Die Ruhe vor dem Sturm

sturmDie Reihen haben sich gelichtet. Die Teilnehmerzahl an den Demonstrationen gegen die russische Führung ist in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen. Dies hat vor allem drei Gründe. Die Bürgerbewegung gegen die massive Fälschung von Wahlen und die Rückkehr von Vladimir Putin in das Präsidentenamt war von Beginn an ideologisch fragmentiert. Die Aktivisten konnten sich nur auf einen negativen Konsens einigen; „Rossija bez Putina“ (Russland ohne Putin) war das einigende Band für ganz gegensätzliche politische Lager. Der Bewegung ist es innerhalb von 18 Monaten aber nicht gelungen, eine Einigung darüber zu erzielen, wie sie Russland regieren würde, sollte denn Putin aus dem Amt gedrängt werden können. Rechtsliberale Verfechter freier Marktwirtschaft konnten sich nicht mit linksetatistischen Radikalen, die für eine starke Rolle des Staates in der Wirtschaft  eintreten einigen. Ebenso unmöglich war eine Einigung zwischen rechtsnationalistisch-rassistischen Aktivisten und den linksliberalen Vertretern, die für Bürger- und Freiheitsrechte eintreten.

Der zweite Grund ist der gescheiterte Versuch der Bürgerbewegung, sich funktionierende und belastbare Strukturen mit einem koordinativen und planerischen Führungsgremium zu geben. Zwar wurde im Oktober 2012 über das Internet eine Koordinationsrat mit 45 Mitgliedern gewählt; die ideologischen Gegensätze in diesem, nur von 89.000 Russen gewählten, Gremium, haben die effektive Lenkung der Bewegung blockiert. In diesem Gremium gibt es scharfe Debatten, welche Formen die Proteste annehmen sollen. Auch lehnen immer mehr liberale Aktivisten ab, mit links- oder rechtsextremen Gruppen gemeinsame Aktionen durchzuführen.

Der wichtigste Faktor aber war eine systematische repressive Linie der Führung um Vladimir Putin, die alles daran setzt, die Bürgerbewegung zu schwächen und ihre führenden Aktivisten zu neutralisieren. Treibende Kraft dieser Linie der Repression ist Vjacheslav Volodin, der 1.stv. Leiter des Präsidialamtes von Putin.

Die erste Maßnahme war die Verhaftung von mehr als 20 Aktivisten auf der, durch Ausschreitungen gekennzeichneten, Demonstration am Vorabend der Angelobung Putins am 6. Mai 2012. Inzwischen wurde ein Demonstrant zu viereinhalb, ein anderer zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt; es stehen noch 8 Gerichtsverfahren an. Darauf aufbauend wurde das Demonstrationsrecht verschärft. Hohe Finanzstrafen für die bloße Teilnahme an Demonstrationen, die gewaltsam eskalieren, wurden eingerichtet. Das hat viele der weniger politisierten Moskauer Bürger abgeschreckt, an weiteren Demonstrationen teilzunehmen. Führende Aktivisten der Bewegung wurden durch Hausdurchsuchungen eingeschüchtert. Eine weitere gesetzliche Maßnahme war die Ahndung von Verleumdung durch das Strafrecht – nicht wie zuvor durch das Zivilrecht.

Die repressive Linie Putins enthält aber auch einen Rammbock gegen die zivile Gesellschaft, die vielen NGOs, die seine Führungsriege und seine Herrschaftsstruktur heftig kritisiert hatten. Durch eine Novelle des NGO-Gesetzes von 2006 sind nun alle NGOs, die politische Aktivitäten durchführen und ausländische Fördergelder erhalten, gezwungen, sich als „ausländische Agenten“ zu bezeichnen. Nachdem keine NGO dem nachgekommen war, haben Staatsanwaltschaft und Justizministerium vor wenigen Wochen umfassende Razzien bei den NGOs durchgeführt. Die Wahlbeobachtungs-NGO Golos wurde inzwischen mit einer hohen finanziellen Strafe belegt; die NGO Memorial, die sich nicht zuletzt mit den Verbrechen Stalins befasst, wurde eine solche angedroht. Politische aktive NGOs – so eine öffentlich kaum bemerkte Bestimmung des Dima-Yakovlev-Gesetzes aus dem Dezember 2012, das US-Bürgern die Adoption russischer Waisenkinder verboten hat – dürfen keine Gelder aus den USA annehmen.

Zuletzt ist ein wesentliches Element dieser repressiven Strategie die Kriminalisierung der führenden Vertreter der Bürgerbewegung. Aleksej Navalnyj, der rechtsnationale Anwalt und Kämpfer gegen Korruption in der staatlichen Verwaltung und den staatsnahen Betrieben steht derzeit wegen angeblicher Veruntreuung von Holz vor Gericht; es werden ihm noch weitere Delikte vorgeworfen. Der linksradikale Sergej Udalcov, der schon mehrfach in Hungerstreik getreten ist, steht derzeit unter Hausarrest. Ihm wird vorgeworfen, zusammen mit führenden Mitgliedern der abgewählten georgischen Führung, „Massenunruhen“ vorbereitet und angezettelt zu haben.

Putin hat diese repressive Linie gegen die Bürgerbewegung eingerahmt in einen Kulturkampf des traditionellen, ärmeren, schlechter gebildeten, wertkonservativen und autoritätshörigeren ländlichen und kleinstädtischen Russland gegen das urbane, besser gebildete, jüngere und einkommensstärkere Russland. Das erste Lager, dem auch die Staatsangestellten, die Mitarbeiter in der staatlichen Rüstungsindustrie und deren Familien angehören, zählt noch immer zum „eisernen Wählerkartell“ Putins. Für diese Schichten sind auch die aggressiven gesetzlichen Maßnahmen gegen Homosexuelle, die enge Bindung des Regimes an die orthodoxe Kirche und die patriotische Mobilisierung gegen den angeblichen ausländischen Druck auf das von Feinden belagerte Russland gedacht. Die Aktionen der radikalen Feministen von Pussy Riot und die zahlreichen abstossend-obszönen Aktivitäten ihrer früheren Gefolgsleute konnte Putin in diesem Kulturkampf geschickt für seine Ziele nutzen. Es sind noch immer 63 Prozent der russischen Bürger mit der Amtsführung Putins zufrieden; Putin führt auch mit großem Abstand die Liste der Politiker an, denen die Russen Vertrauen entgegenbringen.

Putins repressiver und autoritärer Kurs ist aber in dem informellen Führungszirkel, der das Land führt, nicht unumstritten. Putin ist nicht der alleinige Lenker Russland; er ist gezwungen, seine Entscheidungen in diesem informellen Führungszirkel, den manche Beobachter als „Politbüro 2.0“ bezeichnen, abzustimmen. Zu den liberalen Kritikern zählen der derzeitige Ministerpräsident Medvedev und seine Mitarbeiter Shuvalov und Dvorkovich. Diese treten für einen Dialog mit der Bürgerbewegung und eine politische, soziale und wirtschaftliche Modernisierung Russlands ein; auch außenpolitisch treten sie gegen einen konfrontativen, v.a. gegen die USA und die EU gerichteten Kurs auf. Allein, dieser Zirkel ist derzeit viel zu schwach.

Die repressive Linie war bislang der zentrale Grund für die deutlich schwächer werdende Bürgerbewegung. Dies könnte Putin – oberflächlich besehen – also Recht geben. Allerdings hat sich nach soziologischen Erhebungen die Zahl der Unzufriedenen nicht verringert, ist der Missmut, der Zorn und die Verachtung für die Führungsriege geblieben. Es ist kaum zu erwarten, dass sich dieser Unmut nicht wieder Bahn bricht.

Ein entscheidender Faktor für den Fortgang der Proteste wird die wirtschaftliche Entwicklung Russlands sein. Das wirtschaftliche Wachstum droht in 2013 auf weniger als 2 Prozent des BIP einzubrechen; auch für die kommenden Jahre ist keine dauerhafte Erholung zu erwarten. Darin liegt eine erhebliche Gefahr für das Regime. Wenn der Staat nicht mehr in der Lage sein wird, seine sozialen Transferleistungen in vollem Umfang zu zahlen, wird auch das „eiserne Kartell“ zu wanken beginnen. Davor hat die Riege um Putin die größe Angst, den Brückenschlag zwischen der städtischen Opposition, die auf demokratische Teilhabe drängt, und der sozialen Unzufriedenheit des wertkonservativen Russland. Die Zeichen stehen an der Wand.

Dieser Kommentar ist am 6. Mai 2013 in der Tiroler Tageszeitung erschienen.

2 thoughts on “Die Ruhe vor dem Sturm”

  1. Bei diesen wirtschaftlichen Aussichten für die RF könnte Putin wieder ein Alexei Kudrin als Finanzminister von Nutzen sein: Aber da steht leider ein Premierminister Medwedew hinderlich dazwischen ….

  2. …. sowie Putins Diktum vom “faulen Kudrin”!
    Wladimir Wladimirowitsch hätte sich besser in seine vorlaute Zunge beißen sollen, ehe er solche Sager loslässt.

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