Wegsehen ist eine Schande.

Eine neuerliche diplomatische Initiative, um eine Verhandlungslösung für den Konflikt in der Ostukraine zu finden, bleibt weiter aus. Die EU scheint darauf zu setzen, den von Russland unterstützten Aufstand durch die militärische Gewalt der anti-terroristischen Operation der ukrainischen Regierung zu beenden.

Das Ergebnis dieser Militäraktion ist eine hohe Zahl von Opfern – es dürften mehr als 1500 Menschen umgekommen sein, darunter viele Zivilisten – und dramatisch steigende Flüchtlingszahlen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als 170.000 Ukrainer in Russland als Flüchtlinge registriert, mehr als 110.000 Menschen sind in andere Regionen der Ukraine geflüchtet. Die tatsächliche Zahl der vor den Kriegswirren Geflohenen dürfte deutlich höher sein. Was daran ist keine humanitäre Katastrophe?

In der politischen und medialen Debatte in der EU wird dieses Elend aber kaum thematisiert. Das hat zwei Gründe:

Gäbe es eine intensive Diskussion über diese humanitäre Katastrophe würde dies die von der russischen Führung in den letzten Wochen vorgebrachten Argumente über eine notwendige humanitäre Intervention bestärken. Russland stärkt dieses Narrativ um einen Vorwand/Grund zu haben, in der östlichen Ukraine einzumarschieren.

Der zweite Grund ist, dass eine Debatte über das menschliche Leid in der Ostukraine die moralische Grundlage für die anti-terroristische Operation erodieren liesse. Das aber soll offensichtlich nicht geschehen, weil das die auch von der EU mittlerweile anvisierte militärische Lösung des Konfliktes behindern würde.

Aus diesen Gründen gibt es diese Diskussion nicht. Opfer des europäischen Schweigens sind die vielen toten oder in die Flucht getriebenen Zivilisten. Das ist eine europäische Schande. Es ist schwer zu verstehen, warum so viele Medien dabei mitmachen.

Foto: http://www.huffingtonpost.com/2014/08/06/humanitarian-crisis-east-ukraine_n_5651238.html

3 thoughts on “Wegsehen ist eine Schande.”

  1. Warum so wenig Dissens und öffentliche Debatte:

    Linguistisch: Alte Feindbilder können einfach aufgewärmt werden. Sprachlich-semantische Konstrukte, die während der Blockkonfrontation formuliert wurden, sind noch so weit erinnerlich, dass sie schnell reaktiviert werden können.

    Bürokratisch: NATO sieht eine Chance, nach der Existenzkrise seit Ende des Kalten Kriegs (und dem gescheiterten Versuch einer “Globalisierung”, sprich: Afghanistan) ihre ursprüngliche Raison d’être zurück zu bekommen. Und das mit relativ geringem Aufwand, da die notwendigen bürokratischen Routinen fix und fertig in der Schublade liegen.

    Medien: Die Funktion von Medien, komplexere Zusammenhänge hinter politischen Simplifikationen und Überzeichnungen hinterfragend-kritisch aufzuzeigen, scheint im Fall von angeblichen äußeren Bedrohungen auszufallen. (*)

    Politik: Ein sozialpsychologischer Allgemeinplatz ist, dass äußere Bedrohungen den inneren Zusammenhalt einer Gruppe stärken. Angesichts der noch vor wenigen Monaten täglich befürchteten Zerfallserscheinungen der EU im Lichte der Eurokrise und Renationalisierungsdebatte ermangelt das Argument nicht jeder Plausibilität, dass einigen europäischen Politikern dieser (vermutlich ihrer Meinung nach durchaus kontrollierbare) äußere Konflikt nicht ungelegen kommt.


    (*)Vgl., wie dieser Effekt nach 9/11 in den USA dazu beigetragen hat, es der Bush-Regierung medial relativ ungestört zu ermöglichen, den Irakkrieg (2003) vorzubereiten.)

  2. es verwundert, dass es in Europa gar keine wirklich lauten Stimmen gibt, die die Gefahren einer weiteren Verhärtung zwischen EU und Russland aufzeigen, geschweige denn die Situation in der Ukraine verbesseren.
    Das Russland Landsleute in der Ukraine nicht verrecken lässt (lassen kann), ist selbstredend, auch wenn es sich um “Rebellen”, inklusive Mütter und ihren Kindern, handelt.
    Die Strategie der Sanktionen ist ein Schuss in den Ofen, einerseits wird die Situation in der Ukraine keine Verbesserung erfahren und anderseits werden die nachbarschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen offensichtlich nachhaltig geschädigt.
    Wer mit den Sanktionen im Kleinen (zB. mittlere Unternehmen mit Projekten in Russland) zu tun hat, wird weiters erkennen, dass sogar zuständige Ministerien “nicht genau” wissen wie die Umsetzung aussehen soll; auf alle Fälle mal melden und mit 6-8 Wochen Bearbeitungszeit rechnen.

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