Sanktionen und keine diplomatische Initiative

An Vorwürfen mangelte es nach dem Absturz der MH17 nicht. Als Täter wurde von vielen Russland angesehen, das dafür zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Woran es wirklich mangelte – und das war mehr als überraschend – war eine neuerliche diplomatische Initiative, um eine Verhandlungslösung für den Konflikt in der Ostukraine zu finden. Die Tragödie war kein Anlass, die zuletzt am 2. Juli in Berlin zusammengetretenen Außenminister Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands erneut zusammenzurufen. Es stimmt, Russland hatte die wichtigste Forderung der Berliner Vereinbarung – die Rebellen in der Ukraine nicht mehr mit Waffen und Söldnern zu versorgen – nicht erfüllt. Das war aber auch nicht zu erwarten gewesen, wenn diese Forderung nicht mit der Auflage an die Ukraine verbunden wird, die anti-terroristische Operation durch einen beidseitigen und belastbaren Waffenstillstand auszusetzen. Die ukrainische Führung hatte sich aber für eine militärische Lösung des von Russland unterstützten Konflikts entschieden und fühlte sich darin nach der Flugzeugtragödie moralisch bestärkt.

In der EU wurden nach dem Abschuss der MH17 umgehend Sanktionen der dritten Stufe – sektorale Handels- und Finanzsektionen – gefordert. Nicht zuletzt der starke Druck der USA und die Entscheidung Deutschlands, den Weg dieser Sanktionen zu gehen, erklären die Sanktionsbeschlüsse vom 29. Juli. Russlands staatlich kontrollierte Banken erhalten nur mehr eingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt der EU, die Lieferung von Hochtechnologie, militärischen Gütern und zivil-militärisch nutzbaren Komponenten wird untersagt.

Sanktionen sind aber nicht dazu da, Staaten zu bestrafen – auch wenn manche Staaten in der EU das als vorrangiges Ziel sehen. Politisch sinnvoll sind sie nur, wenn dadurch das Verhalten der Staaten verändert wird. Die nun von der EU und der USA beschlossenen Sanktionen werden die russische Wirtschaft nachhaltig schädigen. In diesem Sinne wirken die Sanktionen zweifellos. Wird aber die russische Führung ihr Verhalten im Ostukrainekonflikt ändern? Putin hat trotz der drohenden Sanktionen keine Zugeständnisse mehr gemacht. Diese nach der Verhängung von Sanktionen zu machen, wäre ein persönlicher Gesichtsverlust und ein Eingeständnis der Schwäche. Rechtsnationalistische Kreise würden ihn des Verrats zeihen und die national mobilisierte Bevölkerung würde dies nicht verstehen. 64 Prozent der Russen sind dafür, die Rebellen in der Ostukraine aktiv zu unterstützen.

Die Erwartung, Putin könnte die Rebellen fallen lassen, verkennt auch die vitale Bedeutung, die die Kontrolle über die Ukraine für Russland hat. Ein Versäumnis der Sanktionsbefürworter ist, nicht zu erkennen, wie sehr Russland das Abgleiten der Ukraine in die westliche Einflusszone als Bedrohung seiner strategischen Interessen sieht. Darin liegt auch eine Mitverantwortung der Europäischen Union für die derzeitige Krise. Nachhaltiger Druck auf die ukrainische Führung, Zugeständnisse an den ukrainischen Osten zu machen, liessen sich im Frühjahr nicht bemerken.

In Russland sind ohnedies viele überzeugt, dass die Sanktionen auch dann bestehen bleiben würden, wenn sich Russland in der Ostukraine bewegt. Der Sanktionsdruck würde dann dazu genutzt, Russland zum Verzicht auf die Krim und Sevastopol zu zwingen. Die EU wird auch nicht als Vermittler im Ukrainekonflikt angesehen, sondern als Konfliktpartei.

Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Sanktionen zu scharfen Auseinandersetzungen in der Führungselite führen. Dazu ist die liberale Fraktion zu schwach, die „Partei des Krieges“ zu stark. Hoffnungen, durch Sanktionen gegen den inneren Kreis der Macht, den Druck auf Putin zu erhöhen, sind vergeblich. Es besteht kein Zweifel daran, dass einige von den Sanktionen auch die langsame Entmachtung Putins erwarten. Für dieses Lager ist daher nicht vorrangig, Russlands Verhalten zu ändern, sondern Russland wirtschaftlich derart unter Druck zu setzen, um einen Regimewechsel einzuleiten.

Österreich hat sich in der Sanktionsdebatte als das gezeigt, was es ist – unerheblich. Eine konkrete Russlandstrategie ist bei der Regierung unseres Landes nicht auszumachen. Vor Wochen noch, waren sektorale Wirtschaftssanktionen ausgeschlossen und Putin zu einem Besuch empfangen worden; nun beteiligt sich unser Land an Sanktionen. Auch wenn die derzeitigen Beschlüsse österreichische Wirtschaftsinteressen nicht radikal bedrohen, werden nächste Sanktionen – die in der Logik der Sanktionsbefürworter kommen müssen, wenn Russland nicht einlenkt – zu starken finanziellen Verlusten führen.

Die Sanktionsbefürworter meinen, diese Massnahmen seien alternativlos. Es gelte den bewaffneten Konflikt in der Ostukraine und die Verwicklung Russlands zu beenden. Die Hoffnung, dass diese Ziele durch Sanktionen zu erreichen sind, sind mehr als beschränkt. Wenn Sanktionen kein Selbstzweck werden und die Beziehungen zu Russlands nicht in die Zone des kalten Krieges abgleiten sollen, wird die EU zu neuen Antworten finden müssen.

Dieser Kommentar ist am 1. August 2014 in der Wochenzeitung Format” erschienen.

Foto credits: http://news.kievukraine.info/2014/03/ukraines-east-border-on-alert-after.html

 

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