Navalnyj und ein maliziöses Spiel

Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Haftprüfung und die darauffolgende gerichtlich verfügte Enthaftung von Aleksej Navalnyj sind für russländische Strafverfahren ungewöhnlich. Einige Kommentatoren meinten, dies wäre ein Erfolg der spontanen Proteste gegen das Urteil über Navalnyj in Moskau und anderen russländischen Städten gewesen. Nichts liegt ferner als diese Begründung. Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass nur einer dieser Kommentaren das wirklich glaubt; vielmehr geht es ihnen wohl darum, die Opposition stärker darzustellen als sie tatsächlich ist. Glaubwürdigen Gerüchten nach liegt die Erklärung in einer Auseinandersetzung zwischen dem Lager des Moskauer Oberbürgermeisters Sobjanin und dem Leiter der Zentralen Untersuchungsbehörde (SK) Bastrykin. Bastrykin möchte entlang der repressiven Strategie, auf die sich die russländische Führung um Putin mehrheitlich verständigt hat, fortsetzen und einen führenden oppositionellen Aktivisten ins Gefängnis bringen. Sobjanin hingegen ist daran interessiert, die Wahlen zum Moskauer Bürgermeisteramt am 8. September d.J. als möglichst kompetitiv und glaubwürdig aussehen lassen. Dazu braucht er die Kandidatur Navalnyjs, der das jüngere, gebildetere und einkommensstärkere Wählersegment in Moskau mobilisieren kann. Ohne Navalnyjs Teilnahme würden die Wahlen zu einem bürokratischen Selbstbestätigungsakt Sobjanins verkommen.

Sobjanin scheint sich durchgesetzt zu haben. Nach der erfolgten Enthaftung haben die Verteidiger Navalnyjs noch 9 Tage Zeit, Berufung einzulegen. Das Berufungsgericht muss dann in spätestens 30 Tagen beginnen über die Berufung zu beraten: das Urteil bestätigen, verändern, auf Bewährung auszusetzen oder Navalnyj freisprechen. Letzteres scheint nahezu unmöglich. Die Überprüfung des Berufungsgerichtes kann mehrere Monate dauern, aber auch mehr als ein Jahr. Wann eine Ene Entscheidung also fallen wird, ist unbekannt. Als verurteilter Staatsbürger verliert Navalnyj das passive Wahlrecht. Verurteilt auch das Berufungsgericht Navalnyj zu Haft, bleibt diesem als letzte Berufungsinstanz das Kassationsgericht zur Aufhebung eines rechtskräftigen Urteils durch ein höheres Gericht. Dieses Rechtsmittel kann er aber nur aus der Haft nutzen. (Ich verdanke diese Rechtsexpertise dem Univ.Ass. Alexander Dubowy, Juridicum Wien). Wird Navalnyj nicht bis zum 3. September rechtskräftig verurteilt, bleibt sein Name jedenfalls auf dem Stimmzettel. Wird das Urteil erst nach der unwahrscheinlichen Wahl zum Bürgermeister rechtskräftig, verliert er automatisch dieses Amt.

Das würde das maliziöse Spiel möglich machen, das ich vermute: Navalnyj bleibt im Rennen um das Moskauer Oberbürgermeisteramt, verschafft den Wahlen Legitimität, erzielt ein respektables Ergebnis und wird nach dem Scheitern der letzten Berufungsmöglichkeit in den Kerker geworfen. Bastrykin hat seinen Gefangenen, Sobjanin seine kompetitiven Wahlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Navalnyj dieses Spiel mitmachen wird.Dazu kommt nämlich noch: Sollte die Unterstützung für Navalnyj in den Umfragen zu stark werden, wird das Berufungsgericht eine Haftentscheidung fällen.

Foto: Reuters

6 thoughts on “Navalnyj und ein maliziöses Spiel”

  1. Welche Optionen hat nun Nawalnyj, soferne er “dieses maliziöse Spiel” nicht mitzumachen gewillt ist?

  2. Navalnyj hat keine attraktiven Optionen. Am sinnvollsten schiene mir, zum Boykott der Wahlen aufzurufen. Dann wird aber die Berufung am nächsten Tag abgelehnt…

  3. Das war in der heutigen “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” zu lesen:
    “Eine Niederlage Nawalnyjs würde die gesamte Protestbewegung zurückwerfen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum die Staatsanwaltschaft ihn bis zur Berufung wieder auf freien Fuß setzen ließ. Vielleicht will der Kreml Nawalnyj in diesem zynischen Spiel noch die Wahlen verlieren sehen, bevor er ihn ins Arbeitslager schickt.”

  4. Lilia Shevtsova, führende Expertin zur russländischen Innenpolitik, meint: “Sobyanin just borrowed Navalny to achieve his agenda. After playing the role of Sobyanin’s sparring partner, Navalny will be sent to the labor colony as planned. There is not even the slightest chance that his appeal will be successful. The Kremlin cannot afford to demonstrate weakness.”

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