Russland und seine zentralasiatischen Nachbarn

In politischen Zirkeln in Moskau nennt man ihn in letzter Zeit häufig einen Verräter. Gemeint ist der kasachische Präsident Tokajev. Er hatte im Juni auf einem Wirtschaftsforum im russischen Petersburg deutlich erklärt, dass sein Land die von Russland anerkannten quasi-Staaten Donezk, Lugansk, Abchasien und Südossetien nicht anerkennen werde. Das war ein Affront gegenüber Putin, der unerwartet öffentlich vorgetragen wurde. Dabei hat Tokajev seine Macht vor allem der russischen militärischen Intervention in Kasachstan im Jänner zu verdanken. Ohne diese Unterstützung hätte er wohl sein Amt in den aufgebrochenen Unruhen verloren. Dieser Umstand hindert Tokajev aber nicht, die traditionelle kasachische außenpolitische Linie fortzusetzen, die Beziehungen zu Russland durch enge Zusammenarbeit mit China, der Türkei und dem Westen auszubalancieren. Daran ändert sich auch nichts, obwohl ein Fünftel der kasachischen Exporte nach Russland gehen.

In Kasachstan ist man sich durchaus bewusst, dass nicht nur der frühere russische Präsident Medvedev, sondern auch Putin selbst, immer wieder die legitime Staatlichkeit des zentralasiatischen Landes in Frage stellen. In den nationalistischen Kreisen Russlands wird auch immer wieder die Eroberung der nördlichen Grenzregionen Kasachstans zu Russland gefordert. 22 Prozent der Bürger Kasachstans sind ethnische Russen. Sie leben auch mehrheitlich geschlossen an Kasachstans Grenze zu Russland. Die potentielle Gefahr, ähnlich wie die Ukraine, großrussischem Expansionismus zum Opfer zu fallen, ist in der kasachischen Führung durchaus präsent. Auch wenn dieses Szenario auf absehbare Zeit unrealistisch bleiben wird.

Trotz dieser Risiken ist nicht zu erwarten, dass Kasachstan oder andere zentralasiatische Ländern ihre Beziehungen zu Russland aufweichen werden. Mit Ausnahme Turkmenistans, sind alle zentralasiatischen Staaten Mitglied in einem losen Militärbündnis mit Russland – der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (ODKB). Wie Kasachstan dies heuer schon erfahren hat, ist die Regimesicherheit in diesem Raum stark vom russischen Schutz abhängig. Viele Staaten der Region sind auch Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion. Dieses seit 2010 vorangetriebene russische Integrationsprojekt, das auf die Herstellung eines Binnenmarktes ausgerichtet ist, bleibt für die Region unabdingbar.

Beobachter, die davon sprechen, die zentralasiatischen Staaten würden Russland wegen dessen Intervention in der Ukraine nun den Rücken kehren, verkennen die Bedeutung Russlands als militärische Schutzmacht dieser Region und als Faktor, diese Staaten vor einer zu großen wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit von China zu schützen. Trotzdem – eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Russland und dieser Region gibt es nicht. Der Revanchismus der russischen Außenpolitik, der sich in Georgien und der Ukraine manifestiert (hat), hält diese Staaten in permanenter Unruhe. Auch die russische Führung weiß, dass sie sich auf die zentralasiatischen Länder nicht vollends verlassen kann.

Wie andere zentralasiatische Staaten auch, ist in Kasachstan ein wirtschaftlicher Wachstumseinbruch zu erwarten, da die westlichen Sanktionen die russische Wirtschaft stark treffen und sich diese Schwäche auch im bilateralen Handel Russlands mit diesen Staaten widerspiegelt. Das zeigt sich auch bei den zurückgehenden Überweisungen von zentralasiatischen Wanderarbeitern aus Russland. Für viele dieser Staaten, allen voran für Tajikistan, sind diese Zahlungen essentiell für den Staatshaushalt. Den Regierungen der Region ist daher klar, dass sie nicht nur auf die Unterstützung Russlands in militärischer Hinsicht angewiesen sind, sondern auch wirtschaftlich. Die Alternative dazu wäre nur die starke Abhängigkeit von China.

Daher gilt, dass sich diese Staaten, trotz des Unbehagens über den russischen imperialistischen Expansionismus, von Russland nicht abwenden werden, weil sie es sich einfach nicht leisten können.

Dieser Kommentar ist am 22.8.2022 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/analyse-von-gerhard-mangott-kasachstan-warum-putins-vasallen-in-zentralasien-ihm-so-treu-bleiben_id_136891833.html)

Photo credit: https://www.dw.com/de/proteste-in-kasachstan-putins-albtraum-oder-chance/a-60350859

 

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