Interview über RT und dessen Strategie für orf.at am 29.8.2018

„Es ist ein Informationskrieg“

Gerhard Mangott ist Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt Osteuropa und Russland. Im Interview mit ORF.at spricht er über Russlands propagandistische Taktiken, den Informationskrieg zwischen Osten und Westen und darüber, wie eine Hochzeitseinladung die österreichische Regierung in der Russland-Frage handlungsunfähig machte.

ORF.at: Was steckt hinter dem vom russischen Staat finanzierten Auslandssender RT?

Gerhard Mangott: RT wurde 2005 als Russia Today gegründet und hatte ursprünglich die Aufgabe, Russland mit positiver Berichterstattung im Ausland attraktiver zu machen. Gezeigt wurden vor allem schöne Bilder über die russische Kultur und Gesellschaft. Es war ein reiner Werbesender. 2009 kam es zum Bruch. Man ging dazu über, Missstände im Westen aufzuzeigen und eine Gegenöffentlichkeit anzusprechen. Eine Gruppe in der Bevölkerung, die den traditionellen Medien misstraut und der man Nachrichten anbieten wollte, die von den eigenen Medien „verwehrt“ werden. Diese Linie zieht sich bis heute durch. RT will die Stimmung in den Bevölkerungen, in den RT empfangen, weiter anheizen.

ORF.at: Mit welchem Ziel?

Mangott: Es ist nicht so, dass RT soziale, kulturelle oder politische Konflikte erzeugt – diese gibt es ja bereits. RT greift vorhandene Spaltungen in europäischen Gesellschaften auf und sieht sich an, wo die Bruchlinien verlaufen. Genau dort wird dann eingehakt, um Anti-Establishment-Gefühle zu verstärken und bei politischen Systemen für innere Unruhe zu sorgen. Alle Parteien, die dieses Anti-Establishment aufgreifen, werden dadurch gestärkt. Besonders interessant wird es dann, wenn es um Wahlen geht. Es ist eine Strategie der Unterwanderung, der Aushöhlung und der Verstärkung dieser innergesellschaftlichen Bruchlinien.

ORF.at: Wie kann die Politik darauf reagieren?

Mangott: Politische Systeme müssen sich dieser Konflikte annehmen und versuchen, sie zu lösen. Erst dann kann kein Akteur von außen mehr eingreifen.

ORF.at: Vonseiten Russlands wird die äußere Einflussnahme aber immer verneint.

Mangott: Natürlich wird sie das. Die Argumentation ist ja auch immer: „Wir erfinden eure Probleme nicht, wir berichten nur darüber, zumal eure Medien alles tun, um diese Probleme herunterzuspielen und die Bevölkerung zu täuschen.“ Obwohl Material über tatsächliche Konflikte produziert wird, handelt es sich bei RT um „Fake News“, da die Berichterstattung nicht nur tendenziös, sondern immer auch manipuliert ist.

ORF.at: Das, was Russland oft vorgeworfen wird, Stichwort Pressefreiheit, kommt argumentativ also wie bei einem Bumerang zurück?

Mangott: Ja, seit 2009 ist RT ein reines Spiegelinstrument – freilich mit unsauberen Methoden. Aber genau darum geht es. Russland stellt öffentlich die Fragen, wie es um die Presse- und Meinungsfreiheit im Westen steht, warum Medien nicht die Wahrheit berichten und ob das Establishment die Berichterstattung manipuliert.

ORF.at: Lässt sich dabei schon von einem „Informationskrieg“ sprechen?

Mangott: Zweifellos. Dieser funktioniert aber in beide Richtungen. Vielleicht von der westlichen Seite nicht so schamlos, aber natürlich wird hier meist negativ über Russland berichtet. Dennoch muss man erwähnen, dass die journalistischen Standards bei uns unvergleichlich höher sind als bei RT. RT ist ein staatlich finanzierter Sender mit einem klaren Propagandaauftrag. Aber natürlich wird versucht, die Bevölkerung beider Seiten direkt zu erreichen mit dem Ziel, dort Stimmungen zu erzeugen und zu verstärken.

ORF.at: Um dadurch die Deutungshoheit zu gewinnen?

Mangott: Bei einem Informationskrieg geht es darum, die Herzen und Hirne einer breiten Öffentlichkeit zu erreichen – mit allen Mitteln. Sei es, mit einem traditionellen Fernsehsender oder mit Sozialen Netzwerken.

ORF.at: Welche Rolle spielt Österreich in dem Verhältnis zwischen der EU und Russland – gerade nach dieser international sehr umstrittenen Hochzeitseinladung?

Mangott: Ich denke, es war von Frau (FPÖ-Außenministerin Karin, Anm.) Kneissl im besten Fall unüberlegt, RT die Exklusivbildrechte zu gewähren bei diesem Putin-Besuch. Das ist aber die wohlwollendste Interpretation., die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Es war ein großer Fehler und für eine Außenministerin völlig inakzeptabel, diese Propagandaoffensive noch erleichtert zu haben. Eine Außenministerin, die ohnehin schon völlig unüberlegt Wladimir Putin einlädt, nicht bedenkend, was das für Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit Österreichs hat, muss wissen, was passiert, wenn RT als einzige Fernsehstation die Bilder dieser Hochzeit aufnehmen kann. Sie wird ja wohl nicht geglaubt haben, dass die die Bilder nicht zu Propagandazwecken nützen. Sie haben es natürlich getan.

ORF.at: Inwiefern hat RT die Hochzeit der Außenministerin zu Propagandazwecken genützt?

Mangott: RT hat Putin als einen freundlichen, redegewandten und netten Menschen gezeigt und nicht, wie er anderswo dargestellt werde, als kaltblütigen Nachrichtendienstoffizier mit den eisigen Augen. Außerdem ist vorgeführt worden, wie herzlich willkommen er in Österreich sei – dem Land mit EU-Ratsvorsitz. Viele haben sich ihm ergeben gezeigt, manche sogar etwas unterwürfig, alles wäre so gewesen, als gäbe es keine Probleme. Das erinnert mich ein bisschen an diese Äußerung von (Bundespräsident Alexander, Anm.) Van der Bellen im Juni dieses Jahres, als er bei einem Besuch Putins in Wien sagte, es gäbe keine Vertrauenskrise zwischen der Europäischen Union und Russland. Eine völlige Wirklichkeitsverleugnung!

ORF.at: Auch international gab es heftige Kritik an dem Hochzeitsbesuch. Berechtigt?

Mangott: Als EU-Ratsvorsitzland wird man noch argwöhnischer betrachtet. Frau Kneissl mag zwar stolz gewesen sein, dass Putin zu ihrer Hochzeit kommt, sie mag das vielleicht auch sehr genossen haben, aber für ihre Karriere war das sehr nachteilig. Im Außenministerkreis in der EU hat man sich bereits einen Reim gemacht, und die Einschätzung der Frau Kneissl ist eine dementsprechende. Jeder misstraut nun Österreich. Die Regierung leidet unter einem Glaubwürdigkeitsproblem und ist damit in der Russland-Frage während des Ratsvorsitzes eigentlich handlungsunfähig geworden.

In den russischen Medien hingegen ist Österreich ganz vorteilhaft dargestellt worden als ein freundschaftlich verbundenes Land. Für das Image Österreichs in Russland hat das viel gebracht. Wenn man den Glaubwürdigkeitsverlust in Kauf nimmt, um die eigenen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zu Russland zu verbessern, wenn das das eigentliche Ziel ist, dann hat man sich ganz klug verhalten. Aber man müsste das dann ehrlicherweise auch dazusagen.

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