Erdogans Angriff auf die mögliche Syrien-Koalition

Der Abschuss der russischen Su-24 durch die türkische Luftwaffe am 24. November ist ein nachhaltiger Beitrag, eine politische und militärische Syrienkoalition zu beschädigen. Nicht dass die Bemühungen darum schon weit fortgeschritten oder die Aussichten dafür günstig wären. Aber nach dem Abschuss sind die Vorzeichen noch deutlich schlechter geworden.

Die Öffentlichkeit wird niemals wissen, auf welcher Seite der syrisch-türkischen Grenze das russische Jagdflugzeug abgeschossen wurde. Die russischen und die türkischen Angaben sind natürlich unterschiedlich. NATO-Diplomaten meinen, dass sich die russische Maschine jedenfalls nur 17 Sekunden im türkischen Luftraum aufgehalten habe. Das führt zum Kern des gestrigen Zwischenfalls: Die Türkei hat die russische Maschine nicht wegen der (angeblichen oder tatsächlichen) Verletzung des türkischen Luftraumes abgeschossen, sondern weil sie Russland deutlich machen wollte, dass die Türkei die russischen Bombardements von Stellungen der turkmenischen Brigade der Freien Syrischen Armee im nordwestlichen Syrien nicht akzeptieren will.

Der russische Botschafter in Ankara wurde schon am 20. November von der türkischen Seite vor “ernsten Konsequenzen” gewarnt, sollte Russland die Angriffe auf die Turkmenen nicht einstellen. Nun ist klar, was die Türkei als selbsternannte Schutzmacht der Turkmenen damit gemeint hat.

Die russische Maschine war niemals eine Gefahr für die Sicherheit der Türkei. Wohl aber stellte die Lufteindringung – wenn sie stattgefunden hat – eine Verletzung der türkischen Souveränität dar. Es wäre nicht das erste Mal, dass Russland den türkischen Luftraum verletzt hat. Schon Anfang Oktober war eine russische Maschine in den türkischen Luftraum eingedrungen – “aus Versehen”, wie Russland damals behauptet hat.

Aber selbst wenn die türkischen Angaben stimmen, war der Abschuss des Flugzeugs eine exzessive Auslegung des Selbstverteidigungsrechtes und damit unverhältnismässig. Die türkischen F-16 hätten die russische Su-24 auch aus dem türkischen Luftraum eskortieren können.

Erdogans Kalkül war aber nicht nur, die Russen wegen des Vorgehens gegen die Turkmenen zu bestrafen. Erdogan, dessen Syrienpolitik seit Beginn an auf die Entmachtung al-Assads ausgelegt ist, sieht sich durch eine mögliche Interimslösung brüskiert, die al-Assad zumindest für eine – noch nicht näher definierte – Übergangszeit an der Macht beteiligt lässt. Die Wende Frankreichs, nach den Terroranschlägen in Paris, dem Kampf gegen Daesh den Vorrang einzuräumen und die Zukunft al-Assads zumindest vorübergehend als zweitrangig einzustufen, hat die Türkei weiter verunsichert.

Auch die mögliche militärische Koalition gegen den IS – zumindest zwischen Frankreich und Russland – ist nicht im Interesse der Türkei. Die Türkei unterstützt den IS finanziell und militärisch, weil der IS auch  gegen den türkischen Erzfeind al-Assad kämpft. Kämpfer des IS sickern über die türkisch-syrische Grenze, Rohl und raffinierte Produkte des IS werden auch in der Türkei abgesetzt, IS-Kämpfer werden in türkischen Spitälern versorgt und Waffenunterstützung des IS durch die Türkei wird allerorts angenommen.

Der Abschuss der Maschine durch die Türkei war daher ein Versuch, die politischen und militärische Neuausrichtung in der Syrienpolitik zu beschädigen. Abzuwarten bleibt allerdings, wie erfolgreich die Türkei damit sein wird.

Russland wird die Angriffe auf die turkmenischen Rebellen nicht einstellen – vermutlich sogar intensivieren. Ist die Türkei dann zu einer weiteren  Eskalation bereit? Falls Ankara daran, möglicherweise an eine Flugverbotszone, denkt, hat Russland seine Antwort schon gegeben. Die russischen Jagdbomber werden in Zukunft von Kampfflugzeugen begleitet werden, die “jedes feindliche Objekt neutralisieren” werden. Das gilt auch für die See-Luft Raketen des vor Latakia liegenden russischen Zerstörers Moskva. Ausserdem hat der russische Verteidigungsminister angekündigt, in Syrien das Flugabwehrsystem S-400 zu stationieren. Sollte die Türkei erneut ein russisches Flugzeug in der Region angreifen, wird Russland zurückschießen – vielleicht auch präventiv.

Foto: http://www.ibtimes.co.uk/syria-russian-pilots-downed-fighter-jets-shot-dead-by-turkmen-forces-1530306

Dieser Text ist dann auch in der online-Ausgabe des Tageszeitung Der Standard erschienen (http://derstandard.at/2000026387175/ErdogansAngriff-auf-die-moegliche-Syrien-Koalition)

7 thoughts on “Erdogans Angriff auf die mögliche Syrien-Koalition”

  1. Türkei/Erdogan spielt damit, dass die NATO ernsthaft die Sorgen und die Politik der Türkei verteidigen muss. Sie wollen, dass Russland wieder ein Feind wird. Genauso hat Erdogan seine Luftwaffe gegen die Kurden eingesetzt, um Wahlen zu gewinnen. Damit wird Erdogan dem Putin und anderen Politikern ähnlich: Außenpolitik ist in Wahrheit nur Innenpolitik – und zwar grenzenlos und ohne Rücksichten. Schade, wir dachten einerseits, dass Globalpolitik ein wichtigerer Beitrag zum Frieden ist, und andrerseits, dass Politiker ihre eigene Zukunft nicht immer mit außenpolitischen Erfolgen krönen müssen, um Erfolg im Inneren zu haben und ihnen das Überleben ihres Clans zu sichern. – Dh. man sollten Politikern ein gutes Auskommen nur dann sichern, wenn während ihrer Amtszeit kein Krieg ausgebrochen ist.

  2. Herr Professor,

    herzlichen Dank für Ihre Gedanken.
    Sehen Sie neben den politischen auch wirtschaftliche Komsequenzen in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen der Russischen Föderation und der Türkei, was z. B. die Zukunft von russischem Tourismus in der Türkei, türkischen Bauprojekten in Russland, Gas/Turkish Stream oder vom Rosatom-Kernkraftwerk in der Türkei betrifft?

    Viele Grüße,
    Simon Wolk

  3. Sehr geehrter Herr Wolk,
    wirtschaftlich könnte Russland Druck auf die Türkei ausüben. Putin hat schon davor gewarnt, die Türkei zu besuchen, in der es eine “immer stärkere Islamisierung” gäbe und die “kein sicheres Reiseland” mehr sei. Das könnte die türkische Tourismusindustrie treffen, aber das könnte bis zur nächsten Sommersaison auch schon wieder vergessen sein. In der Energiezusammenarbeit (Gas, Pipelines, AKW) könnte Russland der Türkei schaden, aber damit auch sich selbst. Glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Türkische Unternehmen, die in Russland tätig sind, könnten es aber in den nächsten Wochen etwas schwerer haben. Beste Grüße.

  4. Sehr geehrter Herr Professor Mangott,

    Danke für den interessanten Kommentar, ein paar Fragen hätte ich dazu noch an Sie: Woher weiß man, dass die Türkei den IS militärisch und finanziell unterstützt? Welche Quellen gibt es dazu? Was sind Ihrer Einschätzung nach Gründe dafür, dass dies in der innereuropäischen Berichterstattung und von Regierungen wie zum Beispiel der Französischen, fast/gar nicht thematisiert wird?

    MfG
    David Niel

  5. Sehr geehrter Herr Niel,
    dazu gbt es zahlreiche Geheimdiensterkenntnis. Zuletzt wurden bei der Tötung des IS-Kämpfers der oberen Riege, Abu Sayyaf, Dokumente und Festplatten sichergestellt, die die Verbindungen zur Türkei belegen. Der politische Druck auf die Türkei ist seither gestiegen. Warum sich die hiesigen Medien kaum dafür interessieren, kann ich nicht erklären. Beste Grüße,
    Gerhard Mangott

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