Großmacht in Bedrängnis

Großmächte setzten ihre vitalen nationalen Interessen wenn notwendig auch gewaltsam durch. Sie nehmen sich das Recht heraus, in ihrer Umgebung Ordnungsfunktionen wahrzunehmen. Das macht Russland, das machen andere Großmächte auch. Globale Mächte, wie nur die USA derzeit eine sind, setzen diesen Regelungsanspruch auf globaler Ebene durch.

Die russische Intervention auf der Krim ist ein Bruch des Völkerrechts. Das Recht bindet den Starken aber nur dann, wenn seine Interessen dadurch nicht berührt oder verletzt werden. Schon der griechische Historiker Thukydides meinte, der Stärkere tue was er könne, der Schwächere erleide was er müsse. Russland vertritt mit aller Härte seine vitalen Interessen, wie sie die Führung des Landes sieht. Der Regimewechsel in Kiev, den Russland mit allen Mitteln verhindern wollte, bedeutete für die russische Führung eine strategische Niederlage. Die Reaktion darauf beruhte auf der Wahrnehmung, dass das Scheitern der eigenen Strategie sich in eine lange Reihe von Niederlagen gegenüber den USA handelte. Die Krim-Krise ist daher nicht ohne die tiefe Entfremdung zwischen Russland und den USA zu verstehen.

Ohne Russland seiner Verantwortung für den Völkerrechtsbruch zu entbinden, ist dieser nicht zuletzt die aggressive Reaktion auf die Haltung der USA, Russland nicht nur zu marginalisieren, sondern aktiv zu schwächen. Putin suchte 2001-2004 die Zusammenarbeit mit der USA auf der Grundlage der Statusgleichheit und der Achtung der inneren Souveränität. Die nachrichtendienstliche und indirekte militärische Unterstützung der Intervention in Afghanistan war das deutlichste Zeichen der russischen Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

Die Regierung Bush hat diesen kooperativen Ansatz aber unterlaufen und Handlungen gesetzt, die auf die (nicht nur wahrgenommene) Schwächung der russischen Macht hinausliefen. Dazu zählte zunächst die militärische Intervention im Irak gegen die Vetodrohung Russlands. Dem folgte 2004 die Erweiterung der NATO im östlichen Europa, das die UdSSR 1989 in dem Verständnis aufgegeben hatte, dass der Westen den Rückzug nicht für Geländegewinne missbrauchen würde. Die Erweiterung der westlichen Militärallianz wurde für Russland zur strategischen Bedrohung, als die USA darauf drängten, Georgien und die Ukraine mit einem Membership Action Plan an die Allianz heranzuführen.

Die USA begannen immer stärker, den ehemals sowjetischen Herrschaftsraum zu penetrieren: dazu zählten intensive Beziehungen mit den Regierungen Georgiens und der Ukraine nach der Rosen- bzw. Orangen Revolution; der Versuch, dauerhafte militärische Basen in Zentralasien einzurichten; die Schwächung der hegemonialen Rolle Russlands im Energietransport durch Umgehungsleitungen für Öl und Gas aus dem südlichen Kaukasus und Zentralasien (BTE und BTC).

Der Bruch in den Beziehungen zwischen den USA und Russland wurde dann durch die Raketenabwehrinitiativen von Bush (aber auch Obamas) und die von der russischen Führung wahrgenommene Einmischung der USA in die inneren Verhältnisse in Russland vollzogen. Dazu kam die aus russischer Sicht vollzogene Überschreitung des UN-Mandats zum Schutz der Zivilisten in Libyen im März 2011. Russland sieht in dieser Ereigniskette eine strukturelle Schwächung seines Status als Großmacht.

Von der neuen Führung der Ukraine, die Russland nicht anerkennt, befürchtete die russische Führung die Abkehr vom 2010 gesetzlich anerkannten bündnisfreien Status, die Assoziation mit der EU und die Kündigung des Flottenstützpunktabkommens von 1997/2010. Das würde zu einer drastischen strategischen Marginalisierung Russlands und zur Beschneidung seines Großmachtanspruchs führen. Die Destabilisierung der Ukraine und die militärische Intervention auf der Krim waren daher unzulässige, aber reaktive Schritte einer in Bedrängnis geratenen oder sich darin vermutenden Großmacht.

Das ändert nichts daran, dass Russland das Völkerrecht bricht (so wie andere Großmächte vor ihm auch) und die derzeitige Schwäche der Ukraine aggressiv ausnützt. Die Handlungen Russlands müssen aber im zeitübergreifenden Kontext gesehen werden; das dient nicht dazu, diese zu rechtfertigen, sondern sie zu verstehen.

 Dieser Kommentar ist am 18. März 2014 in der Tageszeitung Der Standard erschienen.

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5 thoughts on “Großmacht in Bedrängnis”

  1. Wir haben anläßlich GUS-Connest Anfang Oktober in Petersburg im Foyer kurz Smalltalk geführt. Wo orten Sie einen Bruch des Völkerrechts wegen der Heimkehr der RUSSISCHEN KRIM nach Rußland? Mein Schwiegervater (ehemaliger Offizier der sowjetischen Handelsflotte) randalierte wegen der Maikäferschen Schenkung an seine ukrainische Heimat Jahrzehnte lang. Haben Sie Putins Rede vom 18.03 im Originalwortlaut gehört? Ich hab mir extra die Live-Übertragung angehört. Wegen deren Übertragung wurde ein ukrainischer Fernsehdirektor von Benderisten aus dem Job geprügelt. “Völkerrecht, danke für den Hinweis! Wir dachten schon, das gibt es nicht mehr.” und “Nein Danke, besser ihr (NATO) kommt unsere Flotte auf unserem Boden besuchen”
    Trotzdem: Beste Grüße, ich fahr jetzt skifahren

  2. Sehr geehrter Herr Prof Mangott,
    sie haben die Motive Russlands sehr schön herausgearbeitet. Es darf aber nicht vergessen, dass auch die Nato im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden sektorale Zusammenarbeit auch angeboten hat und diese von Russland nicht immer wahrgenommen wurde. Es allerdings richtig und üblich, dass eine “Großmacht” versucht, zumindest als “gleiche unter gleichen” Großmächten verstanden und respektiert zu werden. Aber man darf auch nicht vergessen, dass jedes Land – und somit auch die Länder im ehemaligen sowjetischen Einflussbereich – sich frei für Bündnisse entscheiden dürfen müssen. Denn schon Max Weber sagte, dass “letzte Werthaltungen und -stellungnahmen” nicht vereinbar sind. Man muss sich ab und zu auch entscheiden, an “welchen Gott” man glaubt.

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