Wohin gehen die russisch-türkischen Beziehungen?

Putin war einer der ersten Gratulanten als Erdogan im Mai erneut zum türkischen Präsidenten gewählt wurde. Er nannte ihn einen „lieben Freund“. Russland hatte auf Erdogans Wahlsieg gesetzt. Zwischen Putin und Erdogan gibt es seit vielen Jahren eine enge Beziehung; beide teilen eine ähnliche Auffassung über autoritäre Herrschaft und personalistischer Politik. Beide Länder ziehen Vorteile aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die Türkei ist in der russischen Bauwirtschaft stark präsent, exportiert Obst und Gemüse nach Russland und die türkische Tourismuswirtschaft profitiert von den russischen Gästen. Im türkischen Energiesektor ist Russland ein wichtiger Akteur. Gazprom ist ein wichtiger Versorger der Türkei mit Erdgas; Russlands RosAtom baut im türkischen Akkuyu ein großes Nuklearkraftwerk.

Russland umgekehrt findet in der Türkei einen der letzten verbliebenen europäischen Kunden im Gasgeschäft. Gazproms Gasleitungen (Blue Stream und Turk Stream) bringen russisches Gas nicht nur in die Türkei, sondern auch nach Südosteuropa. Auch für die russische Rüstungsindustrie gab es Geschäftsmöglichkeiten mit der Türkei. Seit Ausbruch des Krieges ist aber vor allem die Weigerung der Türkei relevant, die westlichen Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Über die Türkei laufen auch (wenn auch immer weniger) bedeutsame Parallelimporte Russlands. Sanktionierte Güter werden von türkischen Unternehmen aus den westlichen Staaten verstärkt eingekauft und nach Russland weiter exportiert.

Trotzdem gibt es zwischen Russland und der Türkei auch geopolitische Konflikte. Beide Länder verfolgen konträre Interessen in Syrien, in Libyen und im Südkaukasus. In Syrien drängte die Türkei für viele Jahre auf die Absetzung von Machthaber al-Assad, Russland hingegen stützte ihn bei der Niederschlagung des bewaffneten Aufstandes. Im bürgerkriegsgeplagten Libyen unterstützte Russland General Haftar, die Türkei dessen Gegner – finanziell und militärisch. Im Konflikt zwischen Armenien und Azerbaijan hat die türkische militärische Unterstützung Azerbaijans zu einer völligen Machtverschiebung in der Region zu Lasten Russlands geführt. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern kann denn auch als „kontrollierte Rivalität“ bezeichnet werden.

Diese Zweckgemeinschaft zwischen Russland und der Türkei bekommt nun deutliche Risse. Erdogan hat den ukrainischen Präsidenten Selenskij  herzlich empfangen. Gerüchten zufolge wird die Türkei Haubitzen an die Ukraine liefern. Eine Vereinbarung über den Bau von türkischen Bayraktar TB2 Drohnen in der Ukraine wurde unterzeichnet. Ein wirklicher Affront gegenüber Russland war aber die Überstellung von 5 ukrainischen Kriegsgefangenen an die Ukraine; Mitglieder und Kommandeure der neonazistischen Formation Azov waren darunter. Russland hatte diese Kriegsgefangenen an die Türkei überstellt, verbunden mit der Auflage, dass sie nicht an die Ukraine übergeben werden.

Dazu kommt, dass Erdogan zugesichert hat, den Weg für die Mitgliedshaft Schwedens in der NATO freizumachen. Es ist zwar nicht so, dass man in der russischen Führung davon ausgegangen wäre, die Türkei würde den Beitritt Schwedens dauerhaft blockieren. Jetzt aber reiht sich diese türkische Haltungsänderung in eine Reihe von rezenten Schritten ein, die in Russland mit Argwohn aufgenommen werden. Steht die Türkei vor einer Wiederbelebung seiner Annäherung an den Westen? Geht der türkische Sonderweg, der diese Nähe zwischen Moskau und Ankara möglich gemacht hatte, zu Ende?

Es ist davon auszugehen, dass die Beziehungen der Türkei zu Russland für Erdogan weiterhin wichtig bleiben. Die beiderseitig vorteilhaften Beziehungen sind zu attraktiv. Beide Länder brauchen einander. Aber die Zeit, in der die türkische Führung noch einen Sonderweg mit Russland gegangen ist, dürfte vorbei sein.

In der russischen Führung redet man die neuen Entwicklungen klein und hält an der bisherigen Politik gegenüber der Türkei fest. Im russischen Parlament, der Staatsduma, und bei der russischen nationalistischen Rechten, nehmen aber die Stimmen zu, die die Einstufung der Türkei als „unfreundliches Land“ fordern. Ein solcher Schritt wäre für Russland aber ein Eigentor. Dazu wird es auf absehbare Zeit nicht kommen. Sollte es im August zu dem angekündigten Besuch Putins in der Türkei kommen, werden die weiteren Entwicklungslinien im bilateralen Verhältnis erkennbarer sein.

 

Dieser Kommentar ist am 14.7.2023 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/lieber-freund-erdogan-wendet-sich-von-putin-ab-eine-zweckgemeinschaft-bekommt-risse_id_199083855.html)

Photo credit: https://www.rferl.org/a/putin-erdogan-syria-iraq-talks-ankara/28761044.html

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