich auf den Seiten der neuen, militärisch hochgerüsteten Teilungslinie in Europa wieder. Die Teilungslinie läuft entlang der Ostgrenzen Finnlands und der baltischen Staaten, entlang an jener Polens, die Frontlinie in der Ukraine und die Ostgrenzen von Moldawien. Das ist – zumindest bislang – kein neuer Eiserner Vorhang, aber ein wechselseitiges Bollwerk gegen die andere, als Feind eingestufte Seite.

 

Dieser Text ist am 11.4.2023 als Gastbeitrag auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-in-russlands-neuem-aussenpolitischem-konzept-faellt-ein-alarmierender-begriff_id_190831649.html)

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Die Sanktionen des Westens gegen Russland wirken

Putin sagt nun öffentlich, die westlichen Sanktionen könnten “mittelfristig negative Konsequenzen” für Russland bringen. Bislang meinte er immer, die Sanktionen könnten der russischen Wirtschaft nichts anhaben. Diese Bemerkung ist beachtlich – nicht ob ihres Inhalts, sondern weil sie öffentlich gemacht wurde. Damit unterstützt Putin die westlichen Argumente, dass die Sanktionen gegen Russland sehr wohl wirksam sind; und das jedes Monat mehr. Das ist ein Erfolg, den Putin dem Westen hier bereitet. Es wird auch schwieriger, für die radikale Rechte und Linke in Europa an ihrem Argument festzuhalten, dass die Sanktionen nicht wirken würden; sondern vielmehr den westlichen Ländern selbst schaden würden. Letztere Einschätzung wird durch Putins Äußerung nicht widerlegt, sehr wohl aber das Argument der angeblichen Wirkungslosigkeit der Sanktionen.

Putin ist natürlich bewusst, dass seine Worte im Westen dankbar aufgenommen und propagandistisch verwertet werden. Warum macht er dann diesen Schritt? Es gibt nur eine einzige plausible Erklärung: Putin will die russische Bevölkerung auf negative Entwicklungen der Wirtschaft hinweisen und vorwarnen. Russland wird sich den Konsequenzen der westlichen Sanktionen nicht entziehen können.

Die Sanktionen haben bislang dazu geführt, dass die russische Wirtschaft 2022 in die Rezession geschlittert ist. Zwar nur um 2,1 Prozent, wie russische Regierungsbehörden sagen; oder auch um 3 Prozent, wie der Internationale Währungsfonds angibt. Das ist deutlich weniger, als noch im Frühjahr 2022 im Westen erwartet und erhofft worden war. Es gilt aber zu bedenken, dass die Wachstumsaussichten für Russland im Jahr 2022 vor dem Krieg bei 3,5 Prozent lagen. Dieses Wachstum wurde nicht nur nicht realisiert, sondern die Kontraktion der Volkswirtschaft ist eingetreten. Auch ist zu sagen, dass die immens gesteigerten Rüstungsausgaben das BIP Russlands stützen.

Deutlicher sind die Auswirkungen der Sanktionen auf den russischen Staatshaushalt. 2022 verzeichnete Russland ein Budgetdefizit von ca. 2 Prozent des BIP. Dieses Jahr wird das Defizit deutlich steigen. Das hängt vor allem mit den hohen Rüstungsausgaben, aber auch mit den verminderten Einnahmen Russlands aus dem Energieexport zusammen. Die Sanktionen der EU im Kohle- und Ölsektor treffen Russland hart; diese Produkte können nicht in vollem Umfang auf Drittmärkten verkauft werden. Aber auch die Abkehr der meisten EU-Staaten von russischem Gas trägt zu dieser finanziellen Austrocknung bei. Russland kann das Budget auf kurze Zeit aber stabilisieren, in dem die Mittel aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds genutzt werden. Dieser hat eine mutmaßliche Einlage von 162 Mrd. Dollar. Doch das wird nicht dauerhaft helfen. Irgendwann wird sich die russische Führung der Tatsache widmen müssen, dass hohe Rüstungsausgaben bei sinkenden Staatseinnahmen auch die Sozialausgaben verringern werden. Das aber würde zu Unmut und Unzufriedenheit in der russischen Bevölkerung führen.

Wachsende negative Auswirkungen werden die westlichen Exportverbote für Hochtechnologie haben. Besonders die russische Auto- und Luftfahrtindustrie leidet darunter stark. Aber auch andere Branchen in der zivilen und militärischen Industrie sind davon betroffen. Sie alle verwenden hochwertige westliche Komponenten in der Fertigung, die nur teilweise von China bereitgestellt werden können und wollen.

Die anfänglich hohe Inflation in Russland ist nach einem deutlichen Anstieg im Frühjahr 2022 bis Ende des letzten Jahres auf 11,6 Prozent zurückgegangen. Am Mittwoch wurde eine Inflationsrate von 6,4 Prozent gemeldet. Wenn diese Angaben stimmen, ist das ein Erfolg, der vor allem auf die Zinspolitik der Zentralbank Russlands zurückzuführen ist. Die Sanktionen treiben die Inflation also nicht wirklich in die Höhe.

Die Sanktionen des Westens wirken als Bestrafung Russlands. Russlands Verhalten, den Krieg in der Ukraine zu führen, zu ändern, wird aber nicht gelingen. Dafür sind die geopolitischen Ambitionen für Putin wichtiger, als das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen des Landes. Wirksam werden die Sanktionen mittelfristig auch darauf, die Kriegsführungsfähigkeit Russlands zu verringern – durch finanzielle und technologische Austrocknung.

Die westlichen Sanktionen wirken also; und das immer mehr. An dieser Tatsache kann auch die russische Propaganda nicht mehr vorbei. Daher die Botschaft des Präsidenten an die Bevölkerung: Die Zeiten werden härter werden.

 

Dieser Text ist als Gastbeitrag am 30.3.2023 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/panorama/welt/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-und-ploetzlich-sagt-putin-einen-satz-der-wagenknecht-und-co-zu-denken-geben-sollte_id_189736756.html)

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Droht Georgien und Moldawien militärische Gefahr von Russland?

„Wir empfehlen dem georgischen Volk, sich an eine ähnliche Situation in der Ukraine im Jahr 2014 zu erinnern und daran, wozu sie letztendlich führte!“ Mit dieser Äußerung hat das russische Außenministerium Georgien nach den Anti-Regierungsprotesten unverhohlen mit einer Invasion gedroht. In Georgien waren Proteste gegen ein von der Regierungspartei „Georgischer Traum“ vorgelegtes Gesetz über die Einführung des Status eines „ausländischen Agenten“ für NGOs, die mehr als 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten, ausgebrochen. Die Demonstrationen hatten indirekt auch einen antirussischen Charakter.

Die russische Äußerung war typisch für das Auftreten dieser Großmacht. Russland wirbt nicht um Zustimmung, versucht nicht, mit weicher Macht Anerkennung zu finden, sondern droht offen, getreu dem Grundsatz: „Mögen sie mich hassen, solange sie mich fürchten“. Auch wenn dieser Ansatz seit vielen Jahren keine fruchtbaren Ergebnisse bringt, hält Russland arrogant daran fest. Russland setzt nicht auf die Macht der Überzeugung, sondern auf die Macht des Zwangs.

Gleichwohl ist es auch nur eine hohle Drohung. Russland hat nicht die militärische Kraft, an zwei Fronten Krieg zu führen. Die russische Armee wurde im Krieg in der Ukraine deutlich entzaubert. Die Kräfte dort sind, in krasser Überdehnung, nicht mehr zu großen Geländegewinnen fähig. Im Gegenteil, die russische Armee muss dort erfolgreiche ukrainische Gegenoffensiven fürchten. Schon jetzt ist der Großteil des russischen Heeres in der Ukraine stationiert. Da reichen die Kräfte Russlands in Georgien nur dazu, die separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien gegen einen georgischen Rückeroberungsversuch abzusichern.

Eigentlich ist es genau andersrum. Die ukrainische Regierung hat ein Interesse daran, dass Georgien eine zweite Front gegen Russland eröffnet. Russland würde dann militärisch völlig überfordert sein und die Ukraine an der Front im eigenen Land ein wenig entlasten. Die gegenwärtige georgische Regierung hat kein Interesse an einer militärischen Konfrontation mit Russland. Die derzeitige Opposition aber könnte dem Verlangen erliegen, die von Russland besetzten separatistischen Regionen zurückzuerobern. Die Gelegenheit könnte als günstig erscheinen, nachdem Russland sich nahezu vollständig auf die Front in der Ukraine konzentrieren muss.

Ebenso wenig zu befürchten ist ein russisches militärisches Ausgreifen nach Moldawien. Wäre es den russischen Streitkräften im vergangenen Jahr gelungen, die Region Odessa zu erobern und damit eine Landbrücke bis zum Separatistengebiet Transnistrien in Moldawien zu bilden, wäre dieses Szenario noch wahrscheinlich gewesen. Genau das aber ist der russischen Seite nicht gelungen; und es wird ihr auch nicht mehr gelingen. Es wäre eine strategische Dummheit, wenn Russland in der derzeitigen Konstellation versuchen würde, militärisch Moldawien anzugreifen.

Russland versucht hingegen, die innenpolitische Lage in Moldawien zu destabilisieren. Die westfreundliche Regierung von Präsidentin Maia Sandu soll durch eskalierende Massenproteste gestürzt werden und russlandfreundliche Kräfte an die Macht bringen. Russland agiert hier im Verbund mit moldawischen Oligarchen wie Ilan Shor und Vladimir Plahotniuc, die eigene Interessen an einem Regierungssturz haben. Moldawien ist also von russischer Unterwanderung und Destabilisierung betroffen, aber es droht kein militärischer Angriff Russlands. Auch hier gilt, dass eine militärische Eskalation im Interesse der Ukraine wäre.

Natürlich ist die russische Führung auch in der innenpolitischen Szenerie Georgiens aktiv. Mit der derzeitigen Führung kann Moskau gut leben und Russland stärkt sie indirekt. Russland mischt sich also sehr stark in die inneren Verhältnisse Georgiens und Moldawiens ein. Eine militärische Aktion Russlands ist aber nicht zu erwarten.

 

Dieser Kommentar ist am 15.3.2023 auf focus.de erschienen (

„Wir empfehlen dem georgischen Volk, sich an eine ähnliche Situation in der Ukraine im Jahr 2014 zu erinnern und daran, wozu sie letztendlich führte!“ Mit dieser Äußerung hat das russische Außenministerium Georgien nach den Anti-Regierungsprotesten unverhohlen mit einer Invasion gedroht. In Georgien waren Proteste gegen ein von der Regierungspartei „Georgischer Traum“ vorgelegtes Gesetz über die Einführung des Status eines „ausländischen Agenten“ für NGOs, die mehr als 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten, ausgebrochen. Die Demonstrationen hatten indirekt auch einen antirussischen Charakter.

Die russische Äußerung war typisch für das Auftreten dieser Großmacht. Russland wirbt nicht um Zustimmung, versucht nicht, mit weicher Macht Anerkennung zu finden, sondern droht offen, getreu dem Grundsatz: „Mögen sie mich hassen, solange sie mich fürchten“. Auch wenn dieser Ansatz seit vielen Jahren keine fruchtbaren Ergebnisse bringt, hält Russland arrogant daran fest. Russland setzt nicht auf die Macht der Überzeugung, sondern auf die Macht des Zwangs.

Gleichwohl ist es auch nur eine hohle Drohung. Russland hat nicht die militärische Kraft, an zwei Fronten Krieg zu führen. Die russische Armee wurde im Krieg in der Ukraine deutlich entzaubert. Die Kräfte dort sind, in krasser Überdehnung, nicht mehr zu großen Geländegewinnen fähig. Im Gegenteil, die russische Armee muss dort erfolgreiche ukrainische Gegenoffensiven fürchten. Schon jetzt ist der Großteil des russischen Heeres in der Ukraine stationiert. Da reichen die Kräfte Russlands in Georgien nur dazu, die separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien gegen einen georgischen Rückeroberungsversuch abzusichern.

Eigentlich ist es genau andersrum. Die ukrainische Regierung hat ein Interesse daran, dass Georgien eine zweite Front gegen Russland eröffnet. Russland würde dann militärisch völlig überfordert sein und die Ukraine an der Front im eigenen Land ein wenig entlasten. Die gegenwärtige georgische Regierung hat kein Interesse an einer militärischen Konfrontation mit Russland. Die derzeitige Opposition aber könnte dem Verlangen erliegen, die von Russland besetzten separatistischen Regionen zurückzuerobern. Die Gelegenheit könnte als günstig erscheinen, nachdem Russland sich nahezu vollständig auf die Front in der Ukraine konzentrieren muss.

Ebenso wenig zu befürchten ist ein russisches militärisches Ausgreifen nach Moldawien. Wäre es den russischen Streitkräften im vergangenen Jahr gelungen, die Region Odessa zu erobern und damit eine Landbrücke bis zum Separatistengebiet Transnistrien in Moldawien zu bilden, wäre dieses Szenario noch wahrscheinlich gewesen. Genau das aber ist der russischen Seite nicht gelungen; und es wird ihr auch nicht mehr gelingen. Es wäre eine strategische Dummheit, wenn Russland in der derzeitigen Konstellation versuchen würde, militärisch Moldawien anzugreifen.

Russland versucht hingegen, die innenpolitische Lage in Moldawien zu destabilisieren. Die westfreundliche Regierung von Präsidentin Maia Sandu soll durch eskalierende Massenproteste gestürzt werden und russlandfreundliche Kräfte an die Macht bringen. Russland agiert hier im Verbund mit moldawischen Oligarchen wie Ilan Shor und Vladimir Plahotniuc, die eigene Interessen an einem Regierungssturz haben. Moldawien ist also von russischer Unterwanderung und Destabilisierung betroffen, aber es droht kein militärischer Angriff Russlands. Auch hier gilt, dass eine militärische Eskalation im Interesse der Ukraine wäre.

Natürlich ist die russische Führung auch in der innenpolitischen Szenerie Georgiens aktiv. Mit der derzeitigen Führung kann Moskau gut leben und Russland stärkt sie indirekt. Russland mischt sich also sehr stark in die inneren Verhältnisse Georgiens und Moldawiens ein. Eine militärische Aktion Russlands ist aber nicht zu erwarten.

 

Dieser Kommentar ist am 14.2.2023 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-putin-ministerium-droht-georgien-dabei-gibt-es-fuer-kreml-eine-andere-gefahr_id_188308728.html)

Photo credit: https://edition.cnn.com/2023/03/08/europe/georgia-protests-wednesday-intl/index.html

Krieg in der Ukraine: Wie weiter?

Russlands Überfall auf die Ukraine geht nunmehr in das zweite Kriegsjahr. In den letzten Monaten hat sich die Frontlinie kaum verschoben. Nach den erfolgreichen ukrainischen Offensiven in den Regionen Charkiv und Cherson im Herbst des letzten Jahres, konnte Russland zwar kleine Geländegewinne erzielen, aber für beide Seiten gab es keinen militärischen Durchbruch.

Für die nächsten Wochen und Monate werden von beiden Kriegsparteien Frühjahrsoffensiven erwartet. Erste Anzeichen der russischen Offensive verdichten sich. Russland wird vermutlich versuchen, das noch von der ukrainischen Armee kontrollierte Territorium der Provinz Donezk zu erobern. Die „Befreiung“ des Donbass, zu dem diese Region gehört, zählt noch immer zu den erklärten Kriegszielen Russlands. Die russische Armee würde versuchen, zur Linie Kramatorsk und Slovjank in der Provinz Donezk vorzustoßen und in der Provinz Luhansk die Verteidigungslinie bei Kremmina zumindest zu halten. Die ukrainische Offensive ist wohl in der Region Zaporizhija zu erwarten. Ziel wäre es, über die Stadt Melitopol bis an die Küste des Asowschen Meeres vorzustoßen. Damit würden die russischen Besatzungsgebiete in zwei Hälften geteilt und die Landbrücke zwischen der Krim und dem Donbass durchbrochen. Ob ein solcher Vorstoß schon in den ersten Frühjahrsmonaten stattfinden wird, ist unsicher. Klüger wäre es wohl, die ukrainische Armee würde zuerst versuchen, einer offensiven russischen Armee standzuhalten und erst dann – nach Schwächung der Russen – selbst in die Offensive zu gehen.

Die russische Offensive aufzuhalten oder gar zurückzuschlagen wird ohne substantielle Lieferungen westlicher Kampfpanzer aber nicht möglich sein. Vermutlich aber werden größere Zahlen von Leopard 2 Kampfpanzern nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Das auch weil europäische Staaten, anders als vor der deutschen Entsendungsentscheidung, nun bei der Lieferung der modernsten Variante des Leopard 2 (A6) zögern. Den modernen Leopard 2 A6 wollen nur Deutschland und Portugal liefern; insgesamt 17 Panzer. Für den Leopard 2 A4 gibt es bis jetzt Zusagen von Polen, Kanada und Norwegen – insgesamt 26 Panzer. Deutlich weniger also als die zwei Bataillone, die zu liefern geplant sind. Wichtig ist natürlich auch die nun von den USA zugesagte Präzisionsmunition mit langer Reichweite (Ground Launched Small Diameter Bomb). Kampfflugzeuge, die im Verbund mit westlichen Kampfpanzern, die Offensivkraft der ukrainischen Armee deutlich steigern würden, werden wohl (noch lange) nicht an die Ukraine überstellt werden.

Dennoch wird die ukrainische Führung die Forderung nach Kampfflugzeugen nicht aufgeben. Das wird den Druck auf Deutschland wieder erhöhen, Tornados oder Eurofighter zu liefern. Allerdings würde Bundeskanzler Scholz an Glaubwürdigkeit verlieren, würde er die von ihm selbst gezogene rote Linie – nämlich keine Kampfflugzeuge liefern zu wollen – dann doch überschreiten.

Doch auch der Ruf nach diplomatischen Initiativen ist von der deutschen Regierung nicht zu erwarten. Für Verhandlungen gibt es derzeit keine Möglichkeiten. Beide Kriegsparteien setzen noch immer auf Erfolge auf dem Schlachtfeld. Zwar erklären zwar Russland und die Ukraine zu Verhandlungen bereit zu sein; sie stellen dafür aber Vorbedingungen, die die jeweils andere Seite nicht akzeptieren kann. Russland verlangt von der ukrainischen Führung die „Realitäten am Boden“ anzuerkennen, d.h. die Zugehörigkeit der vier teilweise von Russland besetzten Regionen in der Ost- und Südukraine. Selenskij denkt aber nicht daran, territoriale Zugeständnisse zu machen; das will auch die deutliche Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung nicht. Die ukrainische Führung will zum einen nicht mit Putin verhandeln; zum anderen will sie erst verhandeln, wenn alle russischen Truppen die Ukraine einschließlich der Krim verlassen haben. Aber worüber soll dann noch verhandelt werden? Verhandlungen, zumindest über einen Waffenstillstand, werden erst möglich werden, wenn eine der beiden Kriegsparteien vor der militärischen Niederlage steht oder beide Armeen erschöpft sind und sich keinen Zugewinn auf dem Schlachtfeld mehr erwarten.

Neben der Militärhilfe versucht der Westen auch durch Wirtschafts- und Finanzsanktionen den Kriegsverlauf zu beeinflussen. Die Volkswirtschaft Russlands hat sich bislang als resilienter erwiesen als erwartet und erhofft. Nach einer relativ leichten Rezession im Jahr 2022, könnte sich für Russland dieses Jahr ein Nullwachstum ausgehen. Die Verbote von Hochtechnologieexporten werden der russischen Wirtschaft aber zusetzen und zu Produktionsausfällen oder -rückgängen führen. Als wirkungsstark haben sich die Sanktionen des Westens gegen russische Exporte von Rohöl und Ölprodukten erwiesen. Die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung und dem Export für den russischen Staatshaushalt sind im Jänner 2023 um 46 Prozent niedriger gewesen als im Jänner 2022. Der Staatshaushalt wird heuer ein deutliches Defizit aufweisen. Das wird die Kriegsführungsfähigkeit Russlands schwächen. Durch Sanktionen wird in der Regel auch der Sanktionsgeber betroffen. Das zeigt sich im Rückgang des Außenhandels der EU mit Russland und erhöhten Energiepreisen. Das aber ist ein Preis, den die EU zahlen will.

 

Dieser Kommentar ist am 23.2.2023 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-der-poker-mit-den-offensiven-warum-es-fuer-die-ukraine-klug-waere-abzuwarten_id_186444262.html).

Photo credit: https://www.businessinsider.com/ukraine-video-shows-aftermath-russian-attack-town-north-of-kyiv-2022-3

 

 

 

Ein grausames Kriegsjahr

Die russische Frühjahrsoffensive steht kurz bevor. Die Kämpfe an der Front in der Provinz Donezk nehmen immer mehr an Intensität zu. Vor allem die Städte Bachmut und Vuhledar sind derzeit die Brennpunkte des Schlachtens. Im Bezirk Donezk wird diese Offensive der russischen Armee sehr wahrscheinlich auch erfolgen. Das Kriegsziel der russischen Führung war und ist die „Befreiung“ des Donbass. Während eine der beiden Provinzen, Luhansk, nämlich, fast unter der vollständigen Kontrolle der russischen Truppen steht, ist die andere Provinz, Donezk, eben erst zu etwa 58 Prozent in den Händen der russischen Invasoren.

Bachmut muss aus russischer Sicht fallen, um dann gegen die ukrainischen Verteidigungswälle bei Kramatorsk und Slovjansk vorzustoßen. Ohne diese Städte zu Fall zu bringen, wird es nicht gelingen, den Rest der Provinz Donezk zu erobern. Deshalb werden die Russen seit Monaten Soldaten an die vorderste Linie, um Bachmut und Vuhledar zu Fall zu bringen. Es sind dies zum einen Söldner der Gruppe Wagner, vor allem Strafgefangene, die in den letzten Monaten rekrutiert wurden und zum anderen Tausende der seit der Mobilmachung im September 2022 trainierten Reservisten. Diese Kämpfer fallen zu Tausenden. Sie werden zu einfachen Zielen der ukrainischen Verteidiger. Trotzdem schickt die russische Armeeführung die Soldaten in den Fleischwolf des Schlachtfeldes, um Tag für Tag einige Meter an Boden zu gewinnen. Nur 40 Quadratkilometer konnte die russische Armee an diesem Frontabschnitt in diesem Jahr erobern.

Das hängt auch damit zusammen, dass die russischen Streitkräfte nicht ausreichend ausgerüstet sind. Waren die ersten Kriegsmonate noch davon gekennzeichnet gewesen, dass die russische Armee genügend Kriegsmaterial, aber zu wenige Soldaten (vor allem Infanterie) vorweisen konnte, ist es nach der Teilmobilmachung nun umgekehrt. Mit einem Übergewicht an Infanterie werden nun ukrainische Verteidigungslinien gestürmt. Dabei wird wenig qualifiziertes Personal an die vordersten Linien geschickt, gemetzelt, bevor gut trainierte Vertragssoldaten nachstoßen. Dadurch sollen die ukrainischen Stellungen personell ausgedünnt werden, um die verbliebenen Kräfte dann mit Berufssoldaten niederzuringen. Diese Strategie ist ebenso zynisch wie unabdingbar. Aber sie kann sich auch erschöpfen, wenn Dutzende Tausend fallen oder verwundert werden. Eine zweite Mobilisierungswelle in Russland wäre für Putin schwierig.

Eine ebenso wichtige Frontlinie wie die um die Stadt Bachmut ist die Linie Kreminna-Svatove. An dieser Linie konnte die russische Offensive die ukrainische Vorwärtsbewegung im September 2022 aufhalten. Die russische Frühjahrsoffensive wird versuchen, die damals verloren gegangenen Städte wie Izium und Kupjansk zurückzuerobern. Auch ein erfolgreicher Vorstoß an dieser Linie ist unabdingbar notwendig, um den gesamten Donbass zu erobern. Das ist immer noch das erklärte prioritäre Kriegsziel der russischen Führung. Schließlich war eine zentrale Kriegsbegründung der ersten Monate der Schutz der ethnischen Russen vor einem angeblichen Völkermord durch die ukrainische Führung gewesen.

Aber auch eine ukrainische Offensive ist in den nächsten Monaten zu erwarten. Diese würde wohl versuchen, in der Region Zaporischja bis zur Küste des Asowschen Meeres vorzustoßen, um die russisch besetzten Gebiete in zwei Teile zu spalten. Dafür aber wären dringend westliche Kampfpanzer erforderlich, die wohl erst spät – frühestens ab April – geliefert werden; und das zunächst noch in bescheidener Stückzahl. Daher könnte die ukrainische Armee zunächst eher versuchen, die russische Offensive aufzuhalten, die russischen Soldatenreihen auszubluten, um erst dann selbst in den späten Frühjahrswochen vorzustoßen.

Tatsache bleibt, dass in den nächsten Wochen und Monaten auf beiden Seiten wieder viel Blut fließen wird, junge Männer gemordet und Städte zerstört werden. Die spanische Außenministerin hat durchaus recht, wenn sie von einem „grausamen Kriegsjahr“ spricht.

 

Dieser Text ist am 12.2.2023 als Kommentar auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/analyse-von-gerhard-mangott-putins-perfide-fleischwolf-taktik-das-grosse-gemetzel-beginnt_id_185634002.html)

Foto credit: https://www.derstandard.at/story/2000143427304/die-schlacht-um-bachmut-fuer-die-ukraine-und-russland-symbolgeladen

 

 

 

 

Mögliche Folgen einer russischen Kriegsniederlage

Die Frontlinien im Ukrainekrieg haben sich in den letzten Wochen kaum verändert. Derzeit befinden sich beide Seiten in einem statischen Zermürbungskrieg. Allerdings geht die ukrainische Führung offiziell von einer bevorstehenden russischen Offensive in einigen Wochen aus. Es ist allerdings fraglich, ob die russische Armee wirklich stark genug ist, um eine neue Offensive durchzuführen. Ganz sicher wird es in einigen Wochen eine ukrainische Offensive geben, sehr wahrscheinlich gegen die südukrainische Stadt Melitopol in Richtung Asowsches Meer.

Die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher ukrainischer Offensiven steigt natürlich durch die Lieferung von Schützenpanzern, bald wohl auch von Kampfpanzern und weitreichender Artillerie. Dadurch wird es zwar nicht automatisch zu militärischen Erfolgen der ukrainischen Armee kommen, aber die Wahrscheinlichkeit nimmt deutlich zu.

Kann Russland den Krieg gegen die Ukraine also verlieren? Die Antwort auf die Frage hängt zunächst davon ab, wie Russland eine Kriegsniederlage definieren wird. Wird schon die Rückeroberung der seit 24. Februar von der russischen Armee besetzten Regionen als Niederlage klassifiziert? Oder ist die desaströse Niederlage erst dann erreicht, wenn Russland auch die seit 2014 besetzten Gebiete verliert, inklusive der Krim? Im ersten Szenario ist wohl von einer schmachvollen Kriegsniederlage Russlands auszugehen; im Falle des zweiten Szenarios wäre die Niederlage katastrophal. Was würde eine solche Niederlage in Russland aber bewirken?

Sollten die russischen Truppen sich vollständig aus der Ukraine zurückziehen müssen, wäre die Ablöse von Putin wohl unumgänglich. Die Frage ist nur, wie diese Ablöse erfolgen könnte. Durch einen freiwilligen Rücktritt, den Verzicht auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt 2024 oder durch den Sturz Putins durch Vertreter des innersten Kreises der Macht. Abhängig davon wird die Erschütterung der politischen Stabilität durch die Ablöse mehr oder weniger groß sein. Die Palastrevolte ist sicherlich das gefährlichste Szenario. Wer würde statt Putin übernehmen? Der Sekretär des Sicherheitsrates Patruschew, der Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB Bortnikov, oder der Vertreter einer jüngeren Generation wie etwa der Gouverneur der Region Tula, Alexander Djumin? So wünschenswert für viele auch der Machtverlust Putins ist, ist auf die erheblichen Instabilitäten hinzuweisen, die dadurch ausgelöst würden. Das Szenario der Machtübernahme durch eine Person, die das Verhältnis zum Westen grundsätzlich verbessern will, ist eher gering.

Bleibt Putin trotz einer Niederlage Präsident und wird 2024 in seinem Amt bestätigt, bedeutet das wohl die langandauernde Isolation Russlands. Solange Putin die Macht in den Händen hält, wird es keine Rückkehr zu business as usual geben.

Die militärische Niederlage in der Ukraine wird auch die Autorität Russlands als Stabilitätsgarant im post-sowjetischen Raum massiv erschüttern. Der Autoritätsverlust Russlands durch den schleppenden Krieg hat schon jetzt Auswirkungen auf den Südkaukasus und Zentralasien. Russland wäre nach einer desaströsen Niederlage sicher nicht mehr fähig, Stabilitätsanker in diesen Regionen zu sein. Schon jetzt ist das in vielen Fällen nicht mehr gegeben – etwa im Konflikt zwischen Armenien und Azerbaijan oder im anhaltenden Grenzkonflikt zwischen Tajikistan und Kirgistan. Das wird zu einer außenpolitischen Neuausrichtung von post-sowjetischen Staaten führen. Auch könnten dadurch neue militärische Konflikte im Südkaukasus oder Zentralasien entstehen.

Bei einer desaströsen Niederlage wankt auch der Status Russlands als Großmacht. Durch die Unterstützung der Ukraine können die USA den Rivalen Russland auf lange Sicht schwächen. Das würde es den USA erlauben, sich nahezu vollständig nur noch auf den systemischen Rivalen China zu konzentrieren. Russlands Fähigkeit zur Ausübung von Gegenmacht im Hinblick auf die derzeitige internationale Ordnung würde deutlich zurückgehen. Das Gewicht Russlands in der internationalen Politik würde durch eine vollständige Niederlage sicher deutlich geringer werden.

Russland würde, derart geschwächt, in ein klares Abhängigkeitsverhältnis zu China geraten. Das würde die bestehende strategische Partnerschaft zwischen beiden Staaten deutlich verändern. Solange die Feindschaft zwischen Russland und dem Westen aufrecht bleibt, ist dies ein Gewinn für die chinesische Außenpolitik. Sie muss nicht fürchten, dass Russland sich in den nächsten Jahren mit dem Westen gegen China stellen wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar auch jetzt schon äußerst gering, aber nach einer Kriegsniederlage ohne Regimewechsel in Russland würde diese Option gänzlich verschwinden.

Einige Beobachter fürchten bzw. hoffen auch darauf, dass eine Kriegsniederlage zum Zusammenbruch der staatlichen Integrität Russlands führen wird. Das Land könnte auseinanderbrechen. Das ist allerdings ein Szenario, das erhebliche Sicherheitsrisiken mit sich brächte. Ist das Risiko akzeptabel, dass die größte Nuklearmacht der Welt auseinanderfällt? So sehr sich das manche wünschen, so unwahrscheinlich ist das für den Autor.

Das größte Risiko ist allerdings, dass Russland zur Abwendung einer desaströsen Kriegsniederlag, insbesondere bei einem Rückeroberungsversuch der Krim durch die ukrainische Armee, den Gewaltkonflikt nuklear eskalieren würde. Dieses Restrisiko gilt es sicherlich zu berücksichtigen, wenn man darüber nachdenkt, wie stark Russland den Ukrainekrieg verlieren soll.

 

Dieser Kommentar ist am 11.1.2023 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-die-palastrevolte-ist-fuer-putin-sicherlich-das-gefaehrlichste-szenario_id_182764514.html)

Photo credit: https://www.theguardian.com/world/live/2023/jan/07/russia-ukraine-war-kyiv-accuses-moscow-of-shelling-despite-putins-unilateral-ceasefire-live

Ein direkter Kriegseintritt von Belarus?

Die Gerüchte über eine zweite Front an der ukrainischen Nordgrenze mehren sich. Russland könnte von belarussischem Territorium aus erneut gegen Kiev marschieren. Mehr noch, manche Beobachter rechnen mit einem aktiven Kriegseintritt von Belarus und einem gemeinsamen Angriff auf die Nordukraine.

Eine zweite Front würde ukrainische Soldaten im Norden binden; Soldaten, die dann an der mehr als 1.000 km langen Frontlinie in der südlichen und östlichen Ukraine fehlen würden. Dort würden die ukrainischen Verbände ausgedünnt. Allerdings gilt das auch für die russische Armee, die ohnehin einen Mangel an qualifizierten, trainierten und gut ausgerüsteten Soldaten aufweist.

Russland war am Beginn des Krieges von belarussischem Territorium aus in den Norden der Ukraine vorgestoßen; aber diese Verbände mussten sich Anfang April des letzten Jahres erfolglos zurückziehen. Fraglich also, ob die russische Armee in ihrem derzeitigen Schwächezustand dort noch einmal vorrücken will.

Beobachter, die einen solchen Vorstoß für möglich halten verweisen auf die 45.000 Soldaten der belarussischen Armee, die sich diesmal an der Offensive im Norden beteiligen könnten. Aber die Kampfkraft der weißrussischen Armee ist relativ gering. Ihre Soldaten sind mangelhaft trainiert und, vor allem, schlecht ausgerüstet. Der militärische Mehrwert für die russischen Streitkräfte wäre daher relativ gering. Dagegen könnte eingewendet werden, dass ein massiver Vorstoß die Ukraine zumindest für eine gewisse Zeit zwingen würde, massiv Truppen und Gerät im Norden einzusetzen. Ein erfolgreicher Vorstoß auf Kiev ist hingegen mit den derzeitigen in Belarus vorhandenen eigenen und russischen Soldaten sehr unwahrscheinlich.

Der Mehrwert eines direkten Kriegseintrittes von Belarus wäre daher überschaubar. Die politischen Risiken eines solchen Schrittes wären aber groß.

Eine überwältigende Mehrheit der belarussischen Bevölkerung lehnt einen Kriegseintritt ab. Auch in den Reihen der Soldaten, vor allem aber im belarussischen Generalstab, gibt es dagegen Widerstände. Der belarussische „Präsident“ Lukaschenko wäre also im Inneren mit erheblichen Risiken konfrontiert. Das Wiederaufflammen der Massenproteste im Jahr 2020, die nur mit brutaler Gewalt und Repression niedergeschlagen werden konnten, wäre sehr wahrscheinlich. Könnte die belarussische Regierung das noch einmal überleben? Wie massiv wären die Desertionen in der weißrussischen Armee?

Beobachter, die an einen Kriegseintritt von Belarus glauben, wenden dagegen ein, dass die belarussische Führung russischem Druck nachgeben müsse, weil Lukaschenko sich nur mit wirtschaftlicher, finanzieller und militärischer Unterstützung Russland an der Macht halten kann. Lukaschenko habe also gar keine andere Wahl. Diese Position aber vernachlässigt, dass auch die russische Führung über die innenpolitischen Risiken in Belarus weiß. Eine erneute Massenerhebung wäre auch für Russland schwer kontrollierbar. Der Verlust der Kontrolle über Belarus ist aber für Russland ein viel größeres Risiko als der Verzicht auf den direkten Kriegseintritt von Belarus.

Bei einem belarussischen Kriegseintritt würden auch die westlichen Sanktionen gegen Belarus erheblich verstärkt werden. Das wiederum würde die soziale Lage im Land weiter verschlechtern und es für Russland kostspieliger machen, Lukaschenko trotzdem an der Macht zu halten. Die Bürde der Finanzierung weißrussischer Gefolgschaft würde noch größer werden. Das in einer Situation, wo die westlichen Sanktionen die russische Wirtschaft immer härter treffen.

Der Autor hält die Gerüchte über eine belarussischen Kriegseintritt – verstärkt durch angebliche Aufrufe an Männer in Belarus, sich registrieren zu lassen – daher nicht für sehr überzeugend. Zu hoch ist das Risiko für die russische und die weißrussische Führung, zu gering der Mehrwert für die russische Armee. Belarus wird aber ein militärischer Stützpunkt für Russland bleiben. Die gemeinsamen Übungen der der Armeen beider Länder werden weitergehen und sich intensivieren. Von weißrussischem Territorium aus werden weiterhin Luftangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine durchgeführt werden. Aber die Stiefel weißrussischer Soldaten auf ukrainischem Boden bleiben eher unwahrscheinlich.

Die Gerüchte über eine zweite Front an der ukrainischen Nordgrenze mehren sich. Russland könnte von belarussischem Territorium aus erneut gegen Kiev marschieren. Mehr noch, manche Beobachter rechnen mit einem aktiven Kriegseintritt von Belarus und einem gemeinsamen Angriff auf die Nordukraine.

Eine zweite Front würde ukrainische Soldaten im Norden binden; Soldaten, die dann an der mehr als 1.000 km langen Frontlinie in der südlichen und östlichen Ukraine fehlen würden. Dort würden die ukrainischen Verbände ausgedünnt. Allerdings gilt das auch für die russische Armee, die ohnehin einen Mangel an qualifizierten, trainierten und gut ausgerüsteten Soldaten aufweist.

Russland war am Beginn des Krieges von belarussischem Territorium aus in den Norden der Ukraine vorgestoßen; aber diese Verbände mussten sich Anfang April des letzten Jahres erfolglos zurückziehen. Fraglich also, ob die russische Armee in ihrem derzeitigen Schwächezustand dort noch einmal vorrücken will.

Beobachter, die einen solchen Vorstoß für möglich halten verweisen auf die 45.000 Soldaten der belarussischen Armee, die sich diesmal an der Offensive im Norden beteiligen könnten. Aber die Kampfkraft der weißrussischen Armee ist relativ gering. Ihre Soldaten sind mangelhaft trainiert und, vor allem, schlecht ausgerüstet. Der militärische Mehrwert für die russischen Streitkräfte wäre daher relativ gering. Dagegen könnte eingewendet werden, dass ein massiver Vorstoß die Ukraine zumindest für eine gewisse Zeit zwingen würde, massiv Truppen und Gerät im Norden einzusetzen. Ein erfolgreicher Vorstoß auf Kiev ist hingegen mit den derzeitigen in Belarus vorhandenen eigenen und russischen Soldaten sehr unwahrscheinlich.

Der Mehrwert eines direkten Kriegseintrittes von Belarus wäre daher überschaubar. Die politischen Risiken eines solchen Schrittes wären aber groß.

Eine überwältigende Mehrheit der belarussischen Bevölkerung lehnt einen Kriegseintritt ab. Auch in den Reihen der Soldaten, vor allem aber im belarussischen Generalstab, gibt es dagegen Widerstände. Der belarussische „Präsident“ Lukaschenko wäre also im Inneren mit erheblichen Risiken konfrontiert. Das Wiederaufflammen der Massenproteste im Jahr 2020, die nur mit brutaler Gewalt und Repression niedergeschlagen werden konnten, wäre sehr wahrscheinlich. Könnte die belarussische Regierung das noch einmal überleben? Wie massiv wären die Desertionen in der weißrussischen Armee?

Beobachter, die an einen Kriegseintritt von Belarus glauben, wenden dagegen ein, dass die belarussische Führung russischem Druck nachgeben müsse, weil Lukaschenko sich nur mit wirtschaftlicher, finanzieller und militärischer Unterstützung Russland an der Macht halten kann. Lukaschenko habe also gar keine andere Wahl. Diese Position aber vernachlässigt, dass auch die russische Führung über die innenpolitischen Risiken in Belarus weiß. Eine erneute Massenerhebung wäre auch für Russland schwer kontrollierbar. Der Verlust der Kontrolle über Belarus ist aber für Russland ein viel größeres Risiko als der Verzicht auf den direkten Kriegseintritt von Belarus.

Bei einem belarussischen Kriegseintritt würden auch die westlichen Sanktionen gegen Belarus erheblich verstärkt werden. Das wiederum würde die soziale Lage im Land weiter verschlechtern und es für Russland kostspieliger machen, Lukaschenko trotzdem an der Macht zu halten. Die Bürde der Finanzierung weißrussischer Gefolgschaft würde noch größer werden. Das in einer Situation, wo die westlichen Sanktionen die russische Wirtschaft immer härter treffen.

Der Autor hält die Gerüchte über eine belarussischen Kriegseintritt – verstärkt durch angebliche Aufrufe an Männer in Belarus, sich registrieren zu lassen – daher nicht für sehr überzeugend. Zu hoch ist das Risiko für die russische und die weißrussische Führung, zu gering der Mehrwert für die russische Armee. Belarus wird aber ein militärischer Stützpunkt für Russland bleiben. Die gemeinsamen Übungen der der Armeen beider Länder werden weitergehen und sich intensivieren. Von weißrussischem Territorium aus werden weiterhin Luftangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine durchgeführt werden. Aber die Stiefel weißrussischer Soldaten auf ukrainischem Boden bleiben eher unwahrscheinlich.

 

Dieser Kommentar ist als Gastbeitrag am 5.1.2023 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-warum-lukaschenko-sich-einen-kriegseintritt-nicht-leisten-kann_id_182219841.html)

Photo credit: https://www.rferl.org/a/belarus-ukraine-war-mobilization-rumors-lukashenka-putin/32084748.html