Nach der Tragödie

Die Tragödie des Flugzeuges MH 17 könnte ein Wendepunkt im bewaffneten Konflikt in der Ukraine sein. Das Verbrechen bietet die Möglichkeit, den Konflikt weiter zu eskalieren und zu internationalisieren, oder aber die Konfliktparteien ringen sich dazu durch, der barbarischen Eskalation der Gewalt mit einem beidseitigen und belastbaren Waffenstillstand zu begegnen.

Die Rebellen haben durch die mutmassliche Täterschaft jeglichen Respekt und Sympathie eingebüsst. Der ukrainischen Regierung könnte dies als Argument dienen, mit der anti-terroristischen Operation noch rücksichtsloser vorzugehen. Dennoch ist eine militärische Lösung ohne höchsten Blutzoll nicht möglich, weil Russland bislang immer wieder bereit war, mit Waffenlieferungen und dem Einsickern von Söldnern ein militärisches Gleichgewicht in diesem Konflikt wiederherzustellen. Nach der Beendigung der einseitigen und nicht eingehalten Waffenruhe im Juni hat die ukrainische Regierung eine neue militärische Offensive gestartet. Diese hat auch Erfolge erzielt, aber Russland hat die Rebellen dann mit noch effektiveren Waffen aufgerüstet.

Der Schlüssel zur Beilegung des Konfliktes durch Verhandlungen liegt in Russland. Russland muss die Lieferung von Waffen und das Einsickern von Söldnern in die östliche Ukraine umgehend einstellen. Zu leugnen, dass Russland zumindest indirekt in diesen Konflikt verwickelt ist, wie das bislang üblich war, ist absurd. Die Indizien sprechen eine klare Sprache. Wenn Russland die Unterstützung der Rebellen einstellt, wird deren militärische Lage aussichtslos. Russland wird das – wenn überhaupt, und die Hoffnung ist gering – nur dann tun, wenn die ukrainische Führung dies nicht dazu nutzt, den Restwiderstand der Rebellen militärisch niederzuschlagen. Russland wird dafür darauf beharren, dass, wie in der Berliner Vereinbarung vom 2. Juli festgehalten, ein sofortiger, beidseitiger und international überwachter Waffenstillstand ausgerufen und substantielle Friedensverhandlungen eingeleitet werden.

Als Voraussetzung für einen solchen Waffenstillstand muss Russland zustimmen, den gesamten Verlauf der ukrainisch-russischen Grenze entweder durch gemeinsame Patrouillen mit ukrainischen Grenzschützern oder durch die OSZE abzusichern. Nur dadurch kann sichergestellt werden, dass das Einsickern von Söldnern und Waffen unterbunden wird.

In den Verhandlungen ist dann aber auch die ukrainische Führung gefordert. Es ist nicht einzusehen, dass die ukrainische Regierung nur aus zwei ukrainisch-nationalistischen Parteien besteht. Es ist nicht hilfreich, wenn die große Mehrheit der Minister aus der Westukraine stammt. Die Ukraine braucht eine Regierung der nationalen Einheit, in der sich alle Regionen und die meisten politischen Kräfte wiederfinden. Zudem wird es nicht länger genügen, nur Ankündigen über die Aufwertung der Regionen zu machen. Es müssen konkrete rechtliche Weichen in diese Richtung gestellt werden. Dabei bleibt unsicher, ob die ukrainische Seite sich noch einmal auf Verhandlungen einlassen will. Politiker, die dafür werben, verlieren an der Wählerfront, die zunehmend radikaler auf eine militärische Lösung drängt.

Warum sollte Russland sich aber auf eine Verhandlungslösung einlassen? Die Erwartung, dass dies geschieht ist gering. Aber es besteht nach der Tragödie der MH17 eine Chance. Russland wird von nahezu allen Ländern mittlerweile als Aggressor betrachtet. Russland hat die Unterstützung selbst der Staaten weitgehend verloren, die die Annexion der Krim noch hingenommen hatten. Russland droht nun tatsächlich, diplomatisch isoliert zu werden. Zudem sollte der russischen Führung klar sein, dass sie keine lückenlose Kontrolle über die Rebellen hat und diese – durch Russland ausgerüstet – ein Eigenleben entwickelt haben. Der vermutliche Abschuss der MH17 hat dies tragisch bewiesen. Zudem könnte ein, durch die Empörung über die Katastrophe international unterstütztes, gewaltsames Vorgehen der ukrainischen Streitkräfte die Rebellen militärisch stark dezimieren, was nur durch noch intensivere und offensichtliche russische Waffenhilfe abgewendet werden könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland in der Ostukraine in eine Niederlage schlittert, war noch nie so hoch wie eben jetzt. Das russische Projekt, die Ukraine dauerhaft durch eine bewaffnete Rebellion zu destabilisieren, wäre dann gescheitert. Putin würde mit leeren Händen dastehen. Daher ist jetzt vielleicht die größte Chance, dass sich Russland auf einen Verhandlungsweg einlässt – wenn es denn die ukrainische Regierung auch tut.

Natürlich gibt es auch Gegenstimmen. Die Zahl derer, die gezielte Handels- und Finanzsanktionen gegen Russland befürworten, hat deutlich zugenommen. Sanktionen sind aber nicht vorrangig dazu da, einen Staat zu bestrafen. Politisch sinnvoll sind Sanktionen dann, wenn sie den betroffenen Staat zu einer Verhaltensänderung zwingen. Im konkreten Fall aber ist nicht sicher, dass Russland bei harten Sanktionen einlenken würde. Es ist vielmehr das Risiko hoch, dass sich die russische Position dann verhärten könnte. Wenn Russland nichts mehr zu verlieren hat, kann es die bewaffnete Auseinandersetzung auch eskalieren. Die Kämpfe in der Ostukraine könnten dann zu einem direkten Waffengang zwischen Russland und der Ukraine werden. Das gilt es zu berücksichtigen, wenn nach einem, zunächst sehr einleuchtenden, Verhängen von Sanktionen gerufen wird.

Die Hoffnungen auf eine glaubhafte und anhaltende Rückkehr zu einer Verhandlungslösung sind nicht groß. Aber es gibt sie nicht ganz zu Unrecht. Die Verantwortung liegt nun bei Russland.

Foto: reuters

3 thoughts on “Nach der Tragödie”

  1. Ich denke, Putin dürfte stinksauer sein auf die Rebellen: einmal natürlich wegen des Abschusses der Boeing, dann aber auch wegen deren vollkommen idiotischen Verhaltens, indem sie (Wohl sicher ohne vorherige Abstimmung mit Moskau) ständig mit vollkommen sinnbefreiten und dummen Statements voreilig an die Öffentlichkeit gehen, zurückrudern, leugnen, neue Blödigkeiten verbreiten, wieder zurückrudern… etc.

    Jetzt ist die Frage, wie sich Putins Ärger artikulieren wird, bzw. zu welchen Handlungen seinerseits dieser Ärger führen könnte. Im obigen Artikel sind ja schon die wahrscheinlichsten Szenarien beschrieben.
    Putin ist einerseits ein rationell kalkulierender Mann mit signifikanter politischer Erfahrung, andererseits ist er halt auch ein überaus eitler und sehr auf seinen Stolz bedachter Potentat.
    Hoffentlich obsiegt der rationelle Putin über den eitlen Putin.

  2. Werter Hr. Mangott ich verfolge mit großem Interesse ihren Blog und bin von ihren Analysen sehr angetan.
    Ich hoffe, dass beiderseits, Europa sowie Russland, Personen ihres Formats entsprechend Gehör finden um ein weiteres Eskalieren der Situation vermeiden zu können.
    Der Tod von unschuldigen Zivilisten, die Auslöschung von Familien darf nicht dazu führen, dass weiterer Hass geschürt und die Zahl unschuldiger Opfer wiederum erhöht wird.
    Vielmehr sollte diese Tragödie die Menschen erkennen lassen, dass Ratio/Logik etc. im Krieg keine Bedeutung haben – es passieren Dinge, die nicht mehr kalkulierbar, geschweige den kontrollierbar, sind.
    !! Europa (OSZE), Russland und Ukraine runter mit den Waffen zurück an die Verhandlungstische !!
    Warum nicht ein interimistischer Einsatz von UN Truppen – Hr. Mangott, wie sehen Sie diese Idee?
    Welche Rolle spielt die USA? Das Verhalten der EU, speziell Deutschlands, ist mir hierzu leider unbegreiflich … Die Rolle als “Weltpolizei” ist hier mehr als unangebracht, nahezu pietätslos; zumal jede Verschlechterung der europäisch-russischen Beziehungen nur einen Vorteil für die USA darstellt.

  3. @erika Putin ist nicht sauer. Eine Buk ist so leicht nicht zu händeln. Aber die Punkt ist: Die gloreiche und im Felde ungeschlagene rote Armee , aka Sowjjetskaja Armija, aka Armee der RUS Ferderation , usw kann nicht verlieren. Sie sind immer siegreich. Sie müssen es immer sein. Keine Mutter in Murmansk, in Perm oder Wladiwostok würde ihre Jungs ermutigen, in die Armee (die einzige Aufstiegschance) zu gehen. Russland verkauft seine Rohstoffe, um Grenzen zu sichern, Junge Männer zu Soldaten zu verpflichten und
    Propaganda zu bezahlen.

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