Dialog führen, Interessen stärken. Verhältnis EU-Russland

Das Verhältnis zwischen der EU und Russland ist zerrüttet. Misstrauen, Vorbehalte und Dialogabbruch halten nun schon sehr lange an. Die militärische Eskalation der Ukrainekrise durch Russland ist am stärksten für diesen Zustand verantwortlich. Auf Seite der EU hat aber eine Reflexion über den möglichen eigenen Anteil an der Entstehung dieser Krise nicht stattgefunden. Die Entfremdung zwischen der EU und Russland hatte aber längst vor der Ukrainekrise begonnen. Misstrauen und Vorwürfe sind auf beiden Seiten gewachsen; eine Einigung auf ein neues Rahmendokument für die bilateralen Beziehungen, das den 2007 eigentlich ausgelaufenen Partnerschafts- und Kooperationsvertrag hätte ersetzen sollen, waren viele Jahre erfolglos geblieben.

So sehr auch Ärger und Bestürzung über die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ukraine nachvollziehbar gewesen waren, war der Abbruch der Verhandlungen über ein neues bilaterales Rahmendokument und der halbjährlichen Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und der Troika der EU ungeeignete Schritte, um auf die Krise zu reagieren. Sollten denn nicht gerade in Zeiten der Entfremdung und des Misstrauens alle möglichen Kanäle der Kommunikation genützt werden?

Die Mitgliedsstaaten der EU haben sich dagegen entschieden, diesen Dialog zu führen. Darüber hinaus wurden, immer wieder verlängerte, wirtschaftliche, finanzielle und militärische Sanktionen gegen Russland beschlossen. Das Ziel der Sanktionen, Russland zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, wurde nicht erreicht. Die Bestrafung Russlands hingegen schon; die makroökonomischen Eckdaten und die Lebensverhältnisse der Menschen haben sich verschlechtert. Das ist eine magere Bilanz; dennoch will die Mehrheit der EU die Sanktionen fortschreiben. Die Mitgliedsstaaten, die dagegen sind, stimmen der Geschlossenheit der EU wegen immer wieder für ihre Verlängerung.

Die Aufhebung der Sanktionen wird an die vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens vom 12. Februar 2015 (Minsk II) geknüpft. Dies ist absurd, weil die Umsetzung von zwei Parteien abhängt – von Russland und der Ukraine. Russland ist zu Recht vorzuwerfen, dass es nicht ausreichend auf die Einhaltung der militärischen Bestimmungen von Minsk II (Waffenruhe, Truppen- und Waffenentflechtung) durch die Separatisten drängt – denn Druckmöglichkeiten hätte Russland genug. Gleichzeitig scheitert die Umsetzung von Minsk II aber auch am Unwillen der ukrainischen Seite, die politischen Auflagen von Minsk II zu erfüllen – eine Verfassungsreform, ein Statusgesetz für die von den Separatisten besetzten Gebiete, ein Amnestiegesetz und ein Wahlgesetz für Kommunalwahlen in den besetzten Gebieten.Daher ist der Ansatz des deutschen Außenministers Steinmeier richtig, Fortschritte in der Umsetzung der Bestimmungen von Minsk II mit einer Lockerung der Sanktionen zu beantworten. In der deutschen Bundesregierung, d.h. gegen Bundeskanzlerin Merkel konnte er sich damit aber bisher nicht durchsetzen.

Russland ist der wichtigste Nachbar der Europäischen Union. Keine engen Beziehungen mit Russland zu haben ist daher keine Option. Dialog und Vertragsbeziehungen sind nicht nur mit befreundeten Staaten möglich, sondern auch mit Staaten, denen man wenig Vertrauen entgegenbringt und mit denen es ernsthafte Differenzen gibt. Dagegen steht die Tatsache, dass die Russlandpolitik der EU bei vielen Staaten stark werteorientiert und nicht interessenorientiert ist. Das ist in den Beziehungen der EU mit vielen anderen Ländern nicht so. Wer die Türkei ernsthaft als Beitrittskandidaten der EU anerkennt, kann nur schwer argumentieren, mit Russland nicht einmal das Gespräch zu suchen.

Eine interessengeleitete Russlandpolitik der Europäischen Union sollte sich daher an folgenden Bausteinen orientieren.

  • Das Misstrauen gegenüber der russischen Führung ist sicherlich berechtigt. Zu oft waren Lügen Teil der russischen Kommunikation. Das mag auch die erheblichen persönlichen Vorbehalte in den Regierungen von EU Mitgliedsstaaten erklären. An einer Strategie des Dialogs und des Austausches führt aber kein Weg vorbei. Das Verhältnis zu Russland sollte nicht (zu) stark personalisiert werden. Das ist einer interessengeleiteten Strategie abträglich.
  • Die komplementären wirtschaftlichen Interessen der beiden Akteure solllten genutzt werden, um Erträge zum beidseitigen Vorteil zu erzielen. Russland sieht die EU als den nächstgelegenen, infrastrukturell erschlossenen und lukrativsten Markt für seine Rohstoffexporte, allen voran für Rohöl und Erdgas. Die EU nutzt(e) den russischen Markt erfolgreich für den Absatz von Maschinen, im Anlagenbau, Elektronik und beim Export von Agrarerzeugnissen.
  • Die Zusammenarbeit sollte überall dort gesucht werden, wo sich die Interessen überlagern. Das gilt für die Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien genau so wie für die erfolgreiche Umsetzung des Nuklearabkommens mit dem Iran.
  • Die Verhandlungen über eine Visaliberalisierung sollten wieder aufgenommen werden. Je mehr russische BürgerInnen die Verhältnisse in der EU kennenlernen, um so stärker kann ein Wertetransfer gelingen und es erlaubt den Besuchern, sich ein eigenes Bild über die EU zu machen. Das könnte auch dazu beitragen, das derzeit sehr negative Image der EU in der russischen Bevölkerung wieder zu verbessern.
  • Die EU sollte sich von der Illusion verabschieden, sie könnte die inneren Verhältnisse in Russland beeinflussen. Die autoritäre Herrschaftsordnung hat sich als sehr resilient erwiesen. Die Bevölkerung sammelt sich hinter ihrer Führung, verfällt in Apathie oder Resignation. Die Demokratisierung wird die Aufgabe der russischen Bevölkerung sein und allein bei ihr liegen.
  • Im Hinblick auf die Sanktionen sollte sich eine realistische benchmark-Orientierung durchsetzen. Die zwar nachvollziehbare, aber ergebnislose Sanktionslinie darf nicht zum Selbstzweck werden; sie zugunsten eines transatlantischen Konsenses weiterzuführen oder gar zu verschärfen, wird einer eigenständischen und selbstbewussten Russlandpolitik der EU nicht gerecht.
  • Eine realistische Russlandpolitik wird innerhalb der EU aber zu harten Debatten führen. Polen und die baltischen Staaten sind zu einer pragmatischen Haltung gegenüber Russland nicht bereit. So sehr deren historisch gewachsenen Aversionen gegen Russland nachvollziehbar sind, sollten sie dennoch nicht weiterhin so stark Leitlinie der Russlandpolitik der EU bleiben.
  • Die Russlandpolitik der EU darf zugleich auch nicht gutgläubig und zu erwartungsstark werden. Die russische Führung ist außergewöhnlich selbstbewusst und neigt zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten. Ein Dialog wird sicherlich nicht rasch gute Ergebnisse bringen. Das steht dem Beginn eines neuerlichen Dialogverhältnisses aber nicht entgegen. Vertrauen wird nur durch Dialog wiederaufgebaut werden können; sicher nicht durch die Verweigerung des Dialogs.

 

Foto: https://www.bayernkurier.de/inland/8746-putin-will-die-eu-spalten

One thought on “Dialog führen, Interessen stärken. Verhältnis EU-Russland”

  1. Ich hoffe Sie hören nie damit auf, diese Analysen hier frei zugänglich zu posten. Diese sind immer ein Highlight in der Diskussion rund um Russland und eine große Stütze dabei, zunehmend komplexe Entwicklungen zu verstehen.

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