russlands zonen vitaler interessen

Russland ist verwundbar geworden. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, wie anfällig das Land für externe Schocks ist. Wenn Marktpreise und Nachfrage nach Energieträgern und Metallen sinken, steigt das Haushaltsdefizit, die volkswirtschaftliche Leistung stagniert, staatliche Ausgaben ─  auch für militärische Belange ─ werden beschnitten.  Der Arbeitsmarkt gerät unter Druck, nicht zuletzt für die Arbeitsmigranten aus den Nachbarländern Russlands. Das schwächt die weiche Macht (soft power) Russlands in diesem Raum, das russländische Modell verliert an attraktiver Zugkraft; Investitionen russischer Unternehmen auf diesen Auslandmärkten gehen zurück und damit ein wichtiger Hebel, die Nachbarstaaten wirtschaftlich und finanziell zu kontrollieren.

All dies verringert Russlands Kraft, die vitalen Interessen in diesen Ländern durchzusetzen. Das hält Russland nicht davon ab, die Nachbarländer als besondere Einflußzone anzusehen, die gegen das Vordringen anderer Mächte – allen voran der USA, aber auch der EU – verteidigt werden müsse. Den Anspruch auf besondere Einflußzonen zu bestreiten, ist müßig. Großmächte haben Zonen vitaler Interessen. Das gilt für Russland ebenso wie für die USA, China aber auch die EU. Die Anstrengungen der EU, den südlichen Gaskorridor durchzusetzen, ist in deren vitalem wirtschaftlichen Interesse, aber eben auch ein Versuch, besondere Präsenz und Einfluss in der Südflanke Russlands zu sichern. Die Instrumente, um solche besonderen Einflusssphären zu schaffen und zu stabilisieren sind vielfältig: dazu gehören weiche Macht wie harte Macht, im Fall Russlands auch militärische Macht.

In der Ukraine und im südlichen Kaukasus überlagern sich die hegemonialen Ansprüche Russlands, der USA und der EU. Die Ukraine ist ob ihrer geopolitischen Lage sowohl für die EU und die USA als auch für Russland eine strategische Zone. Der Wettbewerb um strategische Kontrolle über dieses Land ist scharf und zuweilen aggressiv. Diese Rivalität zu leugnen wäre absurd – für alle daran beteiligten Akteure. Russland hat seit dem Machtwechsel in Kiiv seine Interessen stärker durchsetzen können; die USA und die EU haben relativ an Einfluss verloren. Aber auch die russische Führung kann die ukrainische Elite nicht nach eigenem Willen kontrollieren und lenken. Auch ist der Versuch, die hegemoniale Kontrolle über die Ukraine zu errichten, reversibel; nicht zuletzt weil auch innerhalb der Ukraine starke Kräfte – allen voran die finanzstarken Eigentümer des Rohstoff- und Schwerindustriesektors – gegen die russische Bevormundung wirken.

Russland vorzuwerfen, die politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle über seine Nachbarstaaten zu erlangen, ist absurd. Alle Großmächte folgen dieser Logik – Russland eben auch. Aber ebenso ist es nachvollziehbar, warum andere Staaten diesem Kontrollanspruch mit eigenen Mitteln und Instrumenten entgegenwirken (sollten). Der russischen Hinterhofpolitik gilt es, westliche Vorhofpolitik entgegenzusetzen.

Foto: http://www.fensterzumhof.eu/bilder/v/Berliner-Hinterhoefe/hausbesetzer-rigaer-strasse-hinterhof.html

Dieser Text ist am 7.12.2010 in der Tageszeitung ‘Wiener Zeitung’ erschienen.

12 thoughts on “russlands zonen vitaler interessen”

  1. Wäre es nicht einen Versuch wert, diese Logik zu hinterfragen? Die “harte Macht” – zumindest für eine einzige Sekunde – für unrentabel zu empfinden, da mit Rüstungsaugaben das Leben der von Krieg geplagten um so vieles verbessert werden könnte. Hegemonie ist doch nicht das Ziel, Unterdrückung ihre Folge…

  2. “Russland vorzuwerfen, die politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle über seine Nachbarstaaten zu erlangen, ist absurd.”
    Wieso?

  3. In dieser Lage der Verwundbarkeit scheint sich die RF außenpolitisch neu orientieren zu wollen. Der Versuch des Ausgleichs mit dem Nachbarn Polen (Stichwort Katyn) deutet ebenso darauf hin wie das Verhalten beim jüngsten “Gipfelgespräch” mit der EU. Die EU wäre – im eigenen Interesse (Investitionsmöglichkeiten!) – gut beraten, die ausgestreckte Hand Moskaus vorurteilsfrei zu ergreifen und eine neue Phase fruchtbringender Partnerschaft für die Wirtschaft einzuleiten. Die Aussichten hiefür sind günstig, hat sich die RF doch mit der Olympiade 2014 in Sotschi und mit der Fußball-WM 2018 viel vorgenommen. Das “Wettrennen” um die Gasversorgung der EU zwischen GAZPROM und NABUCCO sollte dabei nicht allzu hinderlich im Wege stehen, sondern eher zu jeweils verstärkten Anstrengungen Richtung Effektivität anspornen. Schließlich ist Wettbewerb ein wesentliches Element zeitgemäßen Wirtschaftens und zweifellos sinnvoller als militärisches Kräftemessen mit der ihm immanenten Gefahr der sinnlosen Vergeudung von Ressourcen.

  4. Die Problematiken des Russländischen Dilemmas als Option EU-ropas!?

    Wie Sie, werter Herr Professor – aber so auch in wohl interessanter Perspektivierung der Themantik die beiden Kollegen – dargetan haben, bieten Russlands Schwächen der “Union” (wie unsere kephale “Multi-Level- Höchstinstanz” seit Lissabon [im EUV und AEUV (neu)] sich ex lege zu nennen pflegt) gute und mitunter auch recht zukunftsträchtige Optionen, seine soft powers (und die daraus entspringenden Agitationsmechanismen) nun gegenüber der RF geltend zu machen.

    “Wir” brauchen Russlands fossile Energieträger – aber auch sein know how im Sicherheitsbereich, da uns leider vieles noch bevorsteht, was Russland derzeit hart zu “managen” hat (unabhängig davon welcher elementalen Fiktionen und Inszenierungen einige der “Fleisch gewordenen” Problemata in punkto Terror, Menschen- und Drogenschmuggel etc. letzten Endes auch deren Ausgeburt wurden: Sind sie ja doch reale Bedrohungen geworden).

    Genauso benötigen unsere östlichen Nachbarn, im bereits romantisch verschneiten Russland, die Union als verlässlichen und zahlungswilligen Abnehmer. Es fehlen ja, wie wir in Konkordanz feststellen, gen Ostasien hin Infrasturktur und auch Preis-Übereinstimmung.

    Überdies täte man in der RF, genauso wie in der Union, gut daran, stärkere wirtschaftliche und investitionsgebundene Interdependenzen einzugehen, wodurch sich a) nicht nur die euro-russische Kooperation, sondern auch b) neues Wissen, neue Kraft und vor allem für beide Seiten attraktive relative gains zeigen und erreichen ließen.

    Jedenfalls bietet es sich, genau just in der kontemporären weltpolitischen wie auch regionalen, Lage an, nun neue Bande zwischen Brüssel und Moskau zu schmieden – quasie die Chance zu nützen und dennoch auch via Vor-Hofspolitik positiv sich auswirkenden Druck auszuüben -, was für beide Seiten letzten Endes gewinnträchtig und damit einhergehend beider Akteure (partielle fragliche) Zukunftsfähigkeit mehr und mehr gewährleistete.

    Zumindest halte ich diesen Input für erwähnenswert und es ist und bleibt spannend zu beobachten, was sich in dieser Konstellation aber auch innerhalb der RF nächstens abspielen wird.

  5. Die Propagierung von wirtschaltlichen Interdependenz bzw. ökonomischer Kooperation, halte ich für eine Binsenweisheit, die – den heutigen Forschungsstand betrachtend – keine wirkliche Innovation darstellt und allgemeine Zustimmung finden wird.
    Viel interessanter und leider auch schwieriger – vor allem für die Positivisten unter uns – ist da die demokratiepolitische und menschenrechtliche Relevanz in Bezug auf EU und RF.

  6. @ ruud

    Sehr geehrte Dame. Ihre Offenheit und Ihre Meinungsfreheit (gem Art. 13 StGG von 1867 in Art. 149 B-VG sowie die Freiheit der Wissenschaft, gem Art. 17 StGG, auch in § 2 Abs 1 UG 2002) bleiben Ihnen und Ihren lakonischen Ergüssen unbenommen.

    Aber ihre Darelgungen werden nun dekonstruiert, die prophecy Ihrer durchlauchten eRwartung zu einer self destroying.

    Sie können meinen was Sie wollen: und das ist auch gut so. Sehr wohl aber – werte Kollegin deren Name “ruud” da lautet – täten sie gut daran, sich dessen gewahr zu sein, dass inter-nationale Politik – und so auch deren Kern-Substrat, eine Vielzahl von x Außenpolitiken zu n Zwecken – grundsätzlich pragmatisch-zielgerichteten Abläufen folgt, solche zum Zwecke seines Tuns anpeilend ausgrichtet ist. Die schiere Binsenweisheit ist das Anfangsmotiv der EUro-russischen Kooperationen.

    Und niemand sagt, dass eine ökonomisch-sicherheitsbezogene Interdependenzen-Verdichtung nicht den, von Ihnen so hoch gepriesenen und auch (realiter durchaus) demgemäß wichtig seienden, Aspekt der Menschenrechte aus-schlösse. DAs ward nie gesagt, sehr geehrte Frau Kollegin.

    Nur, werte Frau Kollegin, seien Sie sich dreier Fiktionen ihres polemisch-apodiktischen – undruchdachten Darlegens – bewusst:

    1. “Die Eitelkeit der Selbstlosen ist grenzenlos.” (Tucholsky: Schnipsel) Des Weiteren 1a) sind Demokratie und Menschenrechte auch “hier zu Lande” vielfach Fiktionen (iSv Vaihinger, Hans: Die Philosophie des Als Ob), mit dem Unterschiede (der differentia specifica, wie man das in einem wissenschaftlichen Argumentieren zu nennen pflegt), dass 1b) bei uns Korruption, Amtsmissbrauch, Menschenrechts- und Demokratie-Verhöhnung nur weitaus subtiler und sublimer von stattenn gehn als im einstigen Reich des russischen Bären.

    2. Wenn Sie sich mit aktuellen Problematiken beschäftig(t)en, täten Sie gut daran, vom Status Quo (vom definit Da-Seindenden, ergo vom Gegebenen) auszugehen. Denn nur das Gewahrsein der sozialen Wirklichkeit und seines Status Quo erlauben und ermöglichen der normativen (wohlwollenden) Politik ihre Options-Erkennung und eine mittel- bis lagfristig “greifende” soft power Politik.

    3. Was Ihre ver-meintliche, mehr meinende als dargebrachte Kenntnis des Forschungsstandes anbelangt, den Sie zu nennen nicht im Stande zu sein mir deuchen (da Sie die Referenten nicht anzuführen imstande bzw willens sind), empfiehlt es sich einmal die reports des wiiw, Studien der SWP sowie eine geraume weitere Anzahl an Russlandstudien (auch in der ÖMZ, in Foreign Affairs etc.) zu konsultieren; oder einfach einmal in eine Lehrveranstaltung von Prof. Dr. Mangott zu gehen, oder mit einem Kenner der EU zu sprechen, wie da ein solcher Hon. Prof. Dr. Kneucker einer ist.

    Nun: Genung Worte wurden Ihnen gewidmet. Im Sinne Heideggers – “Die Zeitlichkeit der Entschlossenheit hat bezüglich ihrer Gegenwart den Charakter des Augenblicks […]. Die dergestalt zeitliche Existenz hat also ständig ihre Zeit für das was die Situation von ihr verlangt.” – wurde Ihnen mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als Ihnen zu gönnen gewesen wär: Fassen Sie dies als ein einmaliges gentleman’s agreement auf. Resonanz erlangte, wer sich keine verdiente und damit sei dies abgehakt.

    Gehabt Euch wohl, Frau Kollegin und suchet Euch – da Ihr dem Buche-Lesen unhold und alles andere als angetan zu sein scheint – einen Gesprächstpartner, der da nicht ich sein werde und will.

    PS: Sollten Sie ein männlicher Träger des Namens “ruud”, in concreto eine sozial und/oder maskulines Subjekt sein (wie es etwa in den Niederlanden vorkommen mag, so habe die männliche Ansprache für Sie zu gelten).

  7. S.g. Herr Bernd J.,

    ihre geradezu lächerlichen Ausschweifungen – in welchen Sie wohl versuchen irgendjemandem nachzueifern (leider bleibt ein Original immer ein Original und eine Kopie eine Kopie) – haben Sie aufgrund welcher Unzulänglichkeiten auch immer vergessen lassen, dass jede Diskussion grundsätzlich auf Augehöhe beginnt – diesbzgl. würde ich Ihnen tatsächlich eine LV bei Mangott, Eder oder Kneucker nahe legen, in welchen es i.d.R. wertvolle Erkenntnisse auch über Diksussionskultur gibt.

    Im Übrigen bleibt mir nur die Feststellung, dass Adorno und Horkheimer auf grausame Art und Weise Recht behalten: “Der spezialisierte Geist verkennt sich als Absolutes” .

  8. Sie tun sich selbst wunderbar kund. Selten dass einem Menschen eine Introspektion Ihrergleichen Art dergestalt – sich auf andere projezierend – zu vollführen vermochte. Sie benötigten recht lange für diese Antwort und haben sich selbst wunderbar offenbart.

    PS: Als Sie montags meine Antwort lasen, da schienen Sie recht rastlos, ratlos und ruhelos, vor dem Computer hängend. Nun: sie hätten innovativer sein sollen und sich selbst mehr Zeit gönnen sollen. Insofern aber behalten Sie Recht: Sie sind eine Kopie, einer Kopie, einer Kopie und ich mute Ihnen diesen Daseins-Zustand zu.

    Es sei Ihnen aber – wie gesagt – keineswegs gegönnt, Ihnen das verbale “Sado Maso” zu gewähren, nach welchem Sie ja bekanntlich des Öfteren – auf diversen Internetseiten, so auch auf dieser – lechzen, stets sich Ihrer selbst und Ihres bürgerlichen Namens schämend. Nur allzu gut, dass das Datenschutzgesetz 2000 diesen Selbstoffenbarungstrieb diverser libertinistischer und dekadenter Subjekte partiell fördert.

    Gehabt euch wohl. Und frohe Feiertage im Reiche des “Habens”, das da fernab des Seins ist (Fromm, Erich: Haben oder Sein) Sie sind ein reizender Bio-Roboter.

  9. So sehr mich die rhetorische Autoerotik, die aus so manchem Kommentar sprudelt, auch amüsiert, so fühle ich mich dennoch genötigt festzuhalten, dass die sprachliche Schönheit und Ästhetik der Worte nicht zwangsläufig in positiver Korrelation zum analytischen Gehalt eines Kommentars stehen muss.

    Natürlich mache ich mich dadurch angreifbar, dass ich nichts Inhaltliches zum Thema beitrage. Eine gewisse Diskussions- bzw. Diskurskultur sollte jedoch auch in den sog. Neuen Medien gewahrt werden.

  10. Ich teile die Auffassung von Herrn Prof. Mangott – geäussert als Kommentar Nr. 17 unter “putin_medvedev” – dass dies hier ein politikwissenschaftlicher Blog und keine therapeutische Platform ist.

  11. Herr Heiden,
    ich möchte mich hier nicht mit dieser dubiosen, pseudo-intellektuellen und höchst aggressiven Argumentation in Zusammenhang bringen lassen! Meine Einträge sind sehr durchdacht gewesen und ich habe bloß ein wenig zu viel von meinen Ansichten preis gegeben, jedoch niemanden boshaftigst attakiert! Wie schwierig ist ein verantwortlicher Umgang mit diesen Neuen Medien, was ist ihr Segen und ihr Fluch? Was wird aus dieser militärischen Erfindung geworden? Und was tut Zensur dazu in einem wissenschaftlichen Blog, der doch angelegt ist, um eine Diskussion zu öffnen, über Themen zu philosphieren und abzuschweifen. Ich vermisse auch den Idealismus, der vor etwa drei Jahren noch stärker in den Posts zum Ausdruck kam. Wo sind sie hin, die wortgewaltigen und leidenschaftlichen Gedanken zu “unpolitischen” Themen, und weshalb nur werden meine unterdrückt?

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