Interview mit der TZ Der Standard über die Wahlen in Russland

Russland-Experte Mangott: “Putin wollte eine Krönung”

Dem russischen Präsidenten ist es gelungen, sich innerhalb des Machtkartells an der Spitze Russlands abzusichern – mit Tricks, meint Gerhard Mangott. Das Land habe aber eigentlich andere Probleme Der Politologe Gerhard Mangott nennt die Wahl in Russland zwar unfair, die schmutzigste aller russischen Wahlen sei sie allerdings nicht gewesen. Man habe sich aber einiger sowjetischer Traditionen der Wählerbeeinflussung bedient. Wahlsieger Putin müsse sich jetzt auf die sozialen Probleme des Landes konzentrieren. Die Beziehungen mit dem Westen bleiben nach Mangotts Einschätzung auch in Zukunft schlecht.

DER STANDARD: Putin wurde wie erwartet wiedergewählt. Mit einem relativ hohen Ergebnis. Was sind für Sie die Hauptmotive dafür?

Gerhard Mangott: Putin wollte nicht einfach einen Wahlsieg, er wollte eine Art Krönung, um behaupten zu können, dass die Bevölkerung nahezu geschlossen hinter ihm steht. Das ist ihm gelungen. Das braucht er auch für die Absicherung in dem Machtkartell, das Russland führt. Ein wichtiges Motiv für die Wähler waren sicher der Patriotismus und der mit Putin in Verbindung gebrachte Aufstieg Russlands als Großmacht. Nicht unbedingt als geschätzte Großmacht, aber als eine gefürchtete. Ein zweites Argument für seine Wähler war, dass Putin für Stabilität steht. Für die mittlere und ältere Generation, die den Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt haben und die elenden Jahre danach, symbolisiert Putin die Rückkehr der Stabilität. Und viele wählten Putin auch, weil es einfach keine Alternativen gab. Dafür hat man gesorgt.

DER STANDARD: Der Wahlboykott des nicht zugelassenen Oppositionellen Alexej Nawalny hat sich nicht ausgewirkt?

Mangott: Nicht besonders stark. In den Hochburgen der liberalen Opposition, wo die gut gebildete Mittelschicht zu Hause ist, war die Wahlbeteiligung zwar etwas geringer, aber nicht gravierend geringer. Die beiden antretenden liberalen Kandidaten haben zusammen gerade mal 2,7 Prozent gemacht. Auch in Moskau und St. Petersburg ist es Xenia Sobtschak nicht gelungen, ihre Wähler zu mobilisieren. Wohl auch, weil es große Zweifel daran gab, ob ihre Kandidatur mit Putin abgesprochen war oder nicht. Was sie sich vorgenommen hatte, nämlich die Wähler von Nawalny von sich zu überzeugen, ist dramatisch gescheitert.

DER STANDARD: Waren es freie und faire Wahlen?

Mangott: Die Medien waren parteiisch, der Zugang für Kandidaten eingeschränkt. Die Wahlen waren aber nicht stärker gefälscht als 2012. Die schmutzigste Wahl seit 1992 bleibt unangefochten die Wiederwahl Boris Jelzins 1996. Die Achillesferse Putins war diesmal die Wahlbeteiligung. Bei der Duma-Wahl 2016 lag die Wahlbeteiligung bei 48 Prozent. Damals sprachen alle von der Krise der Herrschaft Putins. Wäre so etwas diesmal passiert, wäre auch ein solider Wahlsieg kein Sieg gewesen. Man hat diesmal einige sowjetische Traditionen wiederbelebt, zum Beispiel Wahlen zu einer Art Volksfest zu machen, auf dem es Essen, Lotterien und Vergnügungen gibt. Viele Wähler wurden mit Druck in die Wahllokale gebracht: Soldaten, Studenten oder die Belegschaft von staatlichen Betrieben.

DER STANDARD: Die russische Bevölkerung erwartet sich von der Regierung sehr wohl Korruptionsbekämpfung, Wirtschaftsreformen und Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung und im Bildungsbereich. Putin sprach in seiner Siegesrede von einem radikalen Durchbruch, der Russland bevorstünde. Sind Reformen von ihm diesmal zu erwarten?

Mangott: Das wird man an den Weichenstellungen nach der Angelobung Putins sehen, wenn die Regierung zurücktreten muss und neu zusammengestellt wird. Gesundheit, Bildung, Steuerreform, Pensionsreform: Die Konzepte und Programme sind da. Ein großer Teil der Bevölkerung wünscht sich Veränderungen, denn Russland wächst für eine Schwellenökonomie außerordentlich schwach. Und gibt es keine Strukturreformen, wird dieses Wachstum nicht steigen.

DER STANDARD: Welchen Anteil haben die Sanktionen gegen Russland an der schwachen Wirtschaft?

Mangott: Russland hat 2015 und 2016 eine Rezession erlebt. 2015 von 3,5 des BIP und 2016 von 0,6 Prozent. 2015 hatten die Sanktionen einen Anteil von 0,5 bis 0,8 Prozent. Hauptfaktor für die schwache Wirtschaft war aber der Rückgang der Rohölpreise. Außerdem herrschen in Russland keine günstigen Rahmenbedingungen für Klein- und Mittelbetriebe. Wenn die Regierung nicht an den Standortvorteilen arbeitet, wird sich das auch nicht ändern.

DER STANDARD: Zwei Wochen vor der Wahl präsentierte Putin seine Zukunftsvisionen. Da klang es eher nach Aufstockung des Verteidigungsetats, zum Beispiel für die Entwicklung neuer Atomwaffen.

Mangott: Die Großmachtpolitik, die Putin betreibt, stützt sich vor allem auf das Militär und dessen Modernisierung, hier auch auf den Nuklearwaffenbereich. Nukleare Rüstungskontrolle steckt derzeit aber eindeutig in der Krise, weil auch die jetzige US-Administration kein Interesse daran hat. Wenn der einzige Rüstungskontrollvertrag für strategische Offensivwaffen – der New-Start-Vertrag – 2021 ausläuft, besteht die Gefahr, dass es keine Nachfolge gibt. Dann sind wir im Bereich der nuklearen Rüstung in einer Situation, wie wir sie seit 1972 nicht mehr gehabt haben. Ein Aufrüstungswettbewerb ist wahrscheinlich. Bei den großen Krisen, die es zwischen dem Westen und Russland gibt – die Ukraine-Krise und der Syrien-Krieg –, erwarte ich deshalb kaum Bewegung. Die schlechten Beziehungen zu Russland werden bestehen bleiben – mit der Gefahr einer weiteren Verschlechterung.

DER STANDARD: 2024 darf Putin nicht mehr antreten. Was wird er tun?

Mangott: Schon 2008 ermöglichte ihm die Verfassung keine dritte Amtszeit. Damals entschied er sich dafür, einen leicht kontrollierbaren Präsidenten auf die Bühne zu bringen und selbst Premier zu bleiben. Diese Variante wäre auch 2024 denkbar. Dass er die Verfassung ändert, um eine weitere Amtszeit zu ermöglichen, halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Die Frage wird aber sein: Wird Putin stark genug bleiben, um die Weichen für seine Nachfolge selbst zu bestimmen, oder wird es einen offenen Konflikt zwischen den rivalisierenden Lagern im russischen Führungszirkel geben, der Putin zur Seite drängen wird.

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