Mehr Frost, kein Tauwetter

Anders als bei früheren Präsidenten der USA steht bei Biden kein „Neustart“ (reset) in den Beziehungen zwischen den USA und Russland an. Biden startet vor dem Hintergrund eines völlig zerrütteten Verhältnisses. Russland wird sicher nicht ganz oben auf der außenpolitischen Agenda Joseph Bidens stehen. Biden hat Russland zwar als „größte Bedrohung der USA“ bezeichnet, aber die Rivalität mit China und die Bekräftigung von Allianzen der USA und des Multilateralismus werden stärkeres Gewicht haben.

Das persönliche Verhältnis zwischen Biden und Putin wird kompliziert sein. Immerhin hat Biden Putin einen „KGB-Gangster“ genannt und bemerkt, er sehe keine Seele, wenn er in Putins Auge schaue. Ein Freund Putins will und wird Biden nicht werden. Ein enger Berater von Biden, Michael Carpenter, ist ein „Russia hawk“. Es ist daher auch nicht zu erwarten, dass es bald ein persönliches Treffen der beiden Präsidenten geben wird.

Die Betonung von Demokratie und Menschenrechten und die Demokratieförderung werden in der Biden Administration wieder wesentlich bedeutsamer sein als unter Trump. In dieser Hinsicht wird die neue Administration auch öffentliche Kritik an den Zuständen in Russland üben. Biden wird stärker in Programme investieren, die den Kontakt zur russischen Zivilgesellschaft fördern (RFE/RL, USAID). Zu dem von Biden geplanten „Summit of Democracies“ wird Russland jedenfalls nicht eingeladen werden.

Biden wird auch auf eine Stabilisierung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen abstellen. Dazu gehört auch, zwischen Europa und den USA eine gemeinsame Russlandpolitik zu bestreiten, um Russland politisch weiter zu isolieren. Dabei werden die Konzepte „deterrence“ und „constrainment“ (die wirtschaftliche und finanzielle Schwächung Russlands, damit es seine aggressive Außenpolitik nicht fortsetzen kann) dominieren.

Sicher wird Biden auch das „Ukraine Dossier“ wieder aufgreifen, für das er als Vizepräsident verantwortlich war. Die Militärhilfe an die Ukraine wird steigen und die USA womöglich sogar eine Änderung des Verhandlungsformats über die Ostukraine verlangen – weg von den Normandie-Vier (Russland, Deutschland, Frankreich und Ukraine) hin zu einem Format, das die USA miteinschließt. Vorstellbar ist auch, dass Biden auf ein neues Abkommen zur Regelung des Konfliktes in der Ostukraine drängen wird. Die Stärkung der Ukraine wird von Biden und seinen Beratern als wichtigstes Instrument angesehen, um Russland “einzudämmen”.  Auch in anderen Ländern des post-sowjetischen Raumes werden die USA wieder aktiver sein – allen voran in Belarus. Es ist fraglich ob Biden gegenüber Lukaschenko die selbe Zurückhaltung üben wird, wie das bisher die EU getan hat.

Biden kann sich dabei auf einen parteiübergreifenden Konsens im Kongress stützen, dessen Russlandpolitik auf dem Anspruch beruht, Russland für eine Reihe von „bösartigen Aktivitäten“ zu bestrafen. Nachdem der Handelsaustausch zwischen beiden Staaten gering ist, gibt es in den USA auch keine wirtschaftliche Lobby für die Verbesserung der Beziehungen.

Die Hoffnung auf Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland ist am stärksten im Hinblick auf den Vertrag über die Abrüstung strategischer Offensivsysteme New START. Der Vertrag läuft am 5.2.2021 aus. Biden hat vor den Wahlen versichert, diesen Vertrag im Einvernehmen mit Russland um 5 Jahre ohne Bedingungen zu verlängern. Nun, nach den Wahlen ist das keineswegs mehr sicher. Berater Trumps spekulieren darüber, Russland die Zugeständnisse abzuringen, die es der Trump Administration gegeben hat – nämlich die Verlängerung um nur ein Jahr unter der Bedingung des Einfrierens aller nuklearer Sprengköpfe, nicht nur der strategischen, sondern auch der taktischen. Sollte Biden also seine ursprüngliche Haltung ändern, wird dies keine gute gemeinsame Basis für weiterreichende Rüstungskontroll- oder Abrüstungsverträge zwischen den beiden Staaten sein. Innerhalb eines Jahres lässt sich auf keinen Fall ein Nachfolgevertrag für New START aushandeln. So wäre man in einem Jahr am selben Punkt wie jetzt schon. Sollte Biden auch noch darauf beharren, dass das Einfrieren der nuklearen Sprengköpfe invasiv verifiziert werden muss, wird Russland ablehnen und der New START wird auslaufen.

Ein weiterer Bereich der multilateralen Zusammenarbeit wäre die mögliche Rückkehr der USA zum Nuklearabkommen mit dem Iran. Russland hatte schon unter Obama bei der Ausarbeitung des JCPOA ein konstruktive Rolle gespielt. Differenzen über Syrien werden bleiben. Auch Biden wird jede Unterstützung Syriens beim Wiederaufbau davon abhängig machen, dass al-Assad einen politischen Reformprozess auf der Basis der Resolution 2254 des Sicherheitsrats der VN mitträgt. Auch eine Erhöhung der US-Truppenpräsenz in Syrien unter Biden ist keineswegs ausgeschlossen.

Nach der Enttäuschung über die Unfähigkeit von Trump, eine versöhnliche Russlandpolitik auch gegenüber seinem eigenen Sicherheitskabinett und dem US-Kongress durchzusetzen, sind die Erwartungen der russischen Führung an Biden nicht groß. Bei vielen Kommentatoren herrscht die Überzeugung vor, der „deep state“ habe Trumps Annäherung an Russland blockiert. Biden werde auf dieser harten Russlandpolitik aufbauen. Daran ändert auch nichts, dass die Außenpolitik von Biden für Russland berechenbarer sein wird. Es wird mehr Frost geben und sicher kein Tauwetter.

Foto: TASS, via https://www.rferl.org/a/russia-putin-crimea-biden/25301462.html

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.