chodorkovskij – motivlagen für eine einkerkerung (teil 2)

Die Verurteilung 2010 folgt einer anderen Logik: Mit der Enthaftung wäre es Chodorkovskij ─ im westlichen Ausland geradezu zur Ikone des demokratischen Widerstands gegen Putin und die Nachrichtendienste stilisiert ─, unbeschränkt möglich gewesen, in Russland, aber auch im Ausland massive öffentliche Kritik an der russländischen Regierung zu üben. Der Unternehmer wäre in der Lage, durch anhaltende mediale Präsenz die Führung des Landes zu diskreditieren.

Zweifellos würde Chodorkovskij der fragmentierten, führungslosen und zerstrittenen liberalen Opposition ein öffentlichkeitswirksames Gesicht geben. Auch wenn Chodorkovskij von der überwiegenden Mehrheit der Russen ablehnend oder aber gleichgültig beurteilt wird, könnte Chodorkovskij einer liberalen Sammlungsbewegung 2011 wieder zum Einzug in die Staatsduma verhelfen (in der sie seit 2003 nicht mehr vertreten ist).

Die erneute Verurteilung ist aber auch relevant für die Autorität sowohl Putins als auch Medvedevs, wie auch für das Verhältnis zwischen den beiden. Das Urteil bestätigt erneut die starke Stellung Vladimir Putins und der Sicherheitsdienste; es dokumentiert erneut die Kontrolle der Justiz durch dieses Machtkartell. Putin hat vor und während des Gerichtsverfahrens immer wieder deutlich gemacht, dass er die Anklage unterstützt: Ein Freispruch hätte Putins Autorität untergraben und erkennen lassen, dass Putin verwundbar ist. Verlierer zu sein, verträgt sich nicht mit dem inszenierten Selbstbild Putins.

Ansehen, Einfluß und der Machtanspruch Präsident Medvedevs wurden durch das Urteil nachdrücklich verringert. Medvedev hatte – wiewohl immer zurückhaltend und vorsichtig – Kritik an dem Verfahren und an den Anschuldigungen vorgebracht; zuletzt übte er indirekt auch Kritik am Verhalten Putins in dieser Sache. Das Urteil ist die Antwort Putins auf diese Kritik. Das Signal an die staatliche Bürokratie ist deutlich: die eigentliche Macht liegt bei Putin, nicht bei Medvedev.

Diese Botschaft wird freilich auch in den USA und in der EU verstanden. Trotz gebotener Skepsis wird Medvedev in diesen Staaten als liberale(re) Alternative zu Putin gesehen. Außerdem wurde von Medvedev verstärkte Rechtssicherheit für ausländische Investoren erwartet; Medvedev weiss auch, dass seine vehement vorgetragene Modernisierungsagenda ohne rechtsstaatliche Fortschritte nicht umsetzbar sein wird. Diese Erwartungen an die russische Führung wurden enttäuscht. Das Urteil hat damit nicht nur Medvedevs Stellung innerhalb Russlands geschwächt. Auch in den ausländischen Staatskanzleien wird Medvedev erneut als der Unterlegene im immer sichtbareren Ringen mit Putin gesehen.

Es ist aber nicht auszuschließen, das das Urteil moderat ausfallen könnte. Eine kürzere Gefängnisstrafe könnte als humanitäre Geste ‚verkauft‘ werden. Zumindest aber bis zum Frühjahr 2012 – dem Termin der Wahlen zum Präsidentenamt – wird Chodorkovskij jedenfalls inhaftiert bleiben.

Foto: http://principiis-obsta.blogspot.com/2009/03/chodorkowski-erneut-vor-gericht.html

6 thoughts on “chodorkovskij – motivlagen für eine einkerkerung (teil 2)”

  1. Das wars wohl mit der “humanitären Geste” sprich kurze Gefängnisstrafe…..13,5 Jahre. Prost Mahlzeit.

  2. tut mir leid – aber die zukunft kann ich nicht vorhersagen. und die möglichkeit einer ‘humanitären geste’ oder der begnadigung nach den präsidentenwahlen wird in moskau intensiv diskutiert. heute sind 5.5 jahre gefängnishaft zusätzlich zu den 2005 verhängten 8 jahren beschieden worden.

  3. Jedenfalls werden beide Herren die Fußball-WM 2018 im Stadion erleben – der eine als Staatspräsident, der andere als Resozialisierungsfall …

  4. Ich bin überzeugt – irgendwann noch vor 2017 wird sich ein “idealer” Zeitpunkt finden, an welchem die beiden Inhaftierten vorzeitig entlassen werden. Es wird als große Geste der Menschlichkeit verkauft werden und soll zeigen, dass alles doch nicht so schlimm ist. Es wird wohl mit der Auflage verbunden sein, dass Chodorkovskij Putin vor laufenden Kameras umarmt und diese “unverdiente Güte” preist…

  5. Naja, an Ihren Beitrag Nr. 3 kommt er zwar nicht heran, trotzdem halte ich meinen nicht für zynisch – eher für gewagt konkret, überspitzt, hypothetisch…allenfalls tendenziös

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