… die russländische finanzkrise …

Die russländische Volkswirtschaft wurde durch die Finanzkrise stark getroffen. Der Kapitalabfluss ab Juli 2008 war äusserst stark, der Bankenmarkt war mit einer drastischen Liquiditätskrise konfrontiert und die im Ausland hoch verschuldeten Grossunternehmen waren starkem Druck der Gläubiger ausgesetzt. Der russländische Rubel kam unter starken Abwertungsdruck; allein im September und Oktober 2008 musste die Zentralbank 57.5 Mrd. USD zur Stützung der Währung aufwenden.

Russland war aber mit einer Doppelkrise konfrontiert. Zur Finanzkrise, die immer stärker auf die Realwirtschaft durchzuschlagen begann, kam ein starker Einnahmerückgang aus dem Export von Rohöl und, zeitversetzt, auch Erdgas (dessen Preis in den langfristigen Lieferverträgen mit westeuropäischen Abnehmern über eine Preisformel an den Ölpreis gebunden ist) sowie vieler metallurgischer Produkte, aufgrund der stark fallenden Preise für diese Rohstoffe. Der Staatshaushalt für 2008 war von einem durchschnittlichen Rohölpreis von 75 USD/barrel ausgegangen, das Budget für 2009 von 95 USD. Im November 2008 aber war der Preis für die russländische Rohölmarke Ural auf 46 USD/barrel abgesunken.

Aufgrund des anhaltenden globalen Nachfragerückgangs für Rohöl, ist auch 2009 mit niedrigen Rohölpreisen zu rechnen. Dadurch sinken nicht nur Devisenzufuhr und Einnahmen für den staatlichen Reservefonds, sondern auch die Budgeteinnahmen aus Fördersteuern und Exportzöllen auf Energieträger gehen zurück. Auch das allgemeine Steueraufkommen geht aufgrund der wirtschaftlichen Krise zurück. Zur Stützung der russländischen Unternehmen wird zudem die Körperschaftssteuer mit Jänner 2009 um 4 Prozent auf 20 Prozent abgesenkt werden. Dadurch sind Mindereinahmen für den Staatshaushalt von annähernd 15 Milliarden USD zu erwarten. Die Regierung hat sich im November 2008 daher entschieden, auf die Mittel des Reservefonds zurückzugreifen, um die Budgetlage zu stabilisieren.

Die Regierung war auch gezwungen, die Hartwährungsreserven der Zentralbank zur Stützung des Rubels, zur Sicherung der Liquidität im Bankensektor und zum Ankauf von Aktien hoch bewerteter Unternehmer (blue chip) zu nutzen. Allein von September bis November 2008 hat die Zentralbank 185 Mrd. USD zur Stützung des Bankensektors eingesetzt. Der RR hat vor allem gegenüber dem USD an Wert verloren. Die russländische Zentralbank war dem Konzept des ‚managed floating‘ gefolgt; dies bedeutet, den Wert der eigenen Währung sich gegenüber einem Korb ausländischer Währungen nur innerhalb einer bestimmten Bandbreite bewegen zu lassen. Der Währungskorb besteht aus USD (55 Prozent) und Euros (45 Prozent). Angesichts des hohen Kapitalabflusses seit Juli 2008 und dem steigenden Inflationsdruck hat sich die Zentralbank entschieden, den Währungskorridor schrittweise auszuweiten, was zu einer langsamen Abwertung des RR führt.

Die Regierung war entschlossen, eine Schockabwertung wie 1992 und 1998 zu verhindern. Die Rubelabwertung würde zwar grundsätzlich die Wettbewerbsfähigkeit russländischer Exporte erhöhen; gleichzeitig aber würden darunter viele russländische Unternehmen leiden, die hohe Hartwährungskredite aufgenommen hatten.

Über die Außenwirtschaftsbank (Vnešekonombank) wurden privaten Unternehmen Kredite zur Refinanzierung ihrer Auslandschulden bereitgestellt. Die Verschuldung der Unternehmen (auch vieler staatlicher Unternehmen) war in den vergangenen Jahren drastisch angewachsen und erreichte im Juli 2008 510 Mrd. USD. Zusammen mit den souveränen Hartwährungsschulden droht die Auslandsverschuldung die Hartwährungsreserven zu übersteigen, weswegen Russland 2008 erstmals seit 1998 wieder ein Zahlungsbilanzdefizit aufweisen könnte. Viele Unternehmenskredite wurden durch Aktienanteile an russländischen Unternehmen abgesichert. Durch den drastischen Kursverfall an den russländischen Börsen RTS und MICEX (der Aktienindex ist zwischen Juni und November 2008 um 64.5 Prozent gefallen) aber nahm der Wert der Sicherstellungen drastisch ab und die Gläubiger verlangten zusätzliche Sicherstellungen oder Kreditrefinanzierungen. Allein die Aluminiumholding RusAl von Oleg Deripaska erhielt von der Außenwirtschaftsbank 4.2 Mrd. USD an Überbrückungshilfe zur Refinanzierung.

Lange Zeit versuchte die russländische Führung, die Finanzkrise herunterzuspielen; die staatlich kontrollierten Medien berichteten kaum darüber. Im Spätherbst 2008 aber begann die Finanzkrise auf die Realwirtschaft durchzuschlagen, vor allem auf die Bauindustrie. Das Wirtschaftswachstum ist eingebrochen. Im ersten Halbjahr 2008 war das BIP Russlands noch um 8.2 Prozent gewachsen; die Gesamtjahresprognose wurde auf 6.2 Prozent abgesenkt. Die Weltbank erwartet für 2009 einen Wachstumsrückgang auf 3 Prozent. Die Wachstumsraten der Industrieproduktion sind stark abgefallen, die Arbeitslosenrate wächst, das Volumen ausstehender Lohnzahlungen nimmt zu. Der private Konsum – in den letzten Jahren ein wesentlicher Faktor für das wirtschaftliche Wachstum – droht einzubrechen.

Die Bevölkerung beobachtete die Krise mit wachsender Unruhe; die Angst vor einer neuen Währungskrise ist angewachsen und die Erinnerungen an den Währungsverfall und die Inflation der Jahre 1992 und 1998 kehrte zurück. Zwar ist der hypothekenfinanzierte Wohnungsbau in Russland noch nicht sehr entwickelt, doch sind viele Bürger durch die steigenden Kreditzinsen erheblich unter Druck geraten.

Die Regierung hat sich entschieden, unter Rückgriff auf Mittel des Reservefonds eine nachfrageorientierte Ausgabenpolitik zu finanzieren. Die Regierung hält an den langfristigen Investitionsprogrammen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnungsbau und Landwirtschaft fest. Gleichzeitig sollen Mittel des Reservefonds eingesetzt werden, die budgetären Auswirkungen absinkender Steuereinnahmen abzufedern; aber nicht nur den Einnahmenrückgang aufgrund der verschlechterten wirtschaftlichen Lage, sondern auch als Ergebnis der von der Regierung angekündigten Steuersenkungen. Die Regierung hat zudem auch deutlich gemacht, die sozialen Ausgaben nicht zu kürzen: Die Zahlungen an Arbeitslose werden Anfang 2009 auch deutlich angehoben; auch die Pensionen sollen inflationsdeckend angehoben werden.

Die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der letzten Monate hat sichtbar gemacht, wie anfällig Russland für externe Schocks ist – vor allem im Bereich der Weltmarktpreise für seine Exportgüter im Rohstoffsektor. Offensichtlich aber wurde auch, welche Versäumnisse geschehen sind, die wirtschaftliche Struktur Russlands zu modernisieren und zu diversifizieren. Die meisten Experten aber meinen, Russland habe das Glück, durch die enormen finanziellen Rücklagen die Folgen der wirtschaftspolitischen Fehler in der zweiten Amtszeit Vladimir Putins auffangen zu können.

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