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Raketenabwehr und taktische Nuklearwaffen

Nach der Einigung zwischen den USA und Tschechien über die Errichtung einer Radaranlage in Brdy als zentrale Komponente der strategischen Raketenabwehr im östlichen Europa hat Russland mit scharfer Rhetorik reagiert. Dies hat eine taktische und eine strategische Komponente. Taktisch versucht Russland mit militärischen Eskalationsdrohungen die Ratifizierung des Abkommens durch die Abgeordnetenkammer in Prag zu verhindern. Die Regierung Topolanek ist dazu auf die Unterstützung der Regierungskoalition durch Abgeordnete anderer Parteien angewiesen. Moskau nutzt dabei auch den Umstand, dass 70 Prozent der tschechischen Bevölkerung das Abkommen ablehnen.

Strategisch fühlt sich Russland aber tatsächlich bedroht. Das gilt nicht so sehr für die technischen und militärischen Fähigkeiten der Anlagen in Tschechien und Polen – der Aufklärungskapazität der Radaranlage in Brdy im Verbund mit bereits bestehenden Radaranlagen im nördlichen Norwegen und auf den Aleuten; oder der technischen Fähigkeit der Interzeptoren in Polen, russländische Interkontintalraketen auf ihrer transpolaren Flugroute abzufangen. Das derzeitige nuklear bestückte Arsenal an russländischen land- und seegestützten Interkontintentalraketen (ICBMs und SLBMs) ist dafür zu groß; auch bestehen erhebliche Zweifel, dass dies die Absicht der amerikanischen Militärplaner ist. Es ist aber anzumerken, dass die Interzeptorenstellungen ausgebaut werden können und zugleich die Zahl der Interkontinentalraketen Russlands bis 2015 stark zurückgehen wird.

Auch die in Moskau derzeit geäusserte Sorge, die Interzeptoren könnten nuklear bestückt und mit einer geringen Vorwarnzeit zu einem Enthauptungsschlag gegen Moskau benutzt werden, ist nicht haltbar, weil dies technisch kaum durchführbar ist.

Die eigentliche Sorge Russlands gilt dem systematischen Aufbau einer militärischen Präsenz der USA in Osteuropa. Nach der Errichtung von Basen in Rumänien und Bulgarien, werden nunmehr auch amerikanische Soldaten in Tschechien und in Polen (oder Litauen) stationiert sein. Darüberhinaus hat Condoleezza Rice vor wenigen Tagen in Sofia erklärt, mehere Staaten der Region würden ‚in der einen oder anderen Weise‘ in die Raketenabwehranlage eingebunden werden. Russland fürchtet daher eine militärische Einkreisung, zumal die USA auch militärische Präsenz in Georgien (Militärberater sind bereits vor Ort) und Aserbajdžan anstreben und auch in Kirgisistan über die Luftwaffenbasis Manas verfügen.

Russland wird darauf mit assymetrischen militärischen Massnahme reagieren, allen voran mit der Stationierung von taktischen Nuklearwaffen in Kaliningrad (und möglicherweise auch in Belarus). Dadurch wird ein informelles Übereinkommen zwischen Russland und der USA aus dem Oktober 1991 gebrochen, taktische Nuklearwaffen (TNWs) radikal abzurüsten, nur noch luftgestützt zuzulassen und die restlichen TNWs in zentralen Lagerstätten (central storage facilities) aufzubewahren. Die Stationierung von TNWs in Kaliningrad wäre kein Vertragsbruch, aber eine Abkehr von einem weiteren Element der strategischen Rüstungskontroll- und Sicherheitsarchitektur zwischen den beiden Grossmächten. Auch eine Kündigung des INF-Vertrages aus 1987 über die Zerstörung von ballistischen Trägermitteln mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 km durch Russland ist möglich.

Das Ergebnis der Raketenabwehrpläne der USA könnte daher eine weitere Erosion der Abrüstungsarchitektur sein, die seit SALT I und ABM-Vertrag in 1972 errichtet wurde. Ein zweifelhafter ‘Gewinn’ angesichts der ungesicherten technischen Funktionsfähigkeit der Missile Defense. Nach dem Auslaufen des Start-I Abkommens in 2009 und des Moskauer Vertrages 2012, der Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA 2001/02 und der Suspendierung des KSE-Vertrages durch Russland bricht die vertragliche Rüstungskontrolle zusammen.

… iranisches gas, full version …

Die Europäische Union hat 2006 18.7 Prozent der globalen Rohölproduktion und 17 Prozent der Gasproduktion konsumiert. Die EU besitzt aber nur 0.6 Prozent der globalen Öl- und nur 1.4 Prozent der globalen Gasreserven. Zugleich aber sind 39.6 Prozent des Primären Energieaufkommens der EU Öl und 26.6 Prozent Erdgas.

Die EU ist daher stark vom Import fossiler Brennstoffe abhängig, immer mehr auch bei Erdgas. 37 Prozent des Gaskonsums der EU werden derzei eigenproduziert, 62.7 Prozent des Erdgaskonsums aber müssen bereits importiert werden. Der Importanteil wird weiter anwachsen, weil die Erdgasförderung innerhalb der EU stark rückläufig ist – dies gilt besonders stark für die Gasproduktion im britischen Sektor der Nordsee – der Erdgasverbrauch aber deutlich zunehmen wird. 29 Prozent des europäischen Gaskonsums werden aus Russland importiert, 17 Prozent aus Norwegen und 13 Prozent aus Algerien und fast 3 Prozent aus Nigeria.

Angesichts der Importabhängigkeit im Gassektor von nur wenigen Anbietern ist die EU sehr daran interessiert, sowohl Gasversorger als auch Gasversorgungsrouten zu diversifizieren. Ein Schlüsselprojekt ist dabei die Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus dem nahöstlich-kaspischen Raum in die EU führen soll; vom türkischen Erzurum über Bulgarien, Rumänien, Ungarn bis zur Gasverteilerplattform in Baumgarten.

Das von der OMV geführte Betreiberkonsortium (dem auch die deutsche RWE, die ungarische MOL, die rumänische Transgaz, sowie Bulgargaz und die türkische Botas angehören) konnte bislang noch keine auseichenden Gaslieferverträge abschließen – noch nicht einmal für die start-up Phase, deren Beginn mittlerweile auf 2013 verschoben wurde und die ein Mindestaufkommen von 9 Mrd. m3 (bcm) erfordert. Erdgas aus Azerbajdžan ist für die erste Ausbaustufe die zentrale Bezugsquelle. Die derzeit ausgebeuteten Felder Azerbaidžans liefern bislang nur 9 bcm, von dem der wachsende Binnenverbrauch aber auf die bereits bestehenden Lieferverpflichtungen an Georgien und an die Türkei abgedeckt werden müssen.

2013 wird mit der Phase 2 der Förderung im Shah-Deniz Erdgasfeld zusätzliches Gas in Azerbajdzan produziert werden, aber vorerst nur ca. 15 bcm. Betreiber dieses Konsortiums ist British Petroleum. Nabucco muss daher zusätzlich auf andere Lieferländer zurückgreifen. Das kann auch Russland sein, auch wenn damit das strategische Ziel der Lieferländerdiversifikation aufgeweicht würde.

Die erste Option für das Nabucco-Konsortium ist daher turkmenisches Erdgas. Turkmenistan produzierte 2007 68 bcm, hat aber ab 2010 Lieferverpflichtungen im Umfang von 125 bcm – 85 bcm an Russland, 30 bcm an China und 10 bcm an Iran. Nachdem es bislang keine unabhängigen Schätzungen über die Erdgasreserven Turkmenistans gibt, wird Turkmenistan zumindest auf absehbare Zeit kein ausreichend hohes Fördervolumen für Nabucco bereitstellen können. Zudem müsste dazu eine Pipeline von Turkmenistan nach Baku geführt werden; aufgrund des umstrittenen völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meeres ist aber auch dieses Vorhaben schwierig.

Darüber hinaus verhandelt Turkmenistan derzeit auch über den Ausbau seines Exportvolumens in den nördlichen Iran und an der TAPI-Leitung, mit der turkmenisches Gas über das westliche Afghanistan nach Pakistan und Indien exportiert werden soll.

Zusätzlich zum turkmenischen Erdgas könnte auch auf ägyptisches Erdgas zugegriffen werden, das derzeit über Jordanien bis nach Syrien transportiert wird. Diese ‚Arabische Gaspipeline‘ soll in die Türkei verlängert werden, wo deren Gas in Nabucco eingespeist werden kann. Die Türkei könnte dieses Gas aber auch im Mittelmeerhafen von Ceyhan in Flüssiggas (LNG) umwandeln und auf dem Seeweg exportieren.

Langfristig ist auch denkbar, dass das große, noch unerschlossene Gasfeld Akkas im westlichen Irak über die Arabische Gaspipeline in die Türkei geführt und in Nabucco eingespeist werden könnte.

Für die Rentabilität von Nabucco ist eine Transportmenge von 31 bcm erforderlich. Aus derzeitiger Sicht kann dieses Volumen ohne iranisches Erdgas nicht erzielt werden. Zwar exportiert Iran derzeit nur sehr wenig Erdgas (20 bcm) und zwar in die Türkei. Allerdings hält Iran nach Russland die zweitgrößten gesicherten globalen Erdgasreserven (16 Prozent). Bis zu 60 Prozent davon liegen in dem weitgehend unerschlosseneFeld ‚South Pars‘. Zugriff auf dieses Gas ist für die Energiesicherheit der EU strategisch unerlässlich.

Investitionen der OMV in den iranischen Gassektor sind daher sinnvoll. Die Beteiligung an der Entwicklung von Block 12 des South Pars Gas Field, Investitionen in die Flüssiggasproduktion (LNG) sowie Bezugsverträge von iranischem LNG, das über einen geplanten Regasifizierungsterminal in Kroatien leitungsgebunden nach Zentraleuropa transportiert werden kann, ist aus der Sicht verstärkter Energiesicherheit höchst wünschenswert.

Iranisches Erdgas kann über Landleitungen in Nabucco eingespeist werden, aber auch zusätzlich als LNG, ebenso wie qatarisches Flüssiggas, auf europäische Märkte geführt werden.

Vorbehalte gegen das iranische Regime und sein Vorhaben, eine nukleare Waffenoption zu entwickeln, sind zwar nachvollziehbar. Deswegen aber die Zusammenarbeit im Energiesektor zu blockieren, ist aus strategischen Überlegungen nicht zweckmäßig. Zwar ist es richtig, dass die steigende Exportkapazität im Gassektor für Iran zusätzliche Exporteinnahmen ermöglicht. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass nicht nur EU Konzerne Interesse an den iranischen Erdgasvorkommen haben. Es sind Indien und China, und mittelfristig auch Japan, die erhebliche Gasimporte aus Iran anstreben.

Die Errichtung eines Leitungsnetzes von Iran über Pakistan nach Indien – die so genannte ‚Friedenspipeline IPI‘ – könnte auch nach China verlängert werden. Auch ist ein Ausbau der LNG-Kapazitäten Irans zu erwarten, wodurch zusätzliche Exportmärkte erschlossen werden können.

Auch die russländische Gazprom schickt sich an, in den iranischen Markt massiv einzusteigen. Das iranische Regime wird also ohnehin aus dem Gasexport zusätzliche Exporteinnahmen gewinnen können. Es stimmt natürlich, dass die europäische Fördertechnologie der chinesischen deutlich überlegen ist; richtig ist auch, dass Iran kein Interesse hat, lediglich nach Osten führende Exportleitungen aufzubauen.

Aber genau daraus ergibt sich das gemeinsame Interesse des Iran und der EU im Gassektor. Investitionen der OMV in der iranischen Gaswirtschaft sind daher nicht nur aus Sicht erwartbarer Unternehmenssgewinne, sondern v.a. aus Energiesicherheitserwägungen der EU unabdingbar. Diese müssen auch gegen den Widerstand der USA über den Iran Libya Sanctions Act (1996) durchgesetzt werden. Dies kann derzeit aber als wenig wahrscheinlich gelten, zumal Royal Dutch Shell und Repsol ihren Rückzug aus Block 14 von South Pars einleiten (wohl aber Block 23 und 24 halten werden).

Neben der USA ist es auch Russland, das kein Interesse am Erdgasexport Irans in die EU hat. Gazprom möchte den europäischen Markt exklusiv bedienen und wird alles daran setzen, Irans Gasexporte in die EU zu blockieren und nach Osten zu leiten. Der Verzicht der EU auf iranisches Gas wäre daher ein törichter Beitrag zur Errichtung eines Gaskartells, das erheblichen Preisdruck auf den europäischen Gasmarkt bewirken könnte.

Dies ist die Vollversion eines Kommentars, der am 18. Juni 2008 in der Zeitung ‘Die Presse’ leider nur gekürzt publiziert wurde.

Foto: http://www.umweltschutz-bw.de

Dieser Text ist Im jänner 2009 nochmals unter http://www.oekonews.at/index.php?npf_cache=update&mdoc_id=1036622 erschienen.

_das abchasische Amselfeld oder das Märchen vom bösen Frosch_

Es ist wie ein Märchen. Zwei Landstriche. Beide sind Teile anerkannter Staaten. Diesen Staaten darf man sie nicht wegnehmen; das internationale Recht sagt das: territoriale Unversehrtheit – oder so.

In den Landstrichen leben ethnische Minderheiten. In dem einen bilden sie noch immer eine Mehrheit. Im anderen nicht mehr. Dort wurden Sie schon vor langer Zeit von fremden Soldaten vertrieben. Die wenigen, die geblieben sind, wurden in ihrem eigenen Landstrich zu einer kleinen Minderheit, weil andere Völker dorthin gesiedelt wurden.

Vor wenigen Jahren wurden die beiden kleinen Völker Opfer des hemmungslosen Nationalismus der Merheitsvölker. In die Landstriche fielen Soldaten und Söldner ein und vertrieben und mordeten viele Leute.

Den Bedrängten wurde Hilfe durch andere Staaten zuteil. Das war zwar ein Bruch des internationalen Rechts, aber es half den Opfern. In beiden Fällen aber waren die Opfer auch grausam und vertrieben andere Menschen – jene des Mehrheitsvolkes.

Die Helfer von Aussen haben immer wieder versprochen, den Staaten diese Landstriche nicht wegzunehmen; dürfen sie ja auch nicht; wäre auch nicht erlaubt.

Aber plötzlich war ein kleines Stück vom einem der Staaten weg. Das ist gut so – sagten die Helfer von aussen. Das andere Stück ist aber noch drin – in dem anderen Staat. Das soll so bleiben – sagen die, die doch gerade das eine Stück zu einem Staat gemacht haben.

Ich kann nicht erklären, warum das so ist. Aber vielleicht ist eben alles viel komplizierter. Oder aber es ist eben Landstrich nicht gleich Landstrich, oder die einen Völker nicht wie die Anderen, oder das eine Interesse anders als das Andere.

Iranian gas – we can’t afford to lose it

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The EU-27 consumed 18.7 per cent of world oil production, 17 per cent of the world’s gas production in 2006. The EU is highly dependent on fossil fuel imports. 62.7 per cent of gas consumption in the EU-27 is currently (2006) imported. Moreover, the EU’s dependence on imported energy is set to grow further given that the EU’s domestic deposits (mainly those in the North Sea) are largely depleted and therefore its own hydrocarbon production will inevitably decline. Although the EU produces 37 percent of its gas consumption, 29 percent of gas consumption originates in Russia. Norway provides 17 per cent and Algeria 13 per cent of EU oil consumption.

The EU is most interested in diversifying both its gas suppliers and the supply routes. At the very center of the EU’s route diversification efforts is the Nabucco-Pipeline, set up by the Nabucco Gas Pipeline International consortium that consists of six companies (OMV, RWE, MOL, Transgaz, Bulgargaz und Botas), with Austria’s OMV in the lead. Nabucco is supposed to stretch from Erzurum, Turkey – the terminal point of the Trans Caspian Gas Pipeline – to Baumgarten, Austria, which will become its terminal point and major distribution center.

So far, the Nabucco consortium has been unable to contract sufficient gas even for the start-up phase of the venture. The start-up phase is set to begin in early 2012, although it may be delayed to 2013. Azerbaijani gas production will be crucial for the viability of Nabucco. Gas from Azerbaijan for the Nabucco pipeline will, as of today, most likely not exceed 10 bcm annually in the medium-term future. Nabucco, however, is expected to be economically profitable only with a target capacity of about 30 bcm. The first phase of Shaz Deniz, which was launched in late 2006, is about to produce up to 15 bcm/year. In early October 2007, plans for extricating gas in phase II of the Shaz Deniz project had to be delayed by one year to 2013.

Two other facts further reduce the gas available for exports through Nabucco, though: With Azerbaijan’s domestic consumption on the rise, export volumes might stagnate. What is more, Azerbaijan is committed to supply gas to Turkey and Georgia, which further reduced the gas volumes available for Nabucco. Nabucco could also be rendered viable through the inclusion of Iranian gas. The U.S., however, is exerting pressure on the Nabucco consortium to exclude Iran from the project. After OMV signed a memorandum with Iran on investment in three blocs of Iran’s giant gas field South Pars, the company was harassed by the U.S. on the basis of the Iran Sanctions Act of 1999. OMV seems to have succumbed to U.S. pressure, but the Turkish and Iranian governments are keen to go ahead with their cooperation on developing the large South Pars gas field and transport part of the produced gas to Turkey. The gas reserves of that field are estimated as 53.8 bcm.

In case Turkey and Iran will eventually sign an agreement on the joint development of South Pars, the produced gas will be exported to Turkey via existing pipelines and could feed the Nabucco pipeline. However, it could also be liquefied and export by tanker via Ceyhan.

If Nabucco was to be working, Iranian gas has to be included. This requires huge financial investments and technology transfer as gas production in Iran is rather low and only about 20 bcm currently are exported. The EU can’t afford to wait for regime change in Iran for tapping Iranian gas reserves. If it is not the EU, many major economic players are keen to buy Iranian gas, particularly India and China. Rerouting Iranian gas exports to the east is in the vested interest of Russia.

Excluding Iranian gas for the EU market means deepening the EU’s gas dependence on Russia. It’s about time to make crucial decisions. Iranian gas is vitally important for the EU gas supply security. You got to buy what you need.

Photo: http://www.spiegel.de/international/0,1518,470353,00.html

_machtwechsel_

Die Erklärungen in der Forschergemeinde über das zukünftige Verhältnis zwischen D. Medvedev und V. Putin sind wenig einheitlich; es ist aber wohl ohnehin verfrüht, dazu eine abschliessende Position zu vertreten. Mehrheitlich wird angenommen, dass Putin die Macht in das Regierungsamt verlagern und Medvedev schwächen wird. Obwohl Putin und Medvedev eine Änderung der Verfassung zu diesem Zweck ausgeschlossen haben, lässt sich dieses Ziel auch auf dem Verordnungsweg und einfachgesetzlich erreichen. Zentrale Indikatoren für eine Stärkung des Regierungsamtes wären:

Die Reorganisation der Regierung, mit der die Verwaltungsreform von 2004 zurückgenommen wird. In der Regierung würde eine breite Führungsebene aus zahlreichen stv. Regierungschefs eingezogen. Wenn Putin diese Ämter mit loyalen Kadern bestellen kann, entlastet er sich selbst von der Mikrosteuerung der Regierungsarbeit und weitet die Kontrolle über die Ministerialbürokratie aus. Mit einer Änderung des ‚Gesetzes über die Regierung‘, die einfachgesetzlich erfolgen kann, kann Putin sich die bislang dem Präsidenten rechenschaftspflichtigen Ministerien (Äußeres, Inneres, Verteidigung, Justiz) unterstellen

Dadurch wäre es auch möglich, die Rechenschaftpflicht der Gouverneure vom Präsidentenamt zur Regierung zu verlagern. Zwar würde weiterhin der Präsident die Gouverneure ernennen, er könnte aber dazu gezwungen werden, dabei die Regierung zu konsultieren. Auch könnte Medvedev dadurch die Kontrolle oder gar das Ernennungsrecht der Leiter der sieben Großregionen Russlands verlieren.

Ein weiterer wesentlicher Indikator für die Machtverlagerung wäre der Abzug von Schlüsselpersonen aus dem Präsidialamt in den Regierungsapparat. Dazu zählen Igor Sečin, stv. Leiter des Präsidialamtes und Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Viktor Ivanov, Kanzleichef Putins und Aufsichtsratsvorsitzender des Rüstungskonzerns Almaz Antej, FSB-Direktor Patrušev und Wirtschaftsberater I. Šuvalov. Indikativ ist auch, wer auf der Aktionärsversammlung von Gazprom Ende Juni zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wird: Wenn es der derzeitige Regierungschefs V. Zubkov sein wird, kontrollieren die Sicherheitsdienste neben Rosneft auch Gazprom.

Es kann als sicher gelten, dass Medvedev, v.a. aber sein Lager dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen werden. Medvedevs Unterstützung kommt vor allem von seinen Studienkollegen an der Rechtsfakultät in St. Petersburg: Sein engster Freund, Anton Ivanov, ist der Vorsitzende des Obersten Schiedsgerichtes; aber auch am Verfassungsgericht sitzen mit Sergej Kazancev und Sergej Mavrin zwei Getreue; dazu kommt auch der Leiter des Amtes der Gerichtsvollzieher Nikolaij Vinničenko.

Auch im Lager des zukünftigen Präsidenten sind derzeit aus taktischen Gründen die moderaten Mitglieder der Nachrichtendienste: der Leiter der einflussreichen Drogenkontrollbehörde Čerkesov, der frühere Verteidigungsminister Sergej Ivanov. Dazu kommen die gazpromniki, Verbindungsleute Medvedevs bei Gazprom, allen voran der stv. Vorsitzender der Gazprombank Ilja Jelisejev und der stv. Leiter der Rechtsabteilung von Gazprom Konstantin Čujčenko. Aber auch in der Großindustrie hat Medvedev Verbündete, wie den Leiter der Staatsindustrieholding Rostechnologii Sergej Čemezov und der CEO der Eisenbahnen Vladimir Jakunin.

Zuletzt wird Medvedev auch von Schlüsselfiguren des früheren Präsidenten Jelzin unterstützt – Aleksander Vološin und dem CEO des staatlichen Energiekonzerns und der grauen Eminenz Jelzins Anatolij Čubajs. Medvedev ist also keine isolierte Figur in der Moskauer Führungselite. Sollte Putin also tatsächlich auf seine Entmachtung drängen, wird das nicht ohne Widerstand des Medvedev-Lagers erfolgen können. Dieses Ringen aber ist derzeit mit offenem Ausgang, bis Jahresende werden die wesentlichen Weichen aber gestellt sein.

Vielleicht ist es aber ohnehin nicht das Ziel Putins, Medvedev zu schwächen. Sollte Putin 2012 wieder in den Kreml zurückkehren wollen, wäre es wohl auch nicht in seinem Interesse, das Präsidentenamt an sich zu schwächen. Putins Übernahme des Regierungsamtes könnte auch dazu dienen, Medvedev gegenüber den radikalen siloviki wie Igor Sečin den Rücken zu stärken. Denn gerade aus diesem Lager ist vehemente Obstruktion gegen Medvedev zu erwarten.

Diesen Druck aufzufangen, könnte ein wesentlicher Grund für Putins Übernahme des Regierungsvorsitzes sein. Medvedev wird Zeit brauchen, seine faktische Autorität gegenüber den verschiedenen Lagern zu etablieren. Putin könnte ihm dazu den Rücken freihalten. Versagt Medvedev aber, ist eine Rückkehr Putins wahrscheinlich.

Putin sieht sich aber auch mit einer anderen Front konfrontiert. In den nächsten Monaten stehen unpopuläre Entscheidungen an: die weitere Liberalisierung der Gaspreise und die unvermeidbaren Preissteigerungen für kommunale Dienstleistungen wie Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Abfallbeseitigung und Heizanlagen, werden die aufgrund der hohen Lebensmittelpreise ohnehin starke Inflation von derzeit bis zu 15 Prozent in die Höhe treiben. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung richtet sich in Russland aber traditionell gegen die Regierung und nicht gegen den Präsidenten. Ein Einbrechen der hohen Beliebtheitswerte Putins wäre auch mit seiner Schwächung in der Führungselite verbunden.

Foto: http://mrchristo.wordpress.com

Dieser Kommentar ist in einer gekürzten Fassung in der Tageszeitung ‘Der Standard’ am 8. Mai 2008 erschienen. 

Drohnen und Drohen im Südkaukasus

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Die Lage in Abchasien verschärft sich, die militärischen Drohgebärden Russlands und Georgiens nehmen zu – und das ist gut so; für Russland und für Georgien. Die Regierungen beider Staaten sind an einer Verschärfung erheblich interessiert.

Die georgische Führung um den Präsidenten Saakashvili versucht durch eine Eskalation der Lage zweifachen Nutzen zu ziehen: zum einen stehen im Mai Parlamentswahlen in Georgien an; angesichts der sozialen Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten, die trotz anhaltend hohen Wirtschaftswachstums kaum ein höheres Haushaltseinkommen erzielen können; aber auch angesichts der autoritären und selbstgerechten, vermutlich auch korrupten Herrschaftspraxis Saakashvilis sind die Aussichten der Regierungspartei ‚Nationale Bewegung‘ düsterer geworden. Die Absetzbewegung aus der Staatspartei setzt langsam ein – so hat sich die Parlamentspräsidenten Burdschanadze von Saakashvili abgesetzt -, die Unterstützung für die, allerdings fragmentierte, Opposition, die noch dazu keine wirkliche Führungsfigur aufzubieten hat, nimmt zu. Saakashvili nutzt die militärische Krise nunmehr geschickt zur Beschwörung der nationalen Einheit, fordert die Opposition auf, nunmehr ‚zusammenzustehen‘. Wer könnte sich denn einem ‚Burgfrieden‘ verschliessen, wenn angeblich die Zerschlagung des Heimatlandes bevorstehe.

Russland wiederum setzt derzeit auf eine zweigleisige Strategie: Zum einen hebt die russländische Regierung sukzessive die Blockade- und Sanktionspoltik gegenüber Georgien auf: der russländische Botschafter ist zurückgekehrt, die Flug- Bahn- und Postverbindungen wurden wieder aufgenommen und für die nächsten Wochen wurde die Öffnung mehrerer Grenzübergänge, die Aufhebung der Importverbote für georgische Produkte und die Erleichterung der Visabestimmungen für georgische Wanderarbeiter angekündigt.

Gleichzeitig aber hat Russland die Lage in und um Abchasien aktiv eskalieren lassen: Russland hat das Abkommen über das Verbot von Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsbeziehungen aus 1996 aufgekündigt und durch einen Erlass Vladimir Putins der bereits bestehenden engen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen offiziellen Charakter gegeben. Den USA und der Europäischen Union damit gleichsam die Folgen der Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit deutlich zu machen, ist dabei aber wohl nur ein Nebenaspekt – wenn auch nicht völlig irrelevant.

Die Eskalation dient aber kurzfristig vor allem dazu, die substantiellen Autonomieangebote und Zusagen über Finanz- und Wirtschaftshilfe an Abchasien zu unterlaufen, die von der georgischen Führung Abchasien in den letzten Wochen ageboten wurden. Russland hat an einer Lösung des Konfliktes kein Interesse; vielmehr bietet ein verstetigter Konflikt für Moskau die Möglichkeit, die georgische Führung wenn nötig immer wieder unter Druck zu setzen.

Russland hat dabei ein zentrales strategisches Interesse – die Blockade eines Beitritts Georgiens zur NATO. Zwar wurde Georgien die Aufnahme in den Membership Action Plan (MAP) des Bündnisses beim NATO-Summit in Bucharest Anfang April verwehrt; gleichzeitig aber wurde das grundsätzliche Recht Georgiens auf Beitritt zur NATO bestätigt. Die Aufnahme in den MAP auf dem Außenministertreffen der NATO im kommenden Dezember war aber als durchaus möglich angesehen worden. Durch das Anheizen des Abchasienkonfliktes zielt Moskau sicherlich darauf ab, diese Entwicklung zu torpedieren. Russland erwartet, dass sich der Widerstand Deutschlands und Frankreichs gegen die Aufnahme Georgiens in die NATO verstärken wird, wenn sich die offenen Territorialkonflikte in Georgien verschärfen. Die beiden Staaten haben weder ein Interesse daran, ihre exzellenten (Wirtschafts-)beziehungen mit Russland zu belasten noch als Bündnismitglieder in südkaukasische Regionalkonflikte hineingezogen zu werden.

Das Kalkül Moskaus könnte aber durchaus scheitern. Der Druck der USA und der osteuropäischen Bündnismitglieder auf Deutschland und Frankreich, den Widerstand gegen Georgiens MAP-Beteiligung aufzugeben, wird sich verstärken. Paris und Berlin wird es zunehmend schwerer fallen, diesem hartnäckigen Druck standzuhalten. Anstatt den NATO-Beitritt Georgiens damit zu blockieren oder zumindest zu verzögern, könnte Russland letztlich die NATO-Türen für Georgien weit aufmachen.

Picture Source: http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/7362480.stm

Zwietracht oder die Freiheit des Wortes

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Fitna ist ein suggestiver dokumentarischer Kurzfilm – aus welcher Motivlage auch immer Geert Wilders ihn produziert hat. Das ist zunächst völlig unerheblich. Wilders’ Motive und Absichten sind deutlich weniger wichtig, als die Debatte über den Inhalt des Filmes und über den Umgang mit dem Film. Alles was Wilders zeigt, ist passiert – die Filmsequenzen zeigen Greueltaten des politischen Islam, die unter Berufung auf den Koran passier(t)en. Die Gewaltneigung politisierter islamischer Glaubensüberzeugungen ist ein offensichtliches Phänomen der vergangenen Jahre. Wilders dokumentiert, verdichtet, deutet, suggeriert, mobilisiert. Aber keine dieser Gewalttaten ist erfunden. Diese Morde sind passiert, die gewalttätige religiöse Mobilisierung liegt vor und sie ist kein Randphänomen.

Die Relevanz des Kurzfilms zeigt sich daran, ob ihm mit Debatten geantwortet wird oder mit vorauseilenden Distanzierungen, mit fanatischen Demonstrationen, Morddrohungen und Gewaltanwendung. Ist es nicht geradezu fatal, dass – wie im Fall der dänischen Mohammed-Karikaturen – in den Kritikern des Islam die Verantwortlichen für die Gewaltausbrüche fanatisierter Muslime in vielen muslimischen Ländern gesehen werden und nicht bei den Gewalttätern selbst. Ist die perzipierte oder tatsächliche Beleidigung einer Religion der Freibrief für religiöse Gewalt?

Das eigentliche Problem sind doch Menschen, deren Identität sich nur auf Religionen zu stützen vermag. Wenn diese Menschen argumentativ, polemisch oder zynisch in ihren Glaubensüberzeugungen herausgefordert werden, reagieren viele gewalttätig weil die Unfähigkeit zur rationalen Distanz emotionaler Schockiertheit und Irritation Bahn bricht.

Wilders wird vorgeworfen, mit ‚Fitna‘ gewalttätigen Protest muslimischer Gemeinschaften geradezu zu provozieren. Aber hat Wilders nun ein mögliches Verhalten – erwartete islami(sti)sche Proteste – verursacht, angestiftet oder hat er nur eine Geisteshaltung sichtbar gemacht? Warum akzeptieren derart viele, dass Glaubensüberzeugungen sich der polemischen, suggestiven, politischen, intellektuellen Kritik entziehen dürfen. Warum wird die Kritik des Islam zunehmend als verwerflich, unzulässig und riskant angesehen? Liegt darin nicht eine vorauseilende Unterwerfungshaltung, die verharmlost, sich andient, sich beugt. Warum verweigern liberale Demokratien entschlossene Gegenwehr gegen fundamentalistische, islamistische Verweigerungshaltungen gegenüber humanistischen Grundwerten?

Der relevante Aspekt der Debatte über ‘Fitna’ ist meiner Ansicht, die Angst, antiislamische Agitation zuzulassen. Manipulation, Beugung, Verdichtung, Täuschung und Lüge sind doch ständige Elemente unserer kommunikativen Wirklichkeit. Bemerkenswert ist doch, dass eine verletzende, verleumderische und provozierende Kritik des Islam – was ‘Fitna’ meiner Ansicht nach nicht ist – nicht mehr möglich zu sein scheint.  Es entsteht offensichtlich ein Einvernehmen, dass die Provokation der Muslime und ihrer Religion nicht stattfinden darf, unzulässig ist. Provokation und Beleidigung, die zurecht eine integratives Merkmal einer liberalen Diskussionsgesellschaft sein dürfen, sind nicht mehr länger zulässig, wenn der Islam Gegenstand derselben sind. Die Erklärung dafür ist die Angst. Angst vor der Reaktion gewaltbereiter und fanatischer Muslime.

Die Haltung der niederländischen Regierung ist erbärmlich – wie eben jene der Europäischen Union. Skandalös ist die Haltung Balkenende’s, in seiner offiziellen Funktion als Ministerpräsident im niederländischen Fernsehen umgehend eine Distanzierung von Wilders‘ Kurzfilm vorzunehmen. Wie kommen Regierungen eigentlich dazu, Meinungen ihrer Bürger zu verurteilen? Werden damit nicht Grenzen überschritten, die Meinungsfreiheit eingegrenzt und beschnitten? Wird da nicht letztlich sichtbar, dass europäische Regierungen aus Angst vor islamistischer Gewalt beginnen, die Grundrechte ihrer eigenen Bürger zu beschneiden? Die dänische Regierung unter Rasmussen hat diesen Kniefall vor dem gewaltbereiten politischen Islam nicht gemacht.Balkenende sollte vielmehr sich selbst und seine Regierung verurteilen, wie wenig sie sich um den Schutz von Ayan Hirsi Ali – der antiislamistischen Frauenrechtlerin – gekümmert hat.

Balkenende meint, ‘Fitna’ wolle verletzen. Wen? Die Attentäter von New York, Madrid, London, Bali, Djerba? Die islamistischen Hassprediger, die Steiniger und Schwulenhenker im Iran, die Enthaupter im Irak, die Genitalverstümmeler im Sudan, die Erdolcher in Amsterdam?

Wenn die Angst vor der Gewalt als Reaktion auf die Provokation dazu führt, die Provokation zu verbieten, hat Wilders mit ‘Fitna’ recht gehabt.

wilders’ meinungsfreiheit

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In der Debatte darüber, ob der Film ‚Fitna‘ des rechtskonservativen Vorsitzenden der niederländischen PVV Geert Wilders eine – wie auch immer zu qualifizierende – Nutzung des Rechts auf Meinungsfreiheit oder der provokative Missbrauch dieses Rechts ist, sei zunächst allen geraten, sich den Film anzusehen: http://www.liveleak.com/view?i=7d9_1206624103

In diesem blog werde ich in einigen Tagen mehr dazu schreiben; zunächst sei nur gesagt, dass die Beobachtung der Reaktionen auf diesen Film sozialwissenschaftlich wesentlich interessanter sein wird, als die Debatte über den Inhalt und die Motivlagen von Geert Wilders selbst.

Liveleak hat sich 26 Stunden nach der Veröffentlichung von ‘Fitna’ nach eigenen Angaben dazu entschliessen müssen, den Kurzfilm offline zu nehmen, um seine Mitarbeiter vor Gewalt zu schützen. Ein Epilog zu Fitna…