Zur Nachfolge Putins (part II)

putin.jpgDas zentrale Problem des anstehenden Wechsels im Amt des Staatspräsidenten 2008 ist kein rechtliches, sondern die Frage nach der politischen Stabilität des Landes.

Vladimir Putin stützt seine präsidiale Amtsführung auf den annähernd ausgeglichenen Rückgriff auf verschiedene Lager von Funktionseliten. Vertreter der Sicherheitsstrukturen haben zwar eine deutliche Vorrangsstellung in den wirtschaftlichen, politischen und administrativen Führungsstäben, werden aber eingehegt durch das Lager der moderaten liberalen Ökonomen und das Lager der technokratisch-pragmatischen Juristen. Putin hat in seiner bisheriger Amtszeit immer wieder Korrekturen im Wege der Ämter(um-)besetzung vorgenommen, wenn das Gleichgewicht dieses Gefüges verloren zu gehen drohte.

Das Abtreten Putins in 2008 hat einen Prozess ansteigender Reibungsverluste zwischen diesen Lagern ausgelöst. Alle Fraktionen positionieren sich in der Nachfolgefrage und versuchen dabei sowohl inhaltliche, als auch personelle Weichenstellungen festzuzurren. Diese sich noch verschärfenden Richtungs- und Verteilungskämpfe haben bereits jetzt schon zu Unruhe, sinkender Berechenbarkeit russländischer Politik und vermuteten Intrigen – diskutiert werden in diesem Sinne die Ermordung A. Politkovskaja’s und A. Litvinenko’s – geführt. Auch die Autorität und die Stellung Putins wird dadurch geschwächt, da sein Ausscheiden als Präsident derzeit als sicher zu gelten hat und dadurch die Loyalität der einzelnen Fraktionen zum Präsidenten nur noch bedingt aufrecht bleibt. Der vermutete Abgang Putins schwächt diesen bereits mehr als ein Jahr vor dem Ende seiner Amtszeit – ein Phänomen das für präsidiale Systeme mit Amtszeitbeschränkung durchaus üblich ist, aber im russländischen Kontext, in dem Institutionen in der Bedeutung gegenüber Personen deutlich zurücktreten, ein starker Unsicherheitsfaktor ist. Der Autoritätsverlust des Staatspräsidenten wird in Russland nicht durch andere Institutionen aufgefangen, sondern löst heftige, intransparente und schwer kalkulierbare Machtkämpfe in der Umgebung des Präsidenten aus, die im Regelfall negativ auf die Regierungspolitik zurückwirken.

Die destabilisierenden Lagerauseinandersetzungen werden meines Erachtens dadurch verschärft, dass mit den angeblichen Kronprinzen Putins – D. Medved’ev, S. Ivanov und V. Jakunin – zwar das liberale und das pragmatisch-technokratische Lager über einen Bewerber verfügen, das Lager der siloviki aber mit S. Ivanov nur bedingt vertreten ist. Ivanov stammt zwar aus den Sicherheitsstrukturen, zählt aber nicht zu dem operativen Kreis der siloviki um I. SeÄin, S. Patrušev und V. Ivanov. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade die Vertreter der ‚siloviki’ Putin zu überzeugen oder unter Druck zu setzen versuchen, eine weitere Amtszeit im Amt des Staatspräsidenten zu bleiben.

Die Instabilität auf der Ebene der exekutiven Strukturen kann zudem in der Folge auf die legislative Ebene durchschlagen. Zwar kann die Regimepartei Edinaja Rossija (ER) nach den derzeitigen Umfragewerten bei den Wahlen zur Staatsduma im Dezember 2007 mit 49 Prozent an Wählerzustimmung rechnen; da derzeit nur die Kommunisten (KPRF) und die regimetreuen Rechtsradikalen (LDPR) den Einzug in die Staatsduma schaffen werden, viele, auch die liberalen, Parteien aber an der Einzugshürde von 7 Prozent scheitern werden, kann ER erneut mit einer Verfassungsmehrheit rechnen. Die exekutiv-legislativen Beziehungen könnten damit an sich in den letzten Amtsmonaten Putins weiterhin hochkooperativ bleiben. Diese Stabilität auf parlamentarischer Ebene wird aber mit einem neuen Präsidenten, wenn nicht schon im Vorfeld, mit hoher Wahrscheinlichkeit verloren gehen; ER wird implodieren und sich fragmentieren. Das würde zu einem derzeit schwer berechenbaren Prozess des realignment auf parlamentarischer Ebene führen. Dadurch könnte die Regierungseffizienz eines neuen Präsidenten zumindest im ersten Amtsjahr negativ beeinflusst werden.

Aussagen über die Politikfeldkontinuität hängen zunächst natürlich v.a. davon ab, wer die Nachfolge antreten könnte. Aussagen darüber können sich zunächst nur auf den derzeitigen öffentlichen Zuspruch angeblicher Kronprinzen stützten. Die Beliebtheitswerte von D. Medved’ev (33 Prozent) liegen im Jänner 2007 über denen von S. Ivanov (21 Prozent); in einer Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern würde sich derzeit D. Medved’ev knapp durchsetzen (54:46 Prozent). Neben der Offenheit des Wahlausgangs sind zudem nur extrapolative Aussagen über den zu erwartenden Kurs des neugewählten Amtsträgers möglich. Kurswechsel in einzelnen Politikfeldern dürften dann auch nicht überraschen, sondern sind eher wahrscheinlich. Mit diesen Einschränkungen wäre die höchste Kontinuität von V. Jakunin zu erwarten. D. Medved’ev würde vermutlich den liberalen Charakter der Wirtschafts-, Finanz- und Investitionspolitik stärken, ohne aber die starke staatliche Steuerung in den Schlüsselsektoren der russländischen Volkswirtschaft – Energie, Metallurgie, Luftfahrt, Raumfahrt, Rüstungsindustrie, Transport – zurückzunehmen. S. Ivanov würde vermutlich noch deutlichere, von radikaler definierten nationalen Interessen geleitete Akzente in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik durchsetzen.

Keiner der drei Kronprinzen könnte die Rolle eines Übergangspräsidenten übernehmen, der 1–2 Jahre nach seiner Wahl zurücktritt, um Putin ein erneutes Antreten bei Präsidentenwahlen zu ermöglichen. Ein Indiz dafür, dass diese Variante grundsätzlich aber noch immer nicht auszuschliessen
ist, ist meines Erachtens der Umstand, dass im Herbst 2007 ein Budgetgesetz für 2008–2010 verabschiedet werden soll. Damit könnten bestimmte Ausgabenprofile in Schlüsselbereichen vorbeugend festgezurrt werden, sodaß der inhaltliche Gestaltungsspielraum eines Übergangspräsidenten vorsorglich beschnitten wäre.

Die Person, die die Rolle eines solchen Übergangsverwalters übernehmen könnte – ohne selbständige politische Ambitionen, aber mit ausreichendem Charisma um Präsidentenwahlen zu gewinnen – dürfte aber nur schwer zu finden sein. Außerdem wäre eine solche Strategie äußerst risikobehaftet, denn niemand könnte den einmal gewählten Amtsinhaber dann noch zum Rücktritt zwingen.

Der Wechsel im Amt des Staatspräsidenten wird aber aus derzeitiger Sicht weniger inhaltliche Änderungen und Weichenstellungen – zumindest keine abrupten – nach sich ziehen, sondern eine nachhaltige und starke Kaderrotation einleiten. Das wird zu anhaltender massiver Unruhe, Verteilungskämpfen und Instabilität führen.

Insofern wäre auch in den Staaten der EU eine sorgfältige Abwägung erforderlich, ob eine verfassungskonforme (denn auch eine revidierte Verfassungsnorm bleibt eine anzuerkennende Rechtsnorm) Änderung der Amtszeitenregelung und damit die wahrscheinliche Amtszeitverlängerung Putins durch die Wahlen 2008 nicht eine wünschenswertere Option darstellt, als die möglichen Unwägbarkeiten und Instabilitäten, die eine künstlich erzwungener Amtswechsel auslösen wird. Zumindest aber ist die vielfach geäußerte Auffassung unhaltbar, dass eine Revision des Art. 81 (3) automatisch eine antidemokratische Entwicklungsvariante darstellen würde.

2 thoughts on “Zur Nachfolge Putins (part II)”

  1. Vielen Dank für Ihre Ausführungen zur Nachfolge Vladimir Putins.
    In diesem Zusammenhang habe ich kurze Fragen bzw. Bemerkungen: In "The Russian Predicament" von Timothy Colton und Cindy Skach (Journal of Democracy, 16 (3), 2005) wird von einem möglichen Wechsel hin zu einem parlamentarischen System gesprochen, das u.a. auch Unterstützung im Bereich der "Siloviki" und im Präsidentschaftsapparatus finden würde. Dies würde es ermöglichen, dass ein Ministerpräsident Putin einem Präsidenten Putin nachfolgen würde und auf unbeschränkte Zeit die politischen Geschicke der RF lenken könnte.
    In "Political Party Formation in Presidential and Parliamentary Systems" sprechen Aurel Croissant und Wolfgang Merkel (Friedrich Ebert Stiftung, 2004) davon, dass ein Wahlsystem  "proportional representation", wie es nach der Wahlrechtsänderung bei den Wahlen zur Staatsduma im Dezember 2007 erstmals zum Einsatz kommt, eher dazu geeignet ist von einem personifizierten zu einem pragmatischen Parteiensystem zu transformieren.
    Deshalb würde mich Ihre Einschätzung bezüglich eines möglichen Ministerpräsidenten Putin interessieren bzw. die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit für einen Systemwechsel zu einer parlamentarischen Föderation aus Ihrer Sicht. Außerdem wäre ich Ihnen für eine kurze Erläuterung verbunden, weshalb Sie von einer implodierenden und sich fragmentierenden ER ausgehen.
    Zum Abschluss würde ich noch gerne wissen, welche Prognosen für Spravedlivaya Rossiya derzeit abgegeben werden, immerhin eine Partei die vom Vorsitzenden des Föderationsrates Mironov geführt wird und bereits als kremleigene Oppositionspartei gesehen wird.
     

  2. Ich halte einen Übergang von einem semi-präsidentiellen zu einem parlamentarischen Regime in Russland für sehr unwahrscheinlich. Eine derartige Revision der Verfassung ist zwar ohne Einberufung der Verfassungsversammlung möglich und durch den normalen Revisionsmechanismus durchführbar. Bis zum Rücktritt Putins bliebe aber zuwenig Zeit um so einen Revisionsprozeß durchzuführen. Ich glaube aber auch nicht, dass dieses Ziel ernsthaft angestrebt wird.

    Ich halte die Implosion von ER für wahrscheinlich, weil die Zusammensetzung der Führungskader sehr heterogen ist und nur durch die starke Fixierung auf Putin zusammengehalten wird. Wenn dieser Faktor wegfällt, werden die zentrifugalen Kräfte zu stark werden.

    Spravedlivaja Rossija liegt im Februar 2007 bei 8 Prozent Wählerzustimmung. 

     

     

     

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