Russland und die Energiesicherheit der EU. Kommentar gemeinsam mit Johannes Pollak (IHS)

Die Pläne der OMV, sich zusammen mit führenden europäischen Energieunternehmen einerseits am Bau der Nordstream-Erweiterung zu beteiligen und andererseits Anteile an eigenen Raffinerien gegen eine Beteiligung an sibirischen Gasfeldern zu tauschen, löste in Österreich eine Debatte über Russlands Rolle in der europäischen Energieversorgungsicherheit aus.

Die Ausgangslage: Durch die stagnative Wirtschaftsentwicklung ist der Gasverbrauch in der EU deutlich zurückgegangen. Mit 21,5 Prozent lag der Anteil von Erdgas am gesamten Energiemix so niedrig wie lange nicht, was auch mit dem steigenden Anteil von erneuerbarer Energie im Primärenergiesektor zusammenhängt. Der Gaskonsum ist mittlerweile unter 400 bcm gefallen. Trotz geringeren Gasverbrauchs in der EU ist der Importbedarf weiterhin hoch – er liegt bei 66 Prozent -, weil vor allem das Vereinigte Königreich, aber auch die Niederlande weniger fördern. Norwegen kann diesen Rückgang nur bedingt und unter steigenden Kosten kompensieren. Russland ist mit einem Anteil von 30 Prozent am Gaskonsum der EU der wichtigste Lieferant.  In den nächsten Jahren werden die USA und Australien wichtige Exporteure von Flüssiggas werden. Iran wird mittelfristig zu einem wichtigen Gaslieferland, wenn auch nicht für Europa, aufsteigen. Dieses insgesamt steigende Gasangebot trifft auf einen europäischen Markt, der wohl erst 2025 zu den Verbrauchsvolumina von 2008 zurückkehren wird.

Ein wichtiger Faktor der Energiesicherheit ist die Infrastruktur. Russland versucht seit 1999, die dominierende Rolle des maroden ukrainischen Transitnetzes durch Umgehungsleitungen zu verringern. 1999 wurde die Jamal-Europa Gasleitung, dei nach Deutschland führt, in Betrieb genommen. 2003 wurde mit Blue Stream eine direkte Gasleitungsverbindung zwischen Russland und der Türkei eingerichtet. Nordstream – in Betrieb seit 2011/12 – ist die zentrale nördliche Umgehungsleitung. Die südliche Umgehungsroute ist Russland bisher nicht gelungen. Southstream wurde im Dezember 2014 aufgrund des Widerstands der Europäischen Kommission aufgegeben. Die Ersatzvariante Turkstream wird aufgrund des türkisch-russischen Konfliktes derzeit nicht weiterverfolgt. Geopolitisch motivierte Bemühungen, die russischen Umgehungspläne zu vereiteln, müssen die Frage beantworten, wer mehrere Milliarden in die Sanierung des ukrainischen Gasleitungsnetzes investieren soll.

In dieser Situation Energiesicherheit, also die konstante Versorgung zu leistbaren Preisen mit wenn möglich nachhaltiger Energie zu gewährleisten, ist alles andere als einfach. Nach dem Scheitern von Nabucco, konzentriert man sich in der OMV auf den Ausbau des nördlichen Korridors. Dafür sind fünf Gründe anzuführen: (1) Der Ausbau von Nordstream ist technisch einfach und vergleichsweise kostengünstig; (2) Nordstream ist unabhängig von Transitländern; (3) Gas wird damit auf den nördlichen Spotmärkten verfügbar – von dort wird Gas über ganz Europa verteilt; (4) Gas ist eine lokale Ware, i.e. je näher zum Produktionsstandort sich der Käufer befindet, umso günstiger. Und Russlands Gasvorräte befinden sich nun mal vor der Haustür Europas. (5) Russland hat sich in den letzten 50 Jahren als verlässlicher Lieferant erwiesen; die Lieferengpässe 2006 und 2009 waren wesentlich dem Transitland Ukraine geschuldet.

Was wären die Alternativen zu russischem Gas? In Europa spricht man von Diversifizierung der Lieferanten, Diversifizierung der Versorgungsrouten, Energieeffizienz,erneuerbarer Energie, sowie der Finalisierung des Energiebinnenmarktes. All dies ist vorbehaltlos zu begrüßen, aber auch an der Realität zu messen.

Wer sind die Lieferanten, die für Russland einspringen könnten? Flüssiggas (LNG) der USA wird sich die teuersten Absatzmärkte suchen und das ist der asiatische Markt, zumindest so lange bis Australien als Exporteur auftritt. Russisches Gas wird mindestens so günstig zu beziehen sein, wie US-LNG. Auch fehlt in der EU die Infrastruktur, um LNG von West nach Ost zu verteilen. Nordafrika (Algerien, Libyen) ist aufgrund der politischen Unruhen und des steigenden Binnenverbrauchs kein Lieferant für höhere Erdgasmengen. Irans Gasindustrie und –infrastruktur wird erst mittelfristig modernisiert werden können. Die vor allem im Süden des Landes konzentrierten Gasfelder (South Pars), werden in erster Linie die stark ansteigende Binnennachfrage bedienen müssen, auch um das Regime zu stabilisieren. Die exportierbaren Gasreserven Azerbaijans sind begrenzt (16-25 bcm); Gas aus Turkmenistan wird vorwiegend nach China exportiert und es fehlt die Transportinfrastruktur nach Westen. Der Bau der Transkaspischen Gasleitung, die Turkmenistan und Azerbaijan verbinden soll, scheitert derzeit auch an der ungeklärten Frage des völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meeres. In beiden Fällen würde die sich immer stärker islamisierende Türkei zum zentralen Verteilzentrum des Gases aus Zentralasien. Ungeklärt wäre weiterhin, wie das Erdgas von der türkischen Grenze in die EU gelangen soll. Die rumänische und bulgarische Infrastruktur kann dies aufgrund von überalterter, sanierungsbedürftiger Technik nicht leisten.

Die Debatte um die Beteiligung der OMV an Nord Stream 2 blendet aber die Grenzen, Gasleitungen zu diversifizieren, nahezu völlig aus. Nord Stream 2 wird ausschließlich politisch bewertet; die ökonomische Rationalität und die erhöhte Sicherheit der Gasversorgung durch den Wegfall von Transitländern werden dabei ausgeblendet. Gasleitungen sind zudem nicht nur technische Infrastruktur, sondern verbinden Staaten. Die erhöhte Interdependenz mit Russland ist nüchtern zu bewerten, aber sie schafft wechselseitige Abhängigkeiten. Die EU wird weiterhin Gas aus Russland beziehen müssen, Russland wird weiterhin auf den europäischen Markt setzen. 75 Prozent der russischen Gasexporte entfielen 2014 auf den lukrativen europäischen Gasmarkt. Die gesamte Leitungsinfrastruktur Russlands führt nach Westen, alle vollmundig angekündigten Pläne, eine Energiekooperation mit China einzugehen (Gasleitung Power of Siberia, Altai Pipeline), sind bisher Makulatur. Damit bleibt Russland vom europäischen Markt außerordentlich abhängig. Die Gasbeziehungen zwischen Russland und Europa sind von symmetrischer Dependenz gezeichnet; sie stellen daher ein geringes Risiko dar. Ein kalkulierbares Risiko, wenn der Anteil Russlands am Gaskonsum der EU auf 30 Prozent beschränkt bleiben kann – und soll. Gazprom selbst erwartet keinen höheren Anteil am europäischen Gasmarkt.

Aber auch aus strategischen Gründen sollten die Gasbeziehungen zwischen der EU und Russland weiter bestehen. Russland ist von Öl- und Gasexporten finanziell außerordentlich abhängig. Die Diversifizierung weg von Russland senkt russische Einnahmen und gefährdet damit die Stabilität im Land. Niemand aber kann Interesse an einem instabilen Russland haben.

Der angesteuerte asset swap – Beteiligung an russischen Gasfeldern gegen Infrastrukturbeteiligungen – zwischen der OMV und Gazprom stärkt die Interdependenz auch auf der Ebene der Unternehmen. Kritiker meinen, dies wäre der Start einer unweigerlich fortschreitenden Übernahme der OMV durch Gazprom. Allein, sie haben kein einziges Argument vorgelegt, warum der Tausch von Unternehmensanteilen nicht kontrollier- und steuerbar bleiben soll. Das Gerede vom Ausverkauf der OMV und der einseitigen Abhängigkeit der EU von Russland ignoriert beharrlich die Fakten und globalen Realitäten.

Der Kommentar ist am 4. Jänner 2016 in der Tageszeitung Der Standard erschienen.

Foto: http://www.lngworldnews.com/

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