Ein zugedrehter Gashahn

Die Verhandlungen zwischen den Energieministern Russlands und der Ukraine – Novak und Prodan – über die Lösung der bilateralen Gaskrise haben bislang kein Ergebnis gebracht. Russland hat zwar angeboten, durch Streichung der Exportzölle den Gaspreis für die Ukraine auf 385 USD/1.000 m3 abzusenken und diesen Preis für zumindest ein Jahr zu garantieren; dieser Preis ist durch den von der ukrainischen Führung im Jänner 2009 unterzeichneten Gasliefervertrag gedeckt. Die Ukraine fordert aber einen Gaspreis von nur 268 USD auf der Grundlage einer dauerhaft veränderten Preisbildungsformel. Zudem fordert Kiev, die 2009 vertraglich vereinbarten Liefermengen unter der take-or-pay-clause abzusenken; auch hinsichtlich der offenen Gasschulden gibt es keine gemeinsame Einschätzung mit der russischen Seite. Russland hat nun die Bezahlung der ausstehenden Schulden von 1.65 Mrd. Euro bis 16. Juni 2014, 8.00 Uhr MESZ gefordert; andernfalls will Gazprom die Belieferung der Ukraine mit Erdgas auf Vorauskasse umstellen – was durch den Gasliefervertrag von 2009 gedeckt ist. Erfolgt keine Vorauskassa, werden die Gaslieferungen ausgesetzt.

Gazprom muss für diesen Fall befürchten, dass sich die Ukraine am Gas das durch die Transitleitungen in die EU und die Türkei fließt, bedienen wird. Diese illegale Praxis wurde von ukrainischer Seite schon mehrfach geübt. Das würde aber bedeuten, dass die vertraglich vereinbarten Lieferungen an die europäischen Konsumenten aber nicht in vollem Umfang bedient werden. Dies würde in der EU die Debatte über die Diversifizierung der Gashandelspartner verstärken – was Gazprom durchaus ungelegen käme. Aufgrund dieses russischen Dilemma fühlt sich die ukrainische Seite in einer starken Verhandlungsposition.

Die Verhandlungen werden von EU Energiekommissar Öttinger vermittelt. Aus Sicht der EU, die die ukrainische Regierung unterstützt, ist ein möglichst niedriger Gaspreis für die Ukraine erstrebenswert. Die Ukraine wird neben dem IMF vor allem auch durch die EU vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet. Je höher die ukrainischen Ausgaben für die russischen Gaslieferungen sind, desto teurer wird das Unterfangen. Die harte Haltung der ukrainischen Regierung in den Verhandlungen erklärt sich daher nicht nur durch das oben genannte Dilemma Gazproms, sondern auch durch die Unterstützung der Europäischen Kommission.

Nach den Verhandlungen der letzten zwei Tage sollte der EU aber klar sein, dass Russland den Termin für die Vorauskassa nicht noch einmal nach hinten verschieben wird. Russland lehnt weitere Gespräche vor dem Ablauf des Ultimatums ab. Wenn die EU die ukrainische Führung nicht dazu drängt, einen Preis von ca. 380 USD/1.000 m3 – das ist knapp unterhalb des durchschnittlichen Preises für russisches Gas in der EU – zu akzeptieren, wird die Unterversorgung des europäischen Marktes und die mangelnde Befüllung der westukrainischen Gasspeicher die Folge sein. Vieles spricht allerdings dafür, dass viele EU-Vertreter und viele Medien die Verantwortung dafür aber nicht bei der Ukraine, sondern bei Russland ausmachen werden.

Foto: www.ebrd.com

6 thoughts on “Ein zugedrehter Gashahn”

  1. Sehr geehrter Herr Mangott,

    zuerst möchte ich mich herzlich für Ihre interessanten Beiträge auf Twitter und in Ihrem Blog bedanken.

    Zu Ihrem neuesten Beitrag stellen sich mir beim Lesen ein paar Fragen:

    Warum ist Russland überhaupt Verhandlungen über den Gaspreis eingegangen? Wenn es doch einen Vertrag gibt der einen gewissen Preis festschreibt so sollte der doch gelten, ohne wenn und aber? Warum wurde das Gas nicht schon lange abgestellt, die Schulden sind ja inzwischen sehr hoch, wenn das, wie sie sagen durch den Vertrag gedeckt ist. Ich kenne den Vertrag leider nicht, daher können Sie damit eventuell weiterhelfen.
    Aus dieser Denkweise ergibt sich, dass Russland mit einem Gaspreisrabatt von $ 100 einem Land, das laut der nationalen Medienberichterstattung die „Bevölkerung terrorisiert“, es im „Südosten“ mit einer „Strafaktion“ überzieht, durch einen günstigeren Gaspreis helfen würde. Ist mir unverständlich, warum es das tun sollte. Hat die dortige „Junta“ dann nicht noch mehr Geld für Waffen?

    Was ist ein Marktpreis für Gas? Die Ukraine bezahlt bisher $ 485 laut Vertrag von 2009. Deutschland hat in etwa die selbe Abnahmemenge von Russland und bezahlt einen deutlich niedrigeren Preis, vermutlich sogar unter $ 380, der es ermöglicht, dass RWE Gas günstiger in die Ukraine reimportiert als es direkt von Russland zu beziehen (also Importgas für unter $ 380). Aus dem kürzlich abgeschlossenen Vertrag mit der VR China lässt sich ein etwaiger Gaspreis für $ 350 errechnen, für ein nicht erschlossenes Gasfeld (weitere Kosten von $ 55 Mrd. + Zinsen). In die Ukraine besteht bereits ein komplettes Leitungsnetz. Kosten gibt es also nur für die Instandhaltung. Trotzdem wäre der neue Preis, den die Ukraine laut russischer Lesart zählen sollten noch um $ 30 höher. Betrachtet Marktbedingungen wie die Leitungskosten und Abnahmemengen dürfte es kaum einen Unterschied beim Gaspreis für Weißrussland und die Ukraine geben

    Bereits zwei mal wurde die Bezahlung auf Vorkasse verschoben(einmal um einen Tag, dann nochmal um eine Woche), warum also nicht ein drittes oder viertes Mal? Dazu stehen die Sanktionsdrohungen der G7+EU im Raum, die bei einem Gaslieferstopp an die Ukraine Stufe 3 der Sanktionen auslösen würde. Wie wahrscheinlich ist es, das Gazprom „den Gashahn zudreht“ und die möglichen Sanktionen eingeht bzw. hofft, dass die genannten Staaten sie einfach nicht umsetzen?

    Wenn zwei sich nicht einig werden, warum nicht einen Richter entscheiden lassen?
    Meine abschließende Frage: Mir persönlich kommt es so vor, dass Gazprom einen Gerichtsprozess in Stockholm sprichwörtlich so „scheut wie der Teufel das Weihwasser“? Bemerkungen zu einem möglichen Prozess habe ich von russischer Seite bisher keine gehört und normalerweise folgt ja mindestens ein Statement à la „Einem Prozess sehen wir beruhigt entgegen.“ Mir persönlich kommt das Sprichwort dabei in den Sinn: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“.
    Ein Gerichtsurteil in Schweden müsste von Gazprom und der Ukraine akzeptiert werden. Es bestünde aber zumindest die Möglichkeit, dass es den aktuellen Vertrag/die Preisformel nicht bestätigt. Hypothetisch gefragt: Wäre das dann so etwas ein Präzedenzfall, auf den sich anschließend auch andere Abnehmer berufen und ihre Verträge überprüfen lassen könnten?

    Vielen Dank, wenn Sie mir mit Antworten weiterhelfen können.

    Viele Grüße,
    Simon Wolk

    Regensburg

  2. Sehr geehrter Herr Wolk,
    Russland ist Verhandlungen über den Gaspreis eingegangen, weil es, wie die Ukraine, eine Paketlösung für die umstrittenen Fragen anstrebt. Nach meinen Informationen liegt der Durchschnittspreis für russisches Erdgas in der EU derzeit bei 402 USD/1.000m3. Daher läge ein Preis von 385 USD unterhalb dieses Durchschnittswertes. Gazprom bietet im Auftrag des russischen Staates aber auch “politische Preise” an (Belarus et al.), die keineswegs Marktpreisen entsprechen. Der mutmassliche Marktpreis für chinesische Abnehmer ist niedriger, weil Gazprom die Vorteile in einer Diversifizierung der Abnahmemärkte sieht.
    Ich stimme Ihnen völlig zu was Gazproms Abneigung gegen das Internationale Schiedsgericht in Stockholm anbelangt. Der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen und es haben bereits Kunden von Gazprom erfolgreich gegen den Konzern geklagt.

  3. Sehr geehrter Herr Mangott,

    Vielen Dank für Ihre Antwort! Ich sehe jetzt etwas klarer und glaube, dass die kommenden Wochen und Monate (und (leider) nicht nur diesbezüglich) sehr spanned werden.

    Viele Grüße,
    Simon Wolk

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