Putins brillanter Schachzug mit der Skandalisierung von Pussy Riot

Die radikalen Feministinnen Tolokonnikova und Alëchina sind nun rechtswirksam verurteilt. In gewissem Sinne haben sie damit bekommen, was sie wollten, was sie aber zweifellos nicht verdienten. In keinerlei Hinsicht. Die autoritäre Fraktion in der russländischen Führungsriege, der Vladimir Putin derzeit zuneigt, hat durch den Gang der Ereignisse an den meisten Fronten beeindruckend gewonnen. Die Strategie dieses Zirkels war brillant durchdacht.

Ziel 1: Das zentrale Interesse der Opposition war seit dem späten Frühjahr gewesen, den demokratischen Protest der liberalen Städter mit der steigenden sozialen Unzufriedenheit der kleinstädtischen und ländlichen Bevölkerung zu vereinen. Mit der Pussy-Riot-Aktion ist es dem Regime nun aber gelungen, die Opposition bei der wertkonservativen Landbevölkerung als moralisch verkommen und antirussisch darzustellen. Die staatlichen und staatlich kontrollierten Medien haben nicht nur die geschmacklose Darbietung der Musikerinnen in der Kathedrale selbst permanent re-inszeniert; sie haben vielmehr frühere, radikalere und abstoßendere Aktionen eines Vorläufers von Pussy Riot, der Künstlerverbindung Voina (Krieg) immer wieder gezeigt. Allen voran die sexuelle Orgie im Moskauer Staatlichen Biologischen Museum vom Februar 2008, an der die hochschwangere Tolokonnikova teilnahm (womit die staatlichen Medien sie als unverantwortliche Mutter zu zeichnen versuchten) oder die Aktion in einem Moskauer Supermarkt im September 2010, als sich eine Voina-Aktivistin ein totes Huhn in ihre Vagina einführte.

Auch wenn viele Mitglieder der liberalen politischen Opposition die Aktion(en) der Frauen nicht gutgeheißen haben, sahen sie sich zurecht gezwungen, entschieden und sichtbar gegen die Haft, das Strafverfahren und das Urteil gegen Pussy Riot aufzutreten. Dadurch nahmen sie aber unweigerlich die Rolle ein, die das staatliche Führungskartell ihnen in dieser Posse zugewiesen hatte: zu Verteidigern des Frevlerischen, des Lasziven und des Obszönen zu werden.

Ziel 2: Die als Schändung der Ikonostase durch Pussy Riot bewertete Aktion war für die russisch-nationalistischen Aktivisten, die eine beträchtliche Zahl der Demonstranten der vergangenen Monate stellten, ein Fanal. Die Verteidigung der inhaftierten Feministinnen durch liberale Führungsfiguren, vertiefte die ohnehin schon bestehenden Gräben in der Opposition und schürte Misstrauen. Putins Führungsriege ist es damit gelungen, einen (weiteren) Keil in das Lager der städtischen Unzufriedenen zu treiben. Attacken gegen die russisch-orthodoxe Kirche werden von den Nationalisten nicht mitgetragen; ein antiklerikaler Fokus der städtischen Proteste würde die bislang ohnehin fruchtlosen Versuche der Opposition untergraben, die ländliche Bevölkerung gegen die Regierung Putin aufzubringen. Die Bindungen zwischen der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung zur orthodoxen Kirche sind sehr viel stärker; Attacken gegen die Kirchenführung würden von diesen Bevölkerungsschichten als abstoßend empfunden werden.

Ziel 3: Putins Strategie setzte darauf, die Themen der öffentlichen Debatte zu bestimmen. Anstatt über staatliche Repression, Korruption, demokratische Teilhabe und bürgerliche Freiheiten zu diskutieren, wurde die Opposition in einen Kulturkampf zwischen dem laizistisch-säkularen Russland und dem wert- und strukturkonservativen russisch-orthodoxen Russland hineingezogen. In dieser Debatte sind die liberalen Positionen nicht mehrheitsfähig.

Die hysterischen Gesten im Ausland zur Unterstützung von Pussy Riot haben der Strategie Putins außerordentlich genützt. Die wertkonservative Bevölkerung Russlands sieht im westlichen Ausland ohnehin sowohl Quelle und Ursache für den moralischen Niedergang der russischen Gesellschaft als auch einen Feind der russischen staatlichen Selbständigkeit.

Foto: http://lgbexpress.ecolint.ch/currents/andthewinnerisvladimirputinagain

8 thoughts on “Putins brillanter Schachzug mit der Skandalisierung von Pussy Riot”

  1. Hallo Hr. Mangott.
    Sehr interessante Sichtweise dieses Sachverhaltes.

    Bis vor Ihrem Artikel habe ich in die Richtung tendiert, dass Pussy Riot ein vom Westen künstlich generiertes Vehikel war, um v.a. die Reputation Putins zu verschlechtern. Warum? Vielleicht könnte das Veto im UN-Sicherheitsrat gegen eine militärische Intervention in Syrien damit zu tun haben. Hinweise dahingehend gab für mich die auffällig gleichgeschalteten Berichterstattungen des Westens und dass Pussy Riot sofort auch als mediale Hetze gegen Putin verwendet wurde. Der Guardian titelte zum Beispiel: „Pussy Riot trial gives Russia ‘the image of a medieval dictatorship”.

    Am 17. August 2012 in der Früh wurde die Verhaftung der Band bekannt gegeben und bereits am gleichen Tag erscheint auf Human Rights Watch eine knapp tausend Wörter umfassende Analyse des Sachverhaltes, die sich inhaltlich mit allen Aussagen westlicher Regierungen deckt.

    Ich meine nur, alles war von Kalifornien über New York bis nach Europa ein politisches Amt inne hat, hat sich über die Höhe der Strafe beschwert und seinen Senf dazu gegeben, der immer gegen Putin ausgerichtet war. Inhaltlich waren alle Aussagen mehr oder weniger deckungsgleich mit der USA/EU Meinung: “Catherine Ashton, the European Union’s foreign policy chief, said she was “disappointed” with the verdict and also called the sentence “disproportionate.”

    Folgende Artikel sollten diese Sichtweise unterstreichen:

    http://scusi.twoday.net/stories/129659527/

    http://becklog.zeitgeist-online.de/2012/08/20/konnen-die-pussy-riots-putin-sturzen-ein-etwas-groseres-bild-der-affaire/

    Aber ich kann Ihr Argument, wenn ich den Artikel richtig verstanden habe auch gut nachvollziehen. Sie gehen also genau vom Gegenteil aus, dass also die Pussy Riot Geschichte nicht vom Westen eingefädelt worden ist, sondern wenn überhaupt, von Putin selber. Der dadurch die russische Opposition schwächen bzw. teilweise aufspalten konnte. Aber wie können Sie sich dann die westlichen Reaktionen erklären? Wieso hat diese Pseudo Musikband dann soviel politische Bühne bekommen?

    Gruß Deshaun Wilkins

  2. Danke für den informativen Beitrag. Aber was hätten das Ausland machen sollen? Die ganze Sache einfach ignorieren?

  3. @Albert

    Natürlich werden solche Ereignisse, wie die Verhaftung von Pussy Riot, vom Ausland kommentiert. Da gebe ich Ihnen recht.

    Es geht aber um die Art und Weise, wie schnell, akkurat und überaus gleichgeschaltet die Meldungen aus den USA, Europa und amerikanischen NGOs kamen. Dazu noch die aggressive Berichterstattung der Medien, die uns suggerieren wollten, dass die Freiheit der Meinungsäußerung in Russland gefährdet wäre. Das war eben meine Überlegung. Was meinen Sie dazu Albert? Unterm Strich hat eine mehr als fragwürdige Band, die in Vergangenheit alles dafür getan haben, dass deren Glaubwürdigkeit beim Nullpunkt manifestiert (wie auch von Gerhard Mangott oben beschrieben), in einer Kirche vulgäre Texte verbreitet. Diese sind dafür dann rechtlich belangt worden. Soviel Kommentierungsbedarf das Ausland betreffend kann ich nicht erkennen. Wie kommt ein Land, wie die USA dazu, die Freiheit der Meinungsäußerung in Russland zu kritisieren?

  4. Hat sich jetzt Ministerpräsident Medwedew (“the good cop”) auch zu einem Verteidiger des Frevlerischen, des Lasziven und des Obszönen gemacht und damit seine baldige Entlassung aus dem Amt betrieben?

  5. Wladimir W. Putin in einem aktuellen Interview mit der ARD anlässlich der Messe Hannover zu Fragen der Demokratie und Opposition in der Russländischen Föderation:

    http://www.youtube.com/watch?v=BTl6owKSdO0

    Er äußert sich darin – anlassbezogen – natürlich auch zu den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen seinem Staat und Deutschland bzw. der EU und lässt sich in diesem Zusammenhang vom Interviewer hinsichtlich der vergangenen Geldströme aus Russland nach Zypern keineswegs aufs Eis führen. Ein interessanter und ungekürzter Diskurs.

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