Krieg in der Ukraine: Wie weiter?

Russlands Überfall auf die Ukraine geht nunmehr in das zweite Kriegsjahr. In den letzten Monaten hat sich die Frontlinie kaum verschoben. Nach den erfolgreichen ukrainischen Offensiven in den Regionen Charkiv und Cherson im Herbst des letzten Jahres, konnte Russland zwar kleine Geländegewinne erzielen, aber für beide Seiten gab es keinen militärischen Durchbruch.

Für die nächsten Wochen und Monate werden von beiden Kriegsparteien Frühjahrsoffensiven erwartet. Erste Anzeichen der russischen Offensive verdichten sich. Russland wird vermutlich versuchen, das noch von der ukrainischen Armee kontrollierte Territorium der Provinz Donezk zu erobern. Die „Befreiung“ des Donbass, zu dem diese Region gehört, zählt noch immer zu den erklärten Kriegszielen Russlands. Die russische Armee würde versuchen, zur Linie Kramatorsk und Slovjank in der Provinz Donezk vorzustoßen und in der Provinz Luhansk die Verteidigungslinie bei Kremmina zumindest zu halten. Die ukrainische Offensive ist wohl in der Region Zaporizhija zu erwarten. Ziel wäre es, über die Stadt Melitopol bis an die Küste des Asowschen Meeres vorzustoßen. Damit würden die russischen Besatzungsgebiete in zwei Hälften geteilt und die Landbrücke zwischen der Krim und dem Donbass durchbrochen. Ob ein solcher Vorstoß schon in den ersten Frühjahrsmonaten stattfinden wird, ist unsicher. Klüger wäre es wohl, die ukrainische Armee würde zuerst versuchen, einer offensiven russischen Armee standzuhalten und erst dann – nach Schwächung der Russen – selbst in die Offensive zu gehen.

Die russische Offensive aufzuhalten oder gar zurückzuschlagen wird ohne substantielle Lieferungen westlicher Kampfpanzer aber nicht möglich sein. Vermutlich aber werden größere Zahlen von Leopard 2 Kampfpanzern nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Das auch weil europäische Staaten, anders als vor der deutschen Entsendungsentscheidung, nun bei der Lieferung der modernsten Variante des Leopard 2 (A6) zögern. Den modernen Leopard 2 A6 wollen nur Deutschland und Portugal liefern; insgesamt 17 Panzer. Für den Leopard 2 A4 gibt es bis jetzt Zusagen von Polen, Kanada und Norwegen – insgesamt 26 Panzer. Deutlich weniger also als die zwei Bataillone, die zu liefern geplant sind. Wichtig ist natürlich auch die nun von den USA zugesagte Präzisionsmunition mit langer Reichweite (Ground Launched Small Diameter Bomb). Kampfflugzeuge, die im Verbund mit westlichen Kampfpanzern, die Offensivkraft der ukrainischen Armee deutlich steigern würden, werden wohl (noch lange) nicht an die Ukraine überstellt werden.

Dennoch wird die ukrainische Führung die Forderung nach Kampfflugzeugen nicht aufgeben. Das wird den Druck auf Deutschland wieder erhöhen, Tornados oder Eurofighter zu liefern. Allerdings würde Bundeskanzler Scholz an Glaubwürdigkeit verlieren, würde er die von ihm selbst gezogene rote Linie – nämlich keine Kampfflugzeuge liefern zu wollen – dann doch überschreiten.

Doch auch der Ruf nach diplomatischen Initiativen ist von der deutschen Regierung nicht zu erwarten. Für Verhandlungen gibt es derzeit keine Möglichkeiten. Beide Kriegsparteien setzen noch immer auf Erfolge auf dem Schlachtfeld. Zwar erklären zwar Russland und die Ukraine zu Verhandlungen bereit zu sein; sie stellen dafür aber Vorbedingungen, die die jeweils andere Seite nicht akzeptieren kann. Russland verlangt von der ukrainischen Führung die „Realitäten am Boden“ anzuerkennen, d.h. die Zugehörigkeit der vier teilweise von Russland besetzten Regionen in der Ost- und Südukraine. Selenskij denkt aber nicht daran, territoriale Zugeständnisse zu machen; das will auch die deutliche Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung nicht. Die ukrainische Führung will zum einen nicht mit Putin verhandeln; zum anderen will sie erst verhandeln, wenn alle russischen Truppen die Ukraine einschließlich der Krim verlassen haben. Aber worüber soll dann noch verhandelt werden? Verhandlungen, zumindest über einen Waffenstillstand, werden erst möglich werden, wenn eine der beiden Kriegsparteien vor der militärischen Niederlage steht oder beide Armeen erschöpft sind und sich keinen Zugewinn auf dem Schlachtfeld mehr erwarten.

Neben der Militärhilfe versucht der Westen auch durch Wirtschafts- und Finanzsanktionen den Kriegsverlauf zu beeinflussen. Die Volkswirtschaft Russlands hat sich bislang als resilienter erwiesen als erwartet und erhofft. Nach einer relativ leichten Rezession im Jahr 2022, könnte sich für Russland dieses Jahr ein Nullwachstum ausgehen. Die Verbote von Hochtechnologieexporten werden der russischen Wirtschaft aber zusetzen und zu Produktionsausfällen oder -rückgängen führen. Als wirkungsstark haben sich die Sanktionen des Westens gegen russische Exporte von Rohöl und Ölprodukten erwiesen. Die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung und dem Export für den russischen Staatshaushalt sind im Jänner 2023 um 46 Prozent niedriger gewesen als im Jänner 2022. Der Staatshaushalt wird heuer ein deutliches Defizit aufweisen. Das wird die Kriegsführungsfähigkeit Russlands schwächen. Durch Sanktionen wird in der Regel auch der Sanktionsgeber betroffen. Das zeigt sich im Rückgang des Außenhandels der EU mit Russland und erhöhten Energiepreisen. Das aber ist ein Preis, den die EU zahlen will.

 

Dieser Kommentar ist am 23.2.2023 auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/gastbeitrag-von-gerhard-mangott-der-poker-mit-den-offensiven-warum-es-fuer-die-ukraine-klug-waere-abzuwarten_id_186444262.html).

Photo credit: https://www.businessinsider.com/ukraine-video-shows-aftermath-russian-attack-town-north-of-kyiv-2022-3

 

 

 

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