Neue Zuversicht im Kreml?

Die Provinz Luhansk ist gefallen! Die ukrainische Armee konnte durch massive Gegenwehr den russischen Vormarsch zwar deutlich verlangsamen. Letztlich aber mussten sich die ukrainischen Soldaten zurückziehen und der russischen Armee die Provinz überlassen. Die russische Führung sonnt sich in diesem Erfolg, auch wenn der Krieg für Russland noch lange nicht gewonnen ist – oder vielleicht auch gar nicht gewonnen wird.

Vor der eigenen Bevölkerung kann Putin die „Befreiung“ von Luhansk als großen Erfolg verkaufen. Nun kontrolliert die russische Armee 22 Prozent des ukrainischen Territoriums. Auf die glücklosen ersten Wochen haben die russischen Streitkräfte nun seit April deutliche Fortschritte und Erfolge erzielt. Der Erfolg kommt allerdings für die russische Seite zu einem hohen Preis: Die Zahl der Gefallenen und der Verwundeten dürfte sehr hoch sein. Auch an militärischem Gerät haben die Invasoren viel verloren. Dazu kommt, dass Russland zwar ukrainisches Gebiet erobert hat, aber dieses tote Landstriche sind. Durch heftiges Artillerie- und Luftbombardement hat Russland viele Städte dem Erdboden gleichgemacht. Darüber schweigen natürlich die russische Führung und die mediale Propaganda.

Es scheint aber, dass die militärischen Erfolge Putin wieder selbstbewusster, konzentrierter und zuversichtlicher auftreten lassen. Bemerkbar ist das nicht nur an seinem körperlichen Verhalten, sondern natürlich auch an seinen Äußerungen. „Wir hören heute, dass sie uns auf dem Schlachtfeld besiegen wollen.“ Das sollten sie nur versuchen. „Aber alle sollen wissen, dass wir alles in allem noch gar nichts ernstlich begonnen haben.“ Maßlos und siegestrunken sind diese Äußerungen Putins. Der Bevölkerung soll damit signalisiert werden, dass nichts – auch nicht westliche Hilfe – das Gelingen der „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine aufhalten könne. Westlichen Einschätzungen, die konventionelle Schlagkraft der russischen Armee sei überraschend niedrig, soll damit entgegnet werden, dass die russische Seite nur noch nicht alles, was ihr militärisch zur Verfügung steht, eingesetzt habe. Die ukrainische Führung, wichtiger noch die Bevölkerung, soll dadurch demoralisiert werden.

Putin strotzt wohl auch vor neuer Energie und Tatkraft, weil sich weder innerhalb der russischen Elite, noch in der Bevölkerung relevanter Widerstand gegen den Krieg formiert hat. Die liberalen Elemente der russischen Regierung sind kein Machtfaktor; so ist es auch relativ unerheblich, dass diese gegen den Krieg eingestellt sind. In der Bevölkerung wieder ist nur eine Minderheit gegen den Krieg eingestellt – das besser verdienende und besser gebildete, tendenziell jüngere urbane Wählersegment. Doch auch von diesen gehen nahezu keine Proteste mehr aus. Das hängt mit den drakonischen Strafen für unerlaubte Demonstrationen gegen den Krieg (der so gar nicht heißen darf) und „Verleumdungen“ der russischen Streitkräfte zusammen. Die Repression hat in Russland in den letzten Monaten weiter zugenommen. Nur wenige äußern daher noch öffentlich Protest. Zudem sind viele der kreativen, hochqualifizierten jungen Russen ausgewandert – geflohen vor der Repression im Inneren und den schwindenden Karriere- und Wohlstandsperspektiven im sanktionierten Russland. An der „Heimatfront“ hat Putin daher keine Bedrohung zu gewärtigen.

Putin tritt aber auch wieder zuversichtlicher auf, weil die westlichen Sanktionen noch keine desaströsen Wirkungen auf die russische Wirtschaft und den Finanzsektor gezeitigt haben. Geschickte Zentralbankpolitik hat den Außenwert des russischen Rubel erhalten; die Leitzinsen wurden durch die Zentralbank wieder auf Vorkriegsniveau gesenkt. Die Inflation dürfe in diesem Jahr mit ca. 15 Prozent sehr hoch sein, aber doch deutlich unter dem Wert liegen, der vor drei Monaten für heuer noch erwartet worden war. Durch erhöhte Sozialausgaben versucht die Führung, die Inflationswirkungen abzumildern. Exporte von Energieträgern und Metallen führen dem Land weiterhin starke Devisenmengen zu. Die Wirkung der Sanktionen wird sich in den nächsten Monaten noch deutlicher entfalten, aber der von russischer Seite befürchtete Sanktionsschock ist ausgeblieben.

All das erklärt die siegestrunkene neue Arroganz der russischen Führung. Es ist aber keineswegs sicher, wie weit sich die russische Armee in der Ukraine noch ausdehnen kann. Zwar ist es wahrscheinlich, dass sie den noch nicht kontrollierten Teil der Provinz Donezk in einigen Wochen erobern wird. Ob darüber hinaus aber weitere Offensiven noch möglich sein werden, ist fraglich. Für Großoffensiven fehlen sowohl Soldaten und militärisches Gerät. Ukrainische Gegenoffensiven lassen derzeit zwar noch auf sich warten, aber mit immer stärkeren westlichen Waffen, sollte es den ukrainischen Streitkräften aber zumindest gelingen, einen weiteren Vormarsch der russischen Seite aufzuhalten und der russischen Armee große Verluste zuzufügen. Das siegessichere Verhalten Putins wird sich an den zu erwartenden neuen Realitäten messen lassen. Die russische Führung ist sich dieser Risiken natürlich bewusst, zeigt das aber nicht nach außen – nicht gegenüber der eigenen Bevölkerung, noch dem Lager der Gegner.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Krieg noch viele Monate dauern wird. Es wird sehr wahrscheinlich ein Abnützungskrieg bleiben. Die Kampfhandlungen werden so lange weitergehen, wie die beiden Seiten erwarten, militärisch noch Erfolge erzielen zu können, um ihre Verhandlungsposition zu verbessern. Der Wintereinbruch wird die Kampfhandlungen sicher deutlich einfrieren. Aber nur vorübergehend. Es wird wieder Frühling werden.

Dieser Text ist als Gastbeitrag am 12. Juli 2022 auf focus.de erschienen:

https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/analyse-von-gerhard-mangott-siegestrunkene-arroganz-der-russischen-fuehrung-warum-putin-wieder-zuversichtlich-ist_id_114506700.html

Photo credit: https://www.indiatimes.com/trending/social-relevance/what-is-kremlin-562973.html

2 thoughts on “Neue Zuversicht im Kreml?”

  1. Die Last von Putins Krieg gegen die Ukraine wird der durchschnittliche russische Bürger jahrzehntelang, wenn nicht länger, tragen. Der Schaden, der der russischen Gesellschaft, der Wirtschaft, ihrem Militär, ihrer politischen Entwicklung und ihrem internationalen Ansehen zugefügt wird, wird Putin weit überdauern.

    Drei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums werden die Russen in die Zeit zurückversetzt, als die Sowjetbürger isoliert vom Rest der Welt lebten, in einer Blase aus gescheiterter Ideologie und Fehlinformationen. So wie das Sowjetsystem zusammengebrochen ist, wird auch Putin’s Reich zusammenbrechen.

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