… terror …

In den letzten Monaten wähnten sich viele Beobachter der nordkaukasischen Islamistenszene in der trügerischen Hoffnung, die Rivalitäten und Differenzen zwischen den verschiedenen Fraktionen könnten eskalieren und der terroristische Widerstand auseinanderbrechen. Der Führungsanspruch von Doku Umarov, dem Emir des Emirats Nordkaukasus, war von säkularen oder moderat islamischen Kämpfern angefochten worden. Diese drängten darauf, die islamistische Agenda, die ganze nordkaukasische Region aus Russland herauszubrechen, aufzugeben und sich auf das Ringen um die staatliche Unabhängigkeit von Cecnja zu konzentrieren. Zwar bestehen diese Differenzen weiterhin, aber die militante Schlagkraft der Islamisten wurde dadurch ebenso wenig gebrochen, wie ihr Aktionsradius auf den Nordkaukasus beschränkt werden konnte.

Die russländische Führung begegnet dem islamistischen Nährboden seit vielen Jahren nicht nur mehr mit militärischen Mitteln – auch wenn brutale Säuberungsaktionen russischer Soldaten, Nachrichtendienstoffiziere und Einheiten des Innenministeriums den Rebellen immer wieder neue Rekruten zutreiben. Schon seit mehr als vier Jahren wird versucht, die missliche soziale Lage in den wirtschaftlich strukturschwachen Regionen zu verbessern. Die Finanzmittel, die dafür zur Verfügung gestellt werden, sind hoch; allein, vieles davon wird für untaugliche Projekte ausgegeben, viel Geld verschwindet in den Taschen korrupter Funktionäre. Trotzdem – an dieser Strategie gilt es, festzuhalten; sie ist unabdingbar notwendig und letztlich alternativlos.  Nur wenn durch eine Änderung am Arbeitsmarkt zivile Lebensperspektiven entstehen, kann eine langsame Einhegung der terroristischen Grauzone erreicht werden. Denn viele arbeitslose junge Männer treten in die Reihen der Islamisten ein – aus Hass auf die korrupten regionalen Führer,  aus dem Wunsch, getötete oder misshandelte Verwandte zu rächen, aber auch, weil der Krieg für sie ein Gewerbe geworden ist; es lässt sich viel Geld verdienen, wenn man sich als Söldner verdingt. Diese nicht-ideologischen Kämpfer aus den Rebellenreihen herauszubrechen ist eines der Ziele, die durch eine verbesserte wirtschaftliche und soziale Lage angestrebt wird. Aber selbst wenn dies gelingen sollte, wird das die terroristische Bedrohung nicht wesentlich eindämmen; eine Terrorstrategie kann auch mit einer niedrigen Zahl an Aktivisten fortgesetzt werden. Zumindest aber könnte dadurch erreicht werden, dass die Kollaboration der Zivilbevölkerung mit den Islamisten gebrochen wird. Die Islamisten könnten dann nicht mehr so stark auf die Unterstützung durch die Kaukasier zählen; Kampfoperationen würden damit schwieriger.

Der Kampf gegen die Terroristen ist aber auch eine nachrichtendienstliche Aufgabe. Unbestritten ist die ‘terroristische Migration’ zwischen afghanischen, pakistanischen und nordkaukasischen Schlachtfeldern.  Unbestritten ist auch, dass die islamistischen Rebellen finanzielle und militärische Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Natürlich ist Russland damit eben auch Opfer transnationaler islamistischer Terrornetzwerke – auch wenn das Land wie viele andere Staaten auch bisweilen deren Geburtshelfer war.

Die russische Regierung ist ratlos, wirkt beinahe hilflos bei der Suche nach neuen Wegen zur  Bekämpfung der nordkaukasischen Gewalteskalation. Die militärischen Mittel – dies gilt für den Einsatz der Streitkräfte wie die Einheiten des Innenministeriums – sind ausgereizt. Die brutalen Säiuberungsaktionen, die den Islamisten immer wieder neue Rekruten zugetrieben haben, sind auch zurückgegangen. Auch das hat bislang keine Ergebnisse gezeigt. Die feindselige Stimmung gegen die ‘Russen’ in weiten Kreisen der loaklen Bevölkerung ist ungebrochen. Die russische Führung weiss daher, dass ein Strategiewechsel gegen die eskalierende islamistische Gewalt weder möglich noch zielführend ist.

Mit jedem Terrorakt aber, erhalten die nationalistischen Hetzer in der russischen Bevölkerung mehr Zulauf. ‚Rußland den Russen‘ ist die Losung, die immer mehr Zuspruch findet. Die Mahnungen Medvedevs, auch die Bewohner des nördlichen Kaukasus als Mitbürger mit gleichen Rechten anzusehen, bleiben ungehört. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Russen und Kaukasiern werden weiter zunehmen.

Es ist also müßig, nach jedem Anschlag danach zu fragen, ob eine Strategie der Regierung versagt habe oder ob ein grundlegender Strategiewechsel erforderlich sei. Der Ansatz der Regierung  ist richtig, aber die praktische Umsetzung ist schwierig. Wichtiger aber noch: diese terroristische Bedrohung wird noch viele Jahre weiterbestehen. Die menschlichen, sozialen und ideologischen Verwerfungen  in der Region ind erheblich. Die Einmischung von außen ist es auch. Der Terror wird weitergehen: Daran muss sich Russland gewöhnen.

15 thoughts on “… terror …”

  1. Solange die Djihadisten in der Lage sind, “Schwarze Witwen” für ein “kaukasisches Emirat” zu rekrutieren und einzusetzen, wird sich beim angesagten Terror “bis ins Herz Russlands” nichts ändern.
    Und “Schwarze Witwen” gibt es im Nordkaukasus immer mehr. Putin sorgt dafür …

  2. Der letzte Satz mutet erschreckend an! Die hier angestellten Gedanken bilden die trieste Realität wohl anschaulich ab. Die Wiederaufbaubestrebungen Cecnjas seitens Russlands sind tatsächlich der einzig richtige Weg, dieser Region Frieden zu bringen und auch den Terrorismus einzudämmen.
    Es kann also nicht ein Phänomen, evoziert durch militärische Gewalt durch Ebendiese beendet werden. Die Rhetorik Putins, der Rache schwört, stammt wohl noch aus früherer Zeit…

    Es sind auch nicht allein schwarze Witwen Täterinnen, aber dies ist eine sehr traurige Entwicklung. Damit werden die Schwächsten für abscheulichste Absichten instrumentalisiert.

    Wenn der gesamte Nordkaukasus seine Unabhängigkeit möchte, um ein “Emirat” zu gründen, warum lässt Russland diese Bestrebungen nicht zu? Geht es dabei auch um wirtschaftliche Interessen, abgesehen von Bedenken bezüglich Islamismus und dessen Macht?

  3. Ja, das ist alles sehr bedauerlich. Allein: Es ist die Realität! Der versucht nun Präsident Medwedew dadurch zu entkommen, dass er – wie soeben in Davos vorgestellt – den Nordkaukasus (in Ermangelung von Öl und Gas) zu einem Wintersportparadies ausbauen möchte. Es wird hierfür westlicher Investoren und Firmen bedürfen, die sich allerdings von den herrschenden Zuständen und der mangelnden Rechtssicherheit im wirtschaftlichen Treiben dieser Region kaum angezogen fühlen dürften. Womit sich die sprichwörtliche Katze in den Schwanz beißt: Ohne aussichtsreiche Zukunftsperspektive für die jungen Männer dort keine Beruhigung der Lage und ein nicht austrocknendes Reservoir an potenziellen Terroristen, solange Wladimir Putin (getreu seiner Sozialisation) archaischen Rachegelüsten (“bis auf den Lokus”) frönt …

  4. Würde ein “Emirat” des Nordkaukasus ähnliche Züge wie das von den Taliban angestrebte Regime in Afghanistan tragen? Ein solches zu verhindern wäre auch meiner Ansicht nach unerlässlich. Und genau hier beginnt die Gewalt gegen die ich mich ja immer vehementest ausspreche.
    Zweifelhafte Ideologien, Machtrausch, Gier und Rachedurst sind wohl die aushöhlendsten Eigenschaften der internationalen Politik oder fundamentaler, des Menschen.

  5. “Weiteres Blut und Tränen versprich Umarov, die nächsten Attentäter seien bereits unterwegs”, meinte Markus Müller in einem Bericht über das Internet Bekenntnis von Doku Umarov zu diesem Anschlag. “Aufspüren, bestrafen, vernichten” möchte Medvedev und “im Kaukasus haben 8 von 10 Erwachsenen keine Arbeit und so schließen sie sich dem radikalen Islam an.”
    …und der Terror geht weiter, nur wann und wo ist die Frage…

    🙁

  6. Unschuldige Menschen aus dem Nordkaukasus sind in diesem Krieg gegen den Terror “außergerichtlich bestraft”, erniedrigt, gefoltert und ermordet worden. Wo führt das hin? Vermutlich nicht zum dauerhaften Frieden.

  7. zu Karl Heiden Eintrag 3:
    Meinten Sie mit “bis auf den Lokus” gehegter Rachegelüste, Putins Entgleisung, er wolle die Tschetschen das Klo runter spülen?

  8. http://kurier.at/nachrichten/2067729.php

    “Der Widerstand ist ungebrochen”

    Die Wortwahl ist interessant: Widerstand oder Terrorismus?

    Widerstand ist eigentlich positiv konnotiert und diesem Zitat zufolge geht es um brechen. Aber wen und wie? Gebrochene erlernen das aufrechte Gehen nur sehr schwer und sollte es zu unrecht geschenen, wird unendlicher Hass erweckt. Brechen ist der falsche Weg, auch wenn Sie sagen werden, sich einer Metapher zu bedienen.
    Ich denke hier völllig anders und kann nicht umhin, zu kommentieren.

  9. Terroristen – Rebellen – Kämpfer …
    Eine ähnliche Verwirrung der Begriffe hat es auch Anfang der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts im Zusammenhang mit den Attentaten in Südtirol gegeben. Damals kam auch noch die verniedlichende Bezeichnung “Bumser” hinzu: Wir werden daran wieder Mitte Juni erinnert werden, wenn sich die “Bozner Feuernacht” zum 50. Male jähren wird. Die Art der Bezeichnung hing jeweils vom Standort bzw. Standpunkt des Betrachters (oder Akteurs) des Geschehens ab: War es für die Italiener reiner Terror, der da unter ihren “Besetzeraugen” stattfand, so sahen sich Klotz, Amplatz und weitere Tiroler Aktivisten als reine “Freiheitskämpfer”, die sich nach ihrer Auffassung berechtigterweise gegen erlittenes Unrecht zur Wehr setzten. Die Meinungen der Historiker und Politikwissenschaftler darüber sind (mit Ausnahme der eindeutigen Rolle Norbert Burgers und seiner deutschnationalen Konsorten) bis heute noch nicht abgeklärt einheitlich und man kann darüber ausführlich in dem instruktiven Band “Ein Tirol – Zwei Welten” von Manuel Fasser (StudienVerlag 2009) nachlesen. Ähnlich verhält es sich eben auch mit den Ereignissen in Nordkaukasien, was die erklärende (?) Semantik betrifft. Unterschiedlich sind natürlich bei weitem die Dimensionen und Voraussetzungen der Geschehnisse.

  10. Leider ist “Widerstand” nicht immer gewaltlos, obwohl dies viel eher zum Ziel führen würde. Vielleicht ist an diesem Punkt eine Grenzziehung möglich: Gewaltbereitschaft und deren sinnlose Ausübung ist Terrorismus. Sinnvolle Gewalt kann es ohnehin nicht geben, aber es ist ein Faktum, dass sie immer existieren wird und manchmal außer Kontrolle gerät, ohne dass jemand direkt dafür zur Verantwortung zu ziehen wäre. Die anfangs friedlichen Proteste in Ägypten beispielsweise.
    Was die Begriffsverwischung betrifft, gebe ich Ihnen recht Herr Heiden, aber Tirol würde ich mit dem Nordkaukasus nicht vergleichen. Allein das menschliche Leid nahm Dimensionen an, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

  11. Ägypten ist kein gutes Beispiel, die Gewalt gegen die Demonstranten war ja organisiert und es gab schon allein deshalb durchaus Schuldige und Verantwortliche. Ich meinte, seitens der Protestierenden war keine Gewalt intendiert, was dann aber von Schlägertrupps radikal zerstört wurde.

  12. @ Lily: Wie kann den Protesten in Ägypten/Nord Afrika eine anfangs friedliche Intention unterstellt werden, wenn ägyptische (u.a) Demonstranten zuvor von den USA im “regime change” unterrichtet worden sind und anschließend in Nord Africa operieren?

    Aja, ich kanns mir denken. Es steht in der Zeitung…

  13. Ich sehe den Widerspruch, den Sie mit Ihrem Wissen bekunden und auch die Anmerkung einseitigen oder zu unkritischen Medienkonsum zu vermeiden! Danke für diese Anmerkung, ich nehme es mir zu Herzen!
    Es war auch spannend Quergedanken in diesem blog auszudrücken, und habe das sehr gern gemacht. Ich werd mich jetzt aber wieder der Arbeit in meinem Fach zuwenden, das mit Politik auch verwoben…

  14. “Mit jedem Terrorakt … erhalten die Hetzer … mehr Zulauf”.
    Trifft diese Aussage auch auf Belarus mit dem Hetzer Lukaschenko zu?

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