Category Archives: Russia

… double standards …

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‘EU External Relations Commissioner Benita Ferrero-Waldner chided Tbilisi for a “somewhat overdone” reaction to the protests, which included the muzzling of an opposition television station, but welcomed subsequent steps to bolster democracy.’ (Source: reuters, December 6th, 2007)

 

Indeed: a very harsh reaction by the EU to a government’s use of truncheons, batons, tear gas and rubber bullets against a peaceful demonstration.

Furthermore, Ferrero-Waldner praised President Saakashvili for lifting the state of emergency. Shouldn’t he have not imposed it in the first place?

In addition, Ferrero-Waldner praised Saakashvili for holding early presidential elections. Shouldn’t the EU rethink whether ‘snap elections’ actually are a democratic gesture or a ploy against a poorly organised and ill prepared opposition movement?

_ winner’s and loser’s defeat _

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Das Ergebnis war in den Führungsstäben des Präsidialamtes bereits befürchtet worden – der regimetreuen Bewegung ‚Geeintes Russland’ werde es nicht gelingen, trotz schmutziger Tricks einen eindrücklichen Sieg an den Wahlurnen zu erreichen. Die gleichgeschalteten ‚Einheitsrussen’ sind bei der Bevölkerung wenig beliebt; sie gelten als farblose, graue Bürokratenriege, ohne klare Ziele und Konzepte. Die Entscheidung Vladimir Putins im Oktober, deren Kandidatenliste bei den Staatsdumawahlen anzuführen, war denn auch bereits eine Reaktion auf relativ schwache Umfragewerte der Partei im Frühherbst gewesen.

Letztlich hat aber auch das Charisma Putins nicht gänzlich ausgereicht, das matte Antlitz von Edinaja Rossija zu überstrahlen. Das lässt sich auf mehrere Ursachen zurückführen: Die aufdringliche Präsenz von ER in den staatlichen elektronischen Medien war vielen Bürgern bereits ein Ärgernis geworden; die immer arrogantere Selbstdarstellung erregte Missfallen. Entscheidender aber um den glanzlosen Wahlsieg zu verstehen ist, auch die Grenzen der Führungskraft und der Wählerwirkung Putins auszuloten: Es stimmt zwar, dass die Zustimmungsraten Putins derzeit bei 85 Prozent liegen. Aber nur 23 Prozent stimmen der Amtsführung Putins völlig zu; die übrigen stimmen nur ‚eher zu’. Auch die Vertrauenswerte Putins liegen deutlich niedriger – lange nur zwischen 45 und 50 Prozent.

Trotzdem aber gilt – auch wenn man die Medienkontrolle bedenkt –: Putin ist für eine Mehrheit der Russen eine Führungsfigur ohne Rivalen; die Konzentration der Macht in den Händen eines ‚guten Zaren‘ ist für die Mehrheit der Bürger ein Wert an sich; Studien zeigen zwar, dass sich mehr als 80 Prozent der Bürger ohne Einwirkungsmöglichkeit auf die Regierung sehen, aber zugleich unterstützen mehr als 70 Prozent eine ‚eiserne Führung‘. Die Akzeptanz der Ohnmacht, wenn die Führung in guten Händen liegt, ist der lebenskulturelle Rahmen von Putins Führungsstärke.

Wenn aber das Ansehen Putins trotz der genannten Einschränkungen bemerkenswert ist, stellt sich die Frage, warum die Führung Russlands es dann nicht gewagt hat, freie und demokratische Wahlen zuzulassen. Ein wesentlicher Grund dafür ist der unbeschränkte Herrschaftsanspruch der Machtelite: auch nur der Eindruck, es gäbe oppositionellen Widerspruch wird als störend wahrgenommen. Liberale Parteien – unterstützt vor allem von den gebildeten städtischen Mittelschichten – hätten in einem fairen Wahlgang gemeinsam 10–15 Prozent der Wählerstimmen gewinnen können; sie wären damit zu einem Machtfaktor geworden, der den Bürgern eine zumindest langfristige Alternative zur herrschenden Riege sichtbar gemacht hätte; eine Alternative, die darauf hoffen hätte lassen können, in einigen Jahren zu einer wirklichen Herausforderung zu werden. Eine liberale Opposition, die an den Wahlurnen nun aber ‚vernichtet’ wurde, signalisiert den Bürgern die Aussichtslosigkeit politischer Opposition und befördert deren Rückzug in das Private.

Ein weiterer Grund aber für die manipulierten Wahlen ist, dass Putin eine möglichst hohe Stimmenmehrheit als deutliches Vertrauensvotum brauchte, ein erneuertes Mandat als Führer des Landes. Jede Stimme, die dabei an liberale Parteien geht, ist eine Stimme, die an dem bonapartistischen Fundament der Macht nagt. Führer brauchen keine Mehrheiten, sondern bedingungslose Gefolgschaft.

Die Schwäche der liberalen Bewegungen lässt sich aber nicht ausschließlich auf die restriktiven Bedingungen des vergangenen Wahlkampfes – ungleicher Zugang zu den elektronischen Medien, systematische Behinderungen der Opposition bei Wahlversammlungen – zurückführen.

Der linksliberalen Jabloko und der rechtliberalen SPS war es schon nach dem Ausscheiden aus der Staatsduma bei den Wahlen 2003 kaum noch möglich gewesen, sicht- und wahrnehmbar zu bleiben. Ohne eigene Abgeordnete war es kaum noch möglich, sich den Wählern in Erinnerung zu halten; aber mit dem zunehmend restriktiveren Zugang zu den elektronischen Medien wurde dies aussichtslos.

Aufgrund rückläufiger finanzieller Mittel waren die liberalen Bewegungen auch schon in den Jahren zuvor gezwungen, ihre Stäbe zu kürzen und regionale Sektionen aufzulösen. Die finanzielle Austrocknung des liberalen Lagers wird sich nun aber noch verschärfen: Weil Jabloko und SPS weniger als 3 Prozent der Wählerstimmen erhalten haben, verlieren sie die jährliche staatliche Finanzierung von 5 Rubel (€ 0.12) pro Wähler. Dazu kommt, dass die beiden Parteien nun auch gezwungen sind, den elektronischen Medien die Werbeeinschaltungen zu bezahlen, die kostenlos nur für die Parteien bleiben, die zumindest 2 Prozent der Wählerstimmen erzielen. Auch die Sicherungseinlage in der Höhe von 1.44 Millionen Euro, die für das Antreten von Parteien, die nicht schon im Parlament vertreten sind, zu erbringen sind, gehen für die Parteien verloren, die weniger als vier Prozent der Wählerstimmen gewinnen. Angesichts des Umstands, dass es viele Unternehmen ohnehin nicht mehr wagen, liberale Parteien zu unterstützen – aus Angst vor behördlichen Schikanen, v.a. durch die Steuerpolizei – ist der demokratischen Bewegung die finanzielle Überlebensgrundlage entzogen.

Dennoch aber ist anzumerken, dass die Liberalen an ihrer tristen Situation mitschuldig sind. Die ‚Tragödie der Liberalen’ ist ihre Unfähigkeit, inhaltliche Differenzen, vor allem aber persönliche Rivalitäten zu überwinden und sich in einer gemeinsamen Bewegung zusammenzuschließen. Erst in den letzten Wochen haben SPS und Jabloko begonnen, Demonstrationen der Bewegung ‚Anderes Russland‘ von Gari Kasparov zu unterstützen. Außerdem werden die Liberalen von einer großen Mehrheit der Bürger noch immer – für die rechten Liberalen gilt dies auch zurecht – als verantwortlich angesehen für die soziale Verwahrlosung, den wirtschaftlichen Niedergang, die Korruption, die schamlose Bereicherung weniger Höflinge des Kreml und das politische Chaos der Jelzin-Jahre. Die liberalen Parteien brauchen daher neue Führungspersönlichkeiten, um zukunftsfähig zu bleiben. Die derzeitige Generation ist verbraucht und wird ihre Glaubwürdigkeit nicht wiedergewinnen. Es wird aber noch dauern, bis eine neue Generation heranwachsen und die derzeitigen Führungen abtreten werden. Die Lektion der unabdingbaren Gemeinsamkeit unter neuer Führung, hätten die liberalen Parteien schon mit ihrer Wahlniederlage 1999 lernen können. Acht Jahre haben sie nunmehr verloren und scheinen kaum einsichtiger geworden zu sein; ein gemeinsamer Kandidat für die Präsidentenwahlen im März 2008 scheint noch immer ausgeschlossen. In diesen acht verlorenen Jahren aber ist Russland autoritärer und repressiver geworden; der Spielraum für liberale Bewegungen ist nun ungleich geringer als er damals noch war; all das aber wäre nicht so leicht möglich gewesen, hätte sich die Liberalen nicht selber aufgerieben.

… a race too close to call …

duma_elections_12_07.jpgThis weblog provided you with exit poll results of the Russian State Duma elections and projected results based on tallied votes throughout the evening as soon as reliable data became available. The evening was most exciting, a race long too close to call and – most of all – delivering an unexpected winner. An election analysis will be posted here on December 4th, 2007.

splinter-series: creative constitutionalism

idee.GIFOn more than one occasion Putin has ruled out changing Russia’s Constitution allowing him to stay President for a third term. Does Putin leave the stage? Now he is telling us, he might well accept the position as Head of Government. But what if he does not mean it:

In December 2007 he will be elected to the State Duma, in full accordance with electoral law. Everybody expects him to decline his seat and remain President. However: He might as well accept the seat and resign as President of Russia. Prime Minister Zubkov would then take over as a caretaker president, thus discontinuing Putins presidency. According to my understanding of the Russian Constitution this could enable Putin to run for the Russian Presidency in March 2008 without violating the constitutional norms. Is he going to fool us all?

splinter-series: battles are on…

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The ‘splinter-series’ provides brief remarks on ongoing events, whereas blog entries are in-depth analyses:

The Russian Constitution has been violated: The Constitution demands an anointed Head of Government to present the line-up of his ministerial team no later than 7 days after his approval by the State Duma. Zubkov has failed to deliver. This is significant not for ignoring a constitutional provision but indicative of serious infights between the two camps within the presidential team on who controls which ministry.

it is surprising how long it takes Putin to set up a new government. One would have expected that the appointment of a new prime minister was very well planned with a particular line up of ministries already in mind. So either Putin does not get his people through or the change in the prime ministers office was either poorly planned or was rather ’spontaneous’. Then, however, the questions is: why?

Anyway, the very fact that Putin so far has not been able to settle this wrangling and announce his government line-up is indicative of the very fact, that Putin is not that powerful as western observers usually assume.

Picture taken from:
http://www.doktoranden-netz.de/Idee.GIF

Decision Postponed

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It was utterly clear that Vladimir Putin was not to seek a third term almost two years ago. Sources close to him already then stated that he actually was ‘tired’ with this job and was looking for some other office with somewhat more behind the scenes authority and influence. It is argued by these sources that he might return back to the Kremlin at a later stage but that this was not yet decided.

Putin more than once made it clear that he is firmly commited to resign in 2008. This has triggered increasingly tense relations within the different elite camps Putin had raised to power and influence since about 2003; in the past months tensions turned into serious infighting. The battle was on between the technocratic-economic camp – represented in government by First Deputy Prime Minister D. Medvedev, Economic and Trade Minister G. Gref and Finance Minister A. Kudrin – and the siloviki, with people like FSB-Director Patrushev, Deputy Head of the Presidential Administration I. Sechin and some others.

The moderate economic liberals put D. Medvedev on their shield; the hard core siloviki-camp, however, was left without any serious contender for the presidency, but kept putting pressure on Putin to stay in office beyond 2008. Contrary to western press reports, the second crown prince for the Putin succession, former Defense Minister and current First Deputy Prime Minister Sergey Ivanov is not the presidential candidate of the siloviki camp. Well, Ivanov is himself a silovik, but someone very independent-minded and distant to the core group of the siloviki. It is only a slight exaggeration to call him a loner.

Putin was faced with two options at the beginning of this year: Either he was to make a decision in this fall to sack the government and appoint as Head of Government the heir he had chosen for himself, thus repeating the 1999 scenario. The other option was to decide closer to the date of the presidential elections who to support as his heir.

The first option would have made clear on whose side Putin was on and giving him more leeway to end to the infighting within his entourage which actually has a negative impact on the efficiency of Putin’s government. With the losers desperate to keep their positions of political and, much more important, economic power they would have accepted their defeat in order to be kept within the echelons of power. This option however was quite risky as it most likely would have turned Putin into a ‘lame duck’ with authority and power quickly gravitating towards the appointed successor.

The second option would have allowed Putin to remain a strong president until the very end of his presidential term and keep the two camps at bay and dependent on who Putin would eventually endorse. This would, however, left little time to sell the heir to the public; much more important though this would not have allowed the chosen successor to assemble his team in time in order to have a quick-start immediately after the elections in March 2008.

Putin has chosen the second option. The decision to appoint Viktor Zubkov Head of Government actually is no indication of whom Putin would eventually endorse for the presidential succession. Zubkov is neither a member of the liberal economist’s camp nor someone associated with the security services. The decision has been postponed. It can definitely be ruled out that Zubkov was to become Putins heir. Zubkov is far too old for even the best spin doctors and the regime loyal electronic media to sell to the Russian society. Why giving up a sportive and young president for a grey and ageing bureaucrat? It is also wrong to compare Zubkov to Putin when the latter was appointed Head of Government back in August 1999. Sure, Putin too was unknown to the public at the time, but he held positions of remarkable influence when he was chosen by Yeltsin.

Zubkov is the right man for Putin to pursue the second option. He might well stay until after the elections but then hand in his resignation to the elected President – as is required by the Russian Constitution anyway.

But why then Putin decided to replace Fradkov by Zubkov? Why not leave Fradkov Head of Government for the final months of Putin’s presidency? According to my opinion the most plausible explanation is that Putin preferred to have a loyal person and a friend in place for the difficult months a head. Fradkov has definitely been loyal to Putin for all the past three years but never has been an intimate friend of Putin.

As of today, it is most likely that Putin will make his final decision on who to support in the presidential election January 2008. I consider it unlikely, though, that he will appoint that person as Head of Government. The scenario Putin has chosen to select his heir does not follow the 1999 plot. The next president will not have been Head of Government before.

It is by all means speculation who that person will be. Personally I think it will be neither Medvedev nor Ivanov. If I had to bet I would name Dmitry Kozak as the most likely choice of Putin.

This blog entry – renamed ‘Still an Open Question‘ – was published exclusively by Russian online portal www.russiaprofile.org on September 13th, 2007.

This blog posting was also published somewhat altered on Johnson’s Russia List 195, September 13th, 2007 as # 29 with the title ‘Succession Decision Still Open’.

Picture taken from: seattletimes.nwsource.com/…/12/ 2003881745.jpg

Monopoly on Truth…

censorship.jpgLet me use this blog to complain about the increasingly hostile attitude of the European and US media (and publics) to impartial research on Russia. Current russophobia andRussiabashing in western media makes it increasingly difficult to get the results of serious research onRussiaheard. This is not to complain about lacking access to the media and public visibility; actually it is not a real problem to get your views noticed, but they are immediately denounced as pro-Kremlin and pushed aside; furthermore a lack of visibility would not suffice to write this short blog entry.

What is indeed worrying though is the fact, that meticulous research which aims to provide a balanced, sober and knowledgeable view of both Russian domestic and foreign politcs, which runs counter to the currently accepted views, is increasingly attacked as utterly russophile. This connotation seeks to suggest that our research is not to be sonsidered serious and impartial. Incidents are increasing where critical but balanced research is attributed as Kremlin propaganda. On more than one accession funding for research projects was denied not based on criticsm on the scientific merits of the research proposal but due to an allegedly russophile bias of my work.

This is reminiscent of Cold War days and amounts to a kind of censorship and political denunciation. The Russian research community needs to get increasingly aware of this. There is no more interest in debate and critical thought; assessments seem to be fixed and made usable in political campaigns.

Besonnenheit und Geduld

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Das Urteil ist eindeutig: Putin sei eine autokratischer Herrscher, der die demokratischen Institutionen ausgehöhlt und durch ein Netz von Nachrichtendienstoffizieren unterwandert habe. Polizeigewalt, eine willfährige Justiz, die Knebelung der (staatlichen) Medien, die Attacken gegen regierungskritische NGOs, die Marginalisierung des Parlaments seinen Ausdruck dieser autoritären Verhärtung.

Der Befund ist richtig, aber eben doch zu einfach, um der komplexen Verhältnisse in Russland gerecht zu werden. Als Putin die Führung Russlands übernahm, stand das Land vor dem Kollaps seines Finanz- und Bankwesens. Die Bedienung der Schulden war ausgesetzt, die Währung deutlich abgewertet worden. Die soziale Verelendung, die mit den neoliberalen Reformen 1992 eingeleitet wurde, der radikale Bevölkerungsrückgang, der radikale Abfall der Lebenserwartung, die niedrigen Reallöhne, unbezahlte staatliche Transferleistungen hatten das Meinungsbild der russländischen Bevölkerung radikal geprägt. Die Mehrheit der Bevölkerung forderte nicht mehr demokratische Mitbestimmung, sondern starke Führung, Ordnung, Stabilität, Berechenbarkeit und einen bescheidenen Wohlstand.

Zugleich drohte Russland auseinanderzubrechen; das Land hatte aufgehört ein einheitlicher Rechtsraum zu sein. Die meisten Provinzen weigerten sich, föderale Gesetze umzusetzen, billigten Gesetze, die föderalen Rechtsnormen eindeutig widersprachen und die Steuertransfers waren vielfach zusammengebrochen.

An dieser Weggabelung russländischer Politik übernahm mit Putin ein Nachrichtendienstoffizier die Führung, für den die willensstarke Führung entscheidend war. Putin zeigte sich als autoritärer und nationalistischer Modernisierer. Diese Haltung hat Putin eingenommen, weil für ihn allein dadurch eine Rückkehr Russlands zu einer Großmachtrolle – sein eigentliches Ziel – möglich schien. Alles, was sich dieser ‚Mission’ entgegenstellte, auch demokratischer Widerspruch, wurde und wird als Störfaktor angesehen, der beseitigt und ausgeschaltet wurde.

Die russländische Politik ist autoritärer geworden – aber das mit Zustimmung und Zuspruch der Bevölkerung, die wegen der sozialen Verelendung der neunziger Jahre von der Demokratie – oder dem was damals so genannt wurde – enttäuscht ist. Im April 2007 erklärten 71 Prozent der Bürger, das Land brauche eine ‚eiserne Hand’. Das erklärt auch die konstant hohen Zustimmungsrate zu Vladimir Putin. Seit November 2006 liegen diese Raten über 80 Prozent; auch wenn miteinberechnet wird, dass ein Teil davon auf die willfährige Berichterstattung in den staatlichen und staatsnahen Medien zurückzuführen ist, bleibt die Zustimmung außerordentlich hoch.

Ein Grund dafür ist der Umstand, dass das Realeinkommen der Bürger seit dem Amtsantritt Putins deutlich wächst – wenn auch ungleich: Die Ärmsten sind heute weniger arm, die Reichen noch reicher. Dennoch ist der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der Armutsgrenze lebt deutlich zurückgegangen. Die Wirtschaft wächst seit 2000 durchschnittlich um 6.6 Prozent im Jahr. Der Staatshaushalt zeigt nach den chronischen Budgetdefiziten der neunziger Jahre deutliche Überschüsse. Diese lagen 2005 bei 8.2 Prozent des BIP. Die Devisenreserven sind von 12.5 Mrd. USD in 2000 auf 386 Mrd. USD im April 2007 angewachsen. Die Reduktion der hohen Schuldenlast ist ein weiteres Merkmal der russländischen Finanzsituation.

Natürlich ist dies auch auf die hohen Preise für Energieträger und metallurgische Produkte zurückzuführen und auf eine niedrig bewertete russländische Währung in den ersten Jahren der Herrschaft Putins. Dazu kamen aber ein radikal verändertes Steuersystem, neue ordnungspolitische Vorgaben und eine staatliche Investitionspolitik, die den Aufschwung abstützten.

Russland ist heute ein wirtschaftlich und finanziell sehr viel stärkeres Land. Die Führung des Landes stützt sich auf die Zustimmung der Mehrheit der russischen Bürger ab. Aber der Preis dafür ist enorm hoch: Russland ist zu einem autoritären Land mit starken Beschränkungen für demokratische Mitsprache geworden.

Aber wenn dieser Befund der Herrschaft Putins derart gemischt ist, wie soll dann der Umgang mit Russland aussehen? Aufgeregte und aggressive Attacken auf die russische Führung, sind zwar verständlich und an sich angebracht. Diese Funktion sollten die medialen und zivilgesellschaftlichen Akteure in der EU auch wahrnehmen. Auf der staatlichen Ebene ist zwar auch öffentliche Kritik notwendig; aber zielführender ist ein anderer Zugang: Ein kritischer, aber umsichtiger, besonnener und geduldiger Dialog abseits der öffentlichen Bühne ist vorzuziehen. In diesen Monaten entscheidet sich die langfristige Ausgestaltung der Beziehungen zwischen der EU und Russland. Fehler die jetzt gemacht werden, werden langwährende Konsequenzen haben. Umsichtige und verantwortliche Staatskunst ist dieser kritischen Lage angemessen. Ziel europäischer Politik sollte es nicht sein, vorrangig kritische heimische Öffentlichkeiten zu bedienen, sondern das zu tun, von dem zumindest bescheidene Änderungsimpulse zu erwarten sind.

Russland wird ohnehin nicht von außen demokratisiert werden können. Dazu ist die derzeitige Führung zu selbstbewusst und die liberale Opposition in Russland (aus Selbstverschulden) zu schwach. Auch ist die Glaubwürdigkeit europäischer Kritik an der russischen Führung in der russischen Bevölkerung gering; misstrauisch wird beobachtet, wie jene westlichen Staaten, die in den Augen der Bürger Russlands für den wirtschaftlichen Niedergang und die soziale Verelendung ihres Landes verantwortlich waren, nunmehr die russische Führung kritisieren. Die Demokratisierung Russlands steht nicht jetzt an, aber vielleicht für die nächste Generation, wenn eine wohlhabende Mittelschicht, die sich nicht nur auf die großen Städte konzentriert, mehr Mitsprache einfordern wird. Wandel durch wirtschaftliche Verflechtung, Annäherung und einen kritischen Dialog können diesen Prozess beschleunigen.

Dieser Kommentar erschien exklusiv in der Tageszeitung ‘Der Standard’ am 23. Mai 2007.