… relaunch …

obamamedvedev_081115_mnDie Begegnung von Obama und Medvedev in London ist der sichtbare Versuch, die Beziehungen zwischen Russland und der USA radikal neu zu gestalten. Starke Spannungen und erhebliche Irritationen – die militärische Krise in Georgien, die Pläne zur Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO, und das Vorhaben Teile eines Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen zu stationieren – hatten zuletzt die bilateralen Beziehungen geprägt. In London treffen zwei sehr junge – Medvedev ist 1965, Obama 1961 geboren -, pragmatische, aber auch aussenpolitisch noch relativ unerfahrene Staatsmänner zusammen – beide sind übrigens Juristen. Die Agenda der Begegnung ist breit und vor allem von Sicherheitsfragen geprägt. Die geplante Unterzeichung eines Dokuments über die bilateralen Beziehungen wird aber auch durch Vorsicht geprägt sein.

Russland ist für Obama ein Schlüssel für die zwei zentralen strategischen Ziele seiner Außenpolitik – die Stabilisierung Afghanistans und die Kontrolle des iranischen Nuklearprogrammes. In Afghanistan haben beide Seiten ein gemeinsames Interesse – die Ausschaltung der radikalen Islamisten und die Verbesserung der Sicherheitslage. Russland ist bereit, die USA logistisch und materiell zu unterstützen, will die USA aber auch spüren lassen, dass Russland dazu dringend gebraucht wird. Daher hat Russland in den vergangenen Monaten auch seine Bündnispartner in Zentralasien – allen voran Kirgisistan – gedrängt, die militärische Zusammenarbeit mit der USA abzustufen, um damit das Gewicht Russlands in der Afghanistanpolitik der USA zu stärken.

Wichtiger noch ist die Kontrolle des iranischen Nuklearprogrammes. Auch Russland hat kein Interesse an einer nuklearen Bewaffnung des Iran. Gleichzeitig aber unterhält Russland enge wirtschaftliche Beziehungen mit Iran und ist darauf angewiesen, dass Iran weiterhin darauf verzichtet, islamistische Agitation im muslimischen russländischen Nordkaukasus  und in Zentralasien zu betreiben. Zugleich möchte Russland eine zentrale Rolle im zivilen Nuklearprogramm des Iran behalten. Andererseits sollte der Einfluss Russland auf die iranische Führung auch nicht überschätzt werden. Die Bedeutung Russlands für die USA in der Iranfrage ist seine Bereitschaft, schärfere Sanktionen gegen Iran im Sicherheitsrat der VN nicht zu blockieren – sollten die diplomatischen Annäherungsversuche der USA an den Iran scheitern – und, noch wichtiger, darauf verzichten, Iran militärische Abwehrsysteme wie die Raketenabwehr S-300 zu liefern.

Zuletzt werden in London die Weichen für die Zukunft der strategischen Rüstungskontrolle gestellt. Am 5. Dezember 2009 läuft das Abrüstungsabkommen Start-1 aus. Eine blosse Verlängerung des Abkommens wäre zu wenig. Notwendig wäre eine radikale Absenkung der operativen Sprengkopfzahl auf ca. 1.000 für beide Seiten und die Beibehaltung eines intensiven Verifikations- und Kontrollmechanismus. Derzeit haben beide Seiten zwischen 2.000 und 3.000 Sprengköpfe operativ einsetzbar; nach den Start-2008 Zahlen verfügen die USA aber über deutlich mehr Sprengköpfe als Russland (5.951 vs. 4.138) und über mehr Trägersysteme (ICBMs, SLBMs und strategische Bomber). Die Einigung auf Zählregeln, Sprengkopfzahlen und die Anzahl von Trägersystemen wird ausserordentlich schwierig sein; sie ist aber unabdingbar, um die Architektur der strategischen Rüstungskontrolle, die seit 1972 eingerichtet ist, nicht gänzlich zusammenbrechen zu lassen.

Foto: http://worldmeets.us/financialtimesdeutschland000084.shtml

4 thoughts on “… relaunch …”

  1. Frühaufsteher haben heute eine Kurzfassung davon im 7 Uhr-Morgenjournal von Oe1 – angereichert um eine Betrachtung des herrschenden “Duumvirats” (siehe PHÖNIX-Buch!) – mitbekommen. “Russlandexperte” Mangott hat eben derzeit Hochsaison!

  2. Seit der Wahl Obamas zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten war für mich klar, dass dieser Mann einen vollkommen neuen Kurs in den USA einschlagen würde. Er steht für die Dinge, die jedem vernünftigen, halbwegs gebildeten Menschen im Jahr 2009 klar sind. Der inzwischen untragbar gewordene Kurs der USA in der Nahost-Politik, die “gewagten” Ansichten zu Folter, Kriegsgefangenschaft usw, sowie den Mißbrauch der NATO zu Allmachtsphantasien hat die westliche Welt in grosse Zerwürfnisse gestürzt und war das Wasser auf den Mühlen der Radikalen. Dass der internationale Terror nicht mit Brachialgewalt zu lösen ist, haben wir bereits gelernt. Kooperation mit den Gemäßigten sowie Anerkennung der Souveränität von Staaten im Nahen Osten ist Grundvoraussetzung für eine effiziente Ausschaltung von Osama und Co.
    Russland ist dabei ein unschätzbarer Verbündeter, der vielleicht in seinem Vorgehen noch mehr Härte und Konsequenz besitzt als die USA und vor allem der EU. Eine Neuauflage der Stellvertreterkriege des Kalten Krieges im Iran und Umgebung wären der diplomatische Supergau. Die EU würde als erste zwischen den Stühlen sitzen.
    Umso begeisterter war ich, als Obama bereits wenige Tage nach Amtsantritt die Idee der Stationierung von Interceptoren und
    Radar(überwachungs)anlagen in Polen ad acta gelegt hat. Diese unfassbare Provokation hätte massive, unüberbrückbare Probleme und diplomatische Konsequenzen nach sich gezogen.
    Vorher Putin und jetzt Medvedev sind durchaus als kooperative Partner zu betrachten, lassen sich aber nicht in inner-russländische Angelegenheit “dreinreden”. – Mit vollen Recht!
    Auch ist Obamas Versuch der Annäherung an den Iran und den wahnsinnigen Ahmedinedschad ein Lichtstrahl am Horizont!
    Ich sehe grosses Potenzial in der Zukunft den weltweiten Terrorismus-Krieg auf die eine oder andere Weise zu beenden. Die Leader dafür werden das Duumvirat und Obama sein.

  3. @Think About
    Alles sehr optimistisch, nein, das bin ich auch, sehr gutgläubig. Wie schön wäre es! Aber in Wahrheit sieht es wohl ganz anders aus. Die USA versuchen es mit Zuckerbrot und Peitsche, der Präsident ist da nicht so wichtig. Jetzt ist es gerade mal Zuckerbrot, vor einigen Wochen noch ganz anders mit der stillschweigenden Unterstützung des Massakers in Gaza, und im vergangenen August/ September die brutale, nur schwach kaschierte Breitseite mit dem Georgien Krieg der georgischen Marionettenregierung, unter Aufbietung eines grandiosen PR-Feuerwerks, das Russsland unter kompletter Verdrehung der Tatsachen als Aggressor dastehen ließ. An diesen Hebeln (der Meinungslenkung) sitzt die Machtelite der USA, deren Welteroberungshunger in den letzten Jahren immer deutlicher wird. Die strategische Besetzung der Südflanke Chinas und Russlands mit Georgien, Irak, Afghanistan, Pakistan, evtll Iran, evtl. Tibet, evtl. Burma ist in vollem Gange. Jetzt ist die Finanzkrise dazwischengekommen und könnte zu einem Kurswechsel zwingen, aber welcher Art? In Afghanistan rüstet Obama auf unter dem Deckmantel einer verstärkten Aufbauhilfe, wie man nicht müde wird zu betonen. Wer glaubt das? Wer ist so dumm?

  4. @Dottorg:
    Ich verstehe den Standpunkt und bis zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist das schon so denkbar, aber ihre Argumentation bzgl der Russlandpolitik hinkt, wenn man den Präsidentschaftswechsel sehr wohl berücksichtigt. Meiner Ansicht nach wird die Politik der USA hauptsächlich vom Präsidenten und seinem Stab gemacht (zumindest in den “wichtigen” Dingen). Obama hat sich, ohne sie direkt zu kritisieren, gegen die Politik von Bush und Co gestellt.
    Strategische Positionen entlang der Grenze möglicher Aggressoren zu beziehen ist das kleine 1×1 jedes Militärstrategen. Auch sehe ich nicht, dass Georgien, Pakistan, Iran, Birma oder gar Tibet amerikanisch besetzt sind.
    Die US-Truppen im Irak werden reduziert. Was Afghanistan betrifft, sehe ich zwei Probleme, warum Obama Druck aufrecht erhalten muss:
    1: Afghanistan wird zum Prestigesieg werden, entweder für den Westen oder die Al Quaida und ihre Splittergruppen.
    Dass die Mullahs die internationalen Truppen nicht mittels konventioneller Kriegsführung schlagen können, wissen sie selbst. Zu effizienter asymetrischer Kriegsführung sind die meisten Mudschahidin auch nicht ausgebildet und somit ständig auf Rückzugsgefechte oder Guerilla-Taktik begriffen.
    Weiters ist bereits ein Machtverlust der Al Quaida weltweit spürbar und ein militärischer Sieg in Afghanistan ist zur Wahrung des Gleichgewichts unabdingbar! Natürlich verlangt die Diplomatie diese ganze Tragödie irgendwie blumig zu benennen: Aufbauhilfe.

    2: Die Welt hat den Grund für den Angriff auf Afghanistan vergessen. Hatten wir nicht alle das blanke Entsetzen in der Seele gespürt, als wir ca zu Mittag 911 die Towers einstürtzen sahen, und davor, wie Menschen aus den Fenstern der oberen Stockwerke um ihr Leben sprangen?
    Die “Regierung” Afghanistans hatte mit “wir wissen von keinem Osama” und verhohlenem Hohn reagiert. Die lächelnde Fratze eben dieses Osama und seiner Schergen hat uns lächelend den Krieg erklärt. Die darauf folgende Antwort der USA hat jeder verstanden.

    Heute weiss man, das religiöser Terrorismus nicht mit offenem Krieg zu zerschlagen ist, aber ein Rückzug wäre eine nicht wieder gut zu machende Schwäche, die den Mudschahidin einen populär perfekt zu vermarktenden Sieg in die Hand spielen würde.
    Nicht auszudenken, wieviel Zustrom allein die Re-Islamisierung mittels Terror in Agypten, Jordanien usw hätte. Erinnern wir uns nur an 1970 und die Haifa…
    Die Geschehnisse in Gaza lassen sich durchaus mit Putins Verfahrensweise in Tschetschenien vergleichen. Man mag ja über die Entstehung des Staates Israel geteilter Meinung sein, aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass der Gaza-Streifen die Hauptoperationsbasis für gezielten Terror an israelischen Zivilisten ist. Seien es nun selbstgebastelte Kazzam oder Schahids. Ich bin nicht der Ansicht, dass Israel in Duldungsstarre verharren hätte müssen.
    Vielen ist durch Gaza erst wieder bewusst geworden, dass Krieg eine häßliche Sache ist und nicht immer nur mit Hilfe chirurgischer Commandoaktionen geführt wird, bei denen nur wenige Opfer anfallen.
    Nur ein Wort noch zu Birma: In manche Gegenden dieses Landes wagt sich nicht einmal mehr das Rote Kreuz. Wenn es auf dieser Welt ein Volk gibt, dass militärische Hilfe aus dem Ausland brauchen könnte, dann die Burmesen…

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