Kalter Krieg im Kopf

Diesmal ein Blogeintrag in eigener Sache. Ich wurde in den vergangenen Tagen von einigen einflussreichen Personen angefeindet, weil ich am vergangenen Donnerstag an der Sendung “Prjamaja Linija” teilgenommen habe. Das ist die im russländischen Fernsehen live übertragene call-in show von Vladimir Putin. Ich hätte mich als “Feigenblatt” hergegeben oder als “willfähriger Aufputz” gedient. Zum Hintergrund: Am vergangenen Mittwoch sind in Berlin Mitglieder des Valdai-Klubs zu einem Treffen mit russländischen und ukrainischen Vertretern zusammengekommen, um Lösungen für die derzeitige Krise zu diskutieren. Der Valdai-Klub ist ein Forum, das von russischen Stellen finanziert ist. Mitglieder sind die renommiertesten Russlandforscher der Welt, darunter zahlreiche vehemente Kritiker Russlands. Zu den Teilnehmern an den Valdai-Treffen zählen Angela Stent, Ariel Cohen, Richard Sakwa, Samuel Charap, James Sherr, Dimitri Simes, Michael Stürmer, Andrew Monaghan, Thomas Remington, Robert Legvold u.v.a. mehr. Bei der Jahreskonferenz können wir uns untereinander austauschen oder – wie im vergangenen September – mit Sergej Lavrov, Sergej Shojgu, Sergej Ivanov und Vladimir Putin diskutieren. Es war uns allen möglich, jede gewünschte Frage zu stellen; keine Frage musste vorab gemeldet werden. Kein Thema war verboten, keine Frage wurde vorher geprüft. Das galt auch für die Fragen an Putin. Ich selbst habe Putin zur Schwulenhetze in Russland gefragt.

Zur Berliner Konferenz wurden 5 Mitglieder des Valdai Klubs eingeladen, darunter auch ich. Wir wurden auch eingeladen, bei der call-in show – aus Berlin zugeschaltet -, Fragen an Putin zu stellen. Keiner musste vorab seine Frage bekannt geben; die russische Sendeleitung wusste nicht, was wir Putin live vor einem Millionenpublikum fragen würden. Ich selbst wollte nach den Widersprüchen russländischer Außenpolitik fragen: “Zum einen betont Russland im Fall Syriens die völkerrechtliche Souveränität und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten; zum anderen verletzt Russland dieselben Prinzipien eklatant im Umgang mit der Ukraine.” Ist es für einen Wissenschafter nicht interessant, diese Vorwürfe an Putin live und unzensiert im russischen Fernsehen zu richten? Natürlich sind in dieser Sendung die meisten dieser Fragen gelenkt und vorab koordiniert. Natürlich wird sie zur Selbstdarstellung des Präsidenten genutzt. Aber sollte man nicht gerade die Gelegenheit benutzen, live dagegen zu steuern?

Ich selbst kam leider nicht an die Reihe, meine Frage zu stellen. Aber nicht meiner Frage wegen, weil die war niemandem bekannt. Der Grund lag ausschließlich daran, dass die Moskauer Regie in Zeitverzug war.

Es enttäuscht mich sehr, wenn bestimmte Personen, offenbar schon gänzlich einem Kalten-Kriegs-Denken verhaftet, mein Verhalten als “bezahlt” und als “Feigenblatt” bezeichnen. Welche Missgunst treibt diese Personen?

Es war mir ein Anliegen, dies den Lesern und Leserinnen meines Blogs mitzuteilen.

18 thoughts on “Kalter Krieg im Kopf”

  1. Obwohl durchaus an Politik interessiert finde ich es nahezu unmöglich mir ein klares Bild der Situation zu machen. Meldungen aus den Medien stimmen mit Berichten von Bekannten in der Ukraine nicht überein und wirklich objektive Berichterstattung scheint es nicht zu geben.
    Was mir etwas Angst macht, ist einerseits die Agressivität mit der Meinungen vertreten werden und andererseits das “Wer nicht nicht mit uns ist, ist gegen uns.”
    Warum kann man den Umgang des Herrn Putin mit Minderheiten nicht falsch finden und dennoch der Meinung sein, dass in der Ukraine nicht alle russland-feindlichen Kräfte Unschuldslämmer sind? Warum kann man Herrn Janokovic für wenig politisch klug halten und dennoch nicht für Frau Timoschenko eintreten?
    Offenbar gibt es nur Schwarz und Weiß – das halte ich für gefährlich, weil man aus den falschen Gründen die falschen Leute unterstützt.

  2. Sg. Herr Professor
    Just heute, als ich im Morgenjournal auf Ö1 wieder einen UKR-RUS-USA-Bericht hörte, dachte ich mir, den Mangott laden sie nicht mehr als Experten ein, weil er Sachen sagt, die einen nicht ins Konzept passen.

  3. Wieviele der anderen 4 Valdai Mitglieder kamen bei der Show eigentlich an die Reihe und welche Fragen haben die gestellt? Würde mich persönlich interessieren…

  4. Welche Antwort haben denn sie selbst auf Ihre Frage? Wie erklären denn Sie selbst, als Wissenschafter, den aufgezeigten Widerspruch. Und wieso wollen Sie sich denn mit Herrn Putin überhaupt auf einen Dialog einlassen?

  5. @ Lukas Drei der 5 Wissenschaftler konnten eine Frage stellen. Ich wäre der vierte in der Reihe gewesen. Wenn ich mich recht erinnere, war eine nach der Spaltung Europas, eine nach den Beziehungen RU-USA und die dritte über die “konservative Wende” in der russischen Innenpolitik.

  6. @ RA Dr. Hofmann Großmächte lassen sich nur dann durch Rechtsnormen binden, wenn ihre Interessen dadurch nicht geschmälert werden. Darauf wies schon Thukydides in seinem Melierdialog hin.

    Es wäre ohnehin kein Dialog daraus geworden und Putin hätte sicher eine Antwort darauf gehabt. Es ging mir darum, dass diese Frage vor Millionenpublikum gestellt wird.

  7. Lieber Gerhard,
    wieder einmal: Danke für die nüchterne und sachliche Erörterung dieses komplexen Themas. Dass in manchen Medien hauptsächlich tendenziöse und widersprüchliche Argumentationen überwiegen stimmt mehr als nachdenklich. Umso wichtiger jeder rationale Beitrag, der unsinnigem Kriegszünseln eine klare Absage erteilt.
    lg aus Vorarlberg
    Michael Defranceschi

  8. Ich finde, dass Ihre pessimistische Haltung gegenüber völkerrechtlichen Normen heutzutage nicht mehr derart glatt durchgewinkt werden kann. Den Melierdialog in diesem Zusammenhang zu zitieren ist wohl auch kaum passend – Attischer Seebund vs. Peloponnesischen Bund stimmen wohl mit der derzeitigen Hegemonieverteilung nicht wirklich überein.
    Ich stimme mit Ihnen überein dass die Sanktionsmöglichkeiten von internationalen Organisation vitale Interessensentscheidungen von Großmächten wohl kaum beeinträchtigen können, doch in Zeiten in denen Humanitäres Völkerrecht Kriegsführungen in derart vielen Bereichen ganz eindeutig verbessert und das durch die Charta etablierte Gewaltverbot zum Rückgang nationalstaatlich geführter Kriege geführt hat, wäre ein wenig Idealismus hinsichtlich multinationaler Organisationen und Regime durchaus angebracht – auch für einen (Neo)Realisten ;).

  9. Zweifelsohne ist ein Rückgang nationalstaatlich geführter Kriege zu verzeichnen. Inwiefern aber der Wandel in der Art der Kriegsführung als Verbesserung abgetan werden kann ist mir schleierhaft. Die neue Form der Kriegsführung verschleiert nur den tatsächlichen Aggressor. Ob man daher überhaupt vom Rückgang “nationalstaatlich” geführter Kriege sprechen kann?

  10. Herr Prof. Mangott, obwohl ich Sie sonst schätze, habe ich bezüglich der von Ihnen geplanten aber nicht zur Realisierung gekommenen Frage an Präsident Putin den Eindruck, dass es sich hier um eine rhetorische Frage mit propagandistischer Motivation gehandelt hätte. Sie behaupten nämlich in Bezug auf die Ukraine eine Verletzung des Völkerrechts durch Russland als ob es sich dabei um eine Feststellung handeln würde, die ausserhalb jeder Diskussion steht, und die Antwort Putins hätte wohl darin bestanden, genau diese Behauptung zurück zu weisen.
    Im Hinblick auf die Volksabstimmung zum Anschluss an Russland hat Putin übrigens in seiner etwa vierzig minütigen Rede vor dem russischen Parlament – einer Rede, die in den westlichen Medien (auch im ORF) leider nur sehr verkürzt und meistens auch propagandistisch verzerrt wiedergegeben wurde, und deren Gesamtcharakter absolut der einer Friedensrede ohne Kriegsrhetorik war – für mich in einer durchaus nachvollziehbaren Argumentation die Ansicht vertreten, dass es sich bei dieser Volksabstimmung und des sich in der Folge ergebenden Anschlusses an Russland zwar um eine Verletzung ukrainischen Rechts nicht aber um eine Verletzung des internationalen Völkerrechts gehandelt hat.

    Mit freundlichem Gruss
    Rudolf Wagner

  11. @Rudolf Wagner

    Da sind Sie leider komplett auf dem Holzweg. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird von Völkerrechtlern defensiv ausgelegt und das hat seine absolute Berechtigung. Eine Sezession kann indes für manche vr auch dann gerechtfertigt sein, wenn die Minderheit von der Mehrheit unterdrückt wird. Dies war in der Ukraine nicht der Fall. Die Krim hätte somit – aus rein völkerrechtlicher Perspektive – sich niemals von der Ukraine loslösen dürfen.
    Tatsache ist, dass dies passiert ist, Tatsache ist aber auch, dass damit ein Völkerrechtsbruch begangen wurde.

  12. @ Lukas: Drei der fünf Mitglieder des Valdai Klubs konnten Fragen stellen. Mein französischer Kollege Dubien und ich kamen leider nicht mehr an die Reihe.

  13. @ Martin Müller: Den Melierdialog habe ich nur herangezogen, um die alte Debatte über das Verhältnis von Recht und Macht anzuführen. Ich bin nicht der Ansicht, dass das internationale Recht gänzlich ohne Wirkung bleibt – im Gegenteil. Ich denke nur, dass die permanenten Mitglieder des SR der VN sich in core security issues nicht durch Recht einhegen lassen.

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