Russland und die Affäre Snowden. Ein Interview

Wurde Russland tatsächlich von der Ankunft Snowdens in Scheremetjewo überrascht oder war das so abgesprochen?

Es ist schwer vorstellbar, dass Snowden ohne Wissen und Zustimmung von Regierungskreisen nach Moskau gekommen ist. Allerdings halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die russischen Behörden von einer raschen Weiterreise Snowdens nach Ecuador ausgegangen sind. Letztlich musste Snowden in Russland verharren, weil die USA seine Reisedokumente für ungültig erklärt, Länder, die ihm Asyl angeboten haben, unter Druck setzt und seine Bewegungsfreiheit radikal eingeschränkt ist. Snowden wurde gegen den Willen Russlands gleichsam ein Gefangener in der Transitzone von Scheremetjevo. Russland ist sehr daran interessiert, dass Snowden das Land verlässt, wird ihn aber nicht ausweisen, sondern versucht, ein Asylland zu finden, in das er sicher transportiert werden kann.

Was bringt es Moskau, sich auf einen längeren Aufenthalt Snowdens und diplomatische Querelen mit den USA einzulassen?

Nachdem Snowden an sich gegen den Willen der russischen Führung in Russland festgesetzt bleibt, versucht sie, wenigstens beschränkten Nutzen daraus zu ziehen. Die Affäre wird von der russländischen Führung genutzt, um die USA als vermeintlicher Hort demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien zu diskreditieren. Russland kann zugleich seinen Anspruch, ein souveränes, jeglichem Druck sich widersetzendes Land unterstreichen. Der lange und ungeklärte Aufenthalt Snowdens ermöglicht der russischen Führung auch, die von Snowden erhobenen Vorwürde gegen die Regierung der USA als zentrales mediales Thema zu erhalten und damit dem Ansehen der USA zu schaden.

Nicht zu vergessen ist auch, dass die russische Führung damit auch Rache nehmen kann, wegen der (semi-)kriminellen russischen Bürger, die in westlichen Staaten politisches Asyl erhalten haben.

Zuletzt ist auch nicht auszuschließen, dass es zwischen Snwoden und russischen Stellen informative Gespräche gegeben hat.

Putin hat erklärt, die Beziehungen zu den USA seien für Russland wichtiger als Snowden. Welche Rolle spielt seine Vergangenheit als Ex-KGB-Auslandsagent?

Putin meinte damit aber nicht, dass das Schicksal Snowdens den Interessen Russlands an besseren Beziehungen mit den USA untergeordnet und der Flüchtling letztlich ausgeliefert werde. Putin wies nur darauf hin, dass kooperative Beziehungen mit den USA wichtiger seien, als ein fortgesetzter Disput um Snowden. Es war ein Aufruf an die USA, die bilateralen Beziehungen durch die Flüchtlingsaffäre nicht weiter zu belasten. Putins zentrales Ziel ist es, den bilateralen Besuch von Barack Obama in Russland im September nicht zu gefährden.

Als früherer Offizier des KGB hat Putin kaum Sympathien für Snowden. Er sieht ihn wohl eher als Verräter seines Landes, was für einen Agenten ein Frevel ist.

Nach außen hin mutet Putins Lavieren im Fall Snowden wie ein doppeltes Spiel an, der Präsident wirkt unentschlossen.

Putin wirkt unentschlossen, ist es aber nicht. Putin will den Eindruck vermitteln, über die Anwesenheit Snowdens ungehalten zu sein und kein Interesse zu haben, ihm Asyl zu gewähren. Putin will damit den Eindruck erwecken, dass Russland mit der ganzen Angelegenheit eigentlich nichts zu tun haben möchte, allen voran er persönlich nicht. Daher wird derzeit auch nur über „vorübergehendes Asyl“ für Snowden spekuliert und keinen dauerhaften Asylantenstatus. In die Entscheidung über den vorübergehenden Status ist der Präsident formal nicht eingebunden, für dauerhaften Flüchtlingsstatus aber schon.

Tatsache aber ist, dass Russland an seiner angekündigten Linie, Snowden nicht an die USA auszuliefern, immer festgehalten hat und nun mit der vermutlichen Gewährung von „vorübergehendem Asyl“ für die Dauer von einem Jahr eine Lösung zugunsten von Snowden zu suchen bereit ist. Snowden will nicht dauerhaft in Russland bleiben und sucht nach einer sicheren Passage nach Venezuela.

 Wie verkauft er seinen Zick-Zack-Kurs in der Öffentlichkeit? Wie kann er sich des Eindrucks erwehren, er ließe sich von den USA unter Druck setzen?

Nur die sehr informierten Bürger nehmen die differenzierte Haltung Putins in der Affäre wahr. Für die breiten Bevölkerungsschichten demonstriert Putin einmal mehr, Russland als starke Nation nach außen zu vertreten, die sich keinem Druck beugt, auch und schon gar nicht den Pressionen der USA. Das wird von den meisten Russen positiv gesehen und nützt damit Putin.

Interessiert sich in Russland überhaupt eine breitere Öffentlichkeit für den Fall Snowden?

Das mediale Interesse ist groß, die Aufmerksamkeit der Bürger für die Affäre Snowden aber mässig. Der Flüchtende kann emotional nicht wirklich mobilisieren.’

Interview abgedruckt in derstandard.at: http://derstandard.at/1373512883366/Putin-haelt-Snowden-wohl-fuer-einen-Verraeter

 

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