Ein grausames Kriegsjahr

Die russische Frühjahrsoffensive steht kurz bevor. Die Kämpfe an der Front in der Provinz Donezk nehmen immer mehr an Intensität zu. Vor allem die Städte Bachmut und Vuhledar sind derzeit die Brennpunkte des Schlachtens. Im Bezirk Donezk wird diese Offensive der russischen Armee sehr wahrscheinlich auch erfolgen. Das Kriegsziel der russischen Führung war und ist die „Befreiung“ des Donbass. Während eine der beiden Provinzen, Luhansk, nämlich, fast unter der vollständigen Kontrolle der russischen Truppen steht, ist die andere Provinz, Donezk, eben erst zu etwa 58 Prozent in den Händen der russischen Invasoren.

Bachmut muss aus russischer Sicht fallen, um dann gegen die ukrainischen Verteidigungswälle bei Kramatorsk und Slovjansk vorzustoßen. Ohne diese Städte zu Fall zu bringen, wird es nicht gelingen, den Rest der Provinz Donezk zu erobern. Deshalb werden die Russen seit Monaten Soldaten an die vorderste Linie, um Bachmut und Vuhledar zu Fall zu bringen. Es sind dies zum einen Söldner der Gruppe Wagner, vor allem Strafgefangene, die in den letzten Monaten rekrutiert wurden und zum anderen Tausende der seit der Mobilmachung im September 2022 trainierten Reservisten. Diese Kämpfer fallen zu Tausenden. Sie werden zu einfachen Zielen der ukrainischen Verteidiger. Trotzdem schickt die russische Armeeführung die Soldaten in den Fleischwolf des Schlachtfeldes, um Tag für Tag einige Meter an Boden zu gewinnen. Nur 40 Quadratkilometer konnte die russische Armee an diesem Frontabschnitt in diesem Jahr erobern.

Das hängt auch damit zusammen, dass die russischen Streitkräfte nicht ausreichend ausgerüstet sind. Waren die ersten Kriegsmonate noch davon gekennzeichnet gewesen, dass die russische Armee genügend Kriegsmaterial, aber zu wenige Soldaten (vor allem Infanterie) vorweisen konnte, ist es nach der Teilmobilmachung nun umgekehrt. Mit einem Übergewicht an Infanterie werden nun ukrainische Verteidigungslinien gestürmt. Dabei wird wenig qualifiziertes Personal an die vordersten Linien geschickt, gemetzelt, bevor gut trainierte Vertragssoldaten nachstoßen. Dadurch sollen die ukrainischen Stellungen personell ausgedünnt werden, um die verbliebenen Kräfte dann mit Berufssoldaten niederzuringen. Diese Strategie ist ebenso zynisch wie unabdingbar. Aber sie kann sich auch erschöpfen, wenn Dutzende Tausend fallen oder verwundert werden. Eine zweite Mobilisierungswelle in Russland wäre für Putin schwierig.

Eine ebenso wichtige Frontlinie wie die um die Stadt Bachmut ist die Linie Kreminna-Svatove. An dieser Linie konnte die russische Offensive die ukrainische Vorwärtsbewegung im September 2022 aufhalten. Die russische Frühjahrsoffensive wird versuchen, die damals verloren gegangenen Städte wie Izium und Kupjansk zurückzuerobern. Auch ein erfolgreicher Vorstoß an dieser Linie ist unabdingbar notwendig, um den gesamten Donbass zu erobern. Das ist immer noch das erklärte prioritäre Kriegsziel der russischen Führung. Schließlich war eine zentrale Kriegsbegründung der ersten Monate der Schutz der ethnischen Russen vor einem angeblichen Völkermord durch die ukrainische Führung gewesen.

Aber auch eine ukrainische Offensive ist in den nächsten Monaten zu erwarten. Diese würde wohl versuchen, in der Region Zaporischja bis zur Küste des Asowschen Meeres vorzustoßen, um die russisch besetzten Gebiete in zwei Teile zu spalten. Dafür aber wären dringend westliche Kampfpanzer erforderlich, die wohl erst spät – frühestens ab April – geliefert werden; und das zunächst noch in bescheidener Stückzahl. Daher könnte die ukrainische Armee zunächst eher versuchen, die russische Offensive aufzuhalten, die russischen Soldatenreihen auszubluten, um erst dann selbst in den späten Frühjahrswochen vorzustoßen.

Tatsache bleibt, dass in den nächsten Wochen und Monaten auf beiden Seiten wieder viel Blut fließen wird, junge Männer gemordet und Städte zerstört werden. Die spanische Außenministerin hat durchaus recht, wenn sie von einem „grausamen Kriegsjahr“ spricht.

 

Dieser Text ist am 12.2.2023 als Kommentar auf focus.de erschienen (https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/analyse-von-gerhard-mangott-putins-perfide-fleischwolf-taktik-das-grosse-gemetzel-beginnt_id_185634002.html)

Foto credit: https://www.derstandard.at/story/2000143427304/die-schlacht-um-bachmut-fuer-die-ukraine-und-russland-symbolgeladen

 

 

 

 

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