_political_statements_: wenn Heiliges Unheil bringt

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Respekt, vor dem was heilig ist, verlangt Kardinal Schönborn. Es ist gut, wenn der Hirte zu seinen Schafen spricht, denn nur die sind es, die diesselben Dinge als heilig ansehen (sollten), wie er selbst. Den Anderen, vor allem denen, die ohne religiöses Bekenntnis sind, ist es völlig gleichgültig, was anderen heilig ist und sie entscheiden selbst, was Respekt erheischen darf und wem Respekt zu erweisen ist. Jeder hat das Recht, für heilig zu erklären, was ihm beliebt. Kein anderer kann aber gezwungen werden, diese Festlegung von Heiligem auch zu akzeptieren. Der Anspruch von Kirchen auf die Unantastbarkeit ihres Glaubens, ihrer religiösen Symbole und ihrer öffentlichen Präsenz kann durchaus missachtet werden. Nichts kann sich der Kritik entziehen, auch nicht, wenn sich Akteure ausbedingen, gerade ihre Überzeugungen als heilig und damit als unantastbar zu definieren. Vieles mag geschmacklos sein – aber über Jesus zu lästern, die jungfräuliche Empfängnis für ein Märchen zu halten, Mohammed zu zeichnen, sich über Burkas lustig machen, orthodoxe Patriarchen zu beschimpfen, am Shabbat zu arbeiten und die Oper Idomeneo bis zu ihrem (bitteren) Ende anzusehen, auch wenn sie von Neuenfels inszeniert wird, ist in einer säkularen demokratischen Ordnung ein unbestreitbares Recht. Auch die Geschmacklosigkeit darf ihr Recht einfordern, auch wenn der Geschmacklose dann auch bereit sein muss, sich einer öffentlichen Debatte zu stellen – ohne Strafgesetzbuch und heilige Bücher.

Hinter den säkularen Staat lassen wir uns nicht zurückbeten – nicht von anglikanischen Sharianisten, von islamistischen Hasspredigern oder katholischen Redemptoristenpatern. Die Resakralisierung des öffentlichen Raumes ist unzumutbar – auch wenn sich eine Zweckkoalition von Katholiken, Protestanten und Muslimen vehement dafür einzusetzen beginnt. Wehret den Anfängen, denn was den Einen heilig ist, muss den Anderen gleichgültig sein dürfen.

Ceterum Censeo: Tayyip Erdogan war dieser Tage in Ludwigshafen, wo in einer schrecklichen Brandtragödie zahlreiche alevitische Bewohner umgekommen sind. Die Türkei hat auch eigene Ermittler an den Brandort entsandt, um ein rechtsstaatlich einwandfreies Untersuchungsverfahren sicherzustellen. Nun, was immer die Türkei in rechtsstaatlichen Fragen beitragen kann – Erdogan könnte nach seiner Rückkehr in die Türkei auch die zentralanatolische Stadt Sivas besuchen, wo 1993 zahlreiche alevitische Künstler von einem fanatischen Mob verbrannt wurden.

Foto: Schlussszene in der Neuenfels-Inszenierung von ‘Idomeneo’ an der Deutschen Oper in Berlin, 2006.

http://operachic.typepad.com/opera_chic/idomeneo/index.html

16 thoughts on “_political_statements_: wenn Heiliges Unheil bringt”

  1. Zum "Ceterum Censeo":Erdogan ist Politiker der AK-Partei. Parteipolitiker sehen immer nur einen Teil (pars=Teil) des Rechtsstaates, und zwar den ihnen genehmen. Er hat sich in Köln nun auch als vermeintlicher "Europapolitiker" disqualifiziert, sondern vielmehr als Apologet des "Türkentums" ausgewiesen, sonst hätte er die nun in Deutschland lebenden türkisch- stämmigen Menschen (Europäer eben!) nicht davor gewarnt, sich zu "assimilieren", was immer das in seinen Augen auch heißen mag. (Ist damit auch die Akzeptanz des deutschen Rechtssystems anstelle der Scharia gemeint?). Dass der unsägliche chauvinistische Paragraph von der "Beleidigung des Türkentums" in der türkischen Verfassung auf Antrag der AKP jetzt nur unwesentlich modifiziert werden soll, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Türkei, wie sie sich derzeit darstellt, in der Europäischen Union, die ja ein Projekt zur Überwindung des genozidfördernden Nationalismus ist,  nichts  verloren hat. Erdogans Partei will das nicht wahrhaben, daher auch ihre Gegnerschaft zum (einstweilen noch) laizistischen Frankreich, obwohl dort auch Sarkozy die Trennung von Staat und Religion fatal zu verwischen beginnt.

  2. Ein essentielles politisches Statement! Seit einiger Zeit nun muss man feststellen, dass eindeutig anti-liberale Positionen einen neuen Schleier gefunden haben, mit dessen Hilfe sie sich in die sensibelsten Bereiche unserer (noch?) aufgeklärt-humanistischen Gesellschaften einschleichen und festsetzen können. Allerorts wird man mit dem Konzept der ‘Religionsfreiheit’ konfrontiert, das für viele Bevölkerungsteile (ganz unterschiedlicher Couleur) scheinbar größere Attraktivität besitzt als ein säkular-liberaldemokratsicher Rechtsrahmen. Auf den ersten Blick erstaunlich, auf den zweiten aber schlicht entsetzlich, wie sehr auch die sogenannte intellektuelle Öffentlichkeit sich der Faszination Religionsfreiheit hinzugeben scheint. Ist denn nicht – wie allen anderen politisch-ideologischen Strömungen – auch religiösen Bewegungen (ob nun in einer Minderheits- oder Mehrheitsposition befindlich) mit aller Entschiedenheit das Recht abzusprechen, sich beharrlich den Werten einer liberalen Demokratie zu widersetzen ???

  3. § 248 (österr) StGB: "Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole:

    (1) Wer auf eine Art, daß die Tat einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird, in gehässiger Weise die Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer beschimpft oder verächtlich macht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

    (2) Wer in der im Abs. 1 bezeichneten Art in gehässiger Weise eine aus einem öffentlichen Anlaß oder bei einer allgemein zugänglichen Veranstaltung gezeigte
    Fahne der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer, ein von einer österreichischen Behörde angebrachtes Hoheitszeichen, die Bundeshymne oder eine Landeshymne beschimpft, verächtlich macht oder sonst herabwürdigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

    "keine nation der erde lässt sich beleidigen, auch österreich nicht!

  4. An Karl Heiden: wie gut kennen sie sich mit der tr aus bitte? "ist damit auch die Akzeptanz des deutschen Rechtssystems anstelle der Scharia gemeint?"Ich wusste gar nicht dass es scharia in der türkei gibt! schön zu wissen 🙂  lesen zuerst ein paar bücher über die tr!

  5. Herr Orkun Aktuna sollte eher darüber nachdenken, ob Premierminister Erdogan’s wirrer Sager von der "Assimilierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit" auch für die Assimilierung der Kurden in der Türkei zutrifft, bzw. ob die "Endlösung der Armenierfrage" in der Türkei seinerzeit ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" war oder aber nicht. Fest steht, dass ein übersteigerter türkischer Nationalismus, um nicht zu sagen "Chauvinismus", in einem Europa der EU keinen Platz hat. Da können sich Herr Erdogan und seine AKP noch so sehr anstrengen, mit der populistischen Formel des vermeintlichen "Christenclubs" vom eigentlichen Thema abzulenken. Das wird nicht gelingen!

  6. Lieber Karl – ich bin ganz Deiner Ansicht! Lediglich was das letzte Sätzlein betrifft, bin ich mir, ob mancherlei gegenwärtiger Tendenzen, manchmal leider nicht ganz sicher.

  7. da wählt und bestätigt die türkei endlich einmal einen europafreundlichen premier und als "dank" bekommen sie von den europäern nichts als ablehnung. logisch, dass die sich langsam aber sicher nach anderen seiten umsehen.
    und die aussage mit dem christenclub stimmt doch. was ist die eu sonst? überall kruzifixe in den schulräumen, konkordate und politiker, die ihre ämter mit "sowahr mir gott helfe" antreten und kirchen an jedem ort. säkularismus sieht für mich anders aus. 
    türkei in die eu aufnehmen und dann sowohl auf der christlichen als auch auf der islamischen seite säkularisieren. die türkei noch länger aus europa rauszuhalten bringt nichts, schadet europa sogar längerfristig – dann sind sie irgendwann mit einer radikalisierten türkei konfrontiert, welche dann mit anderen ländern im schlepptau – (iran!) – uns ihre sicht der dinge diktieren könnte.aber das müssen die heutigen anti-türkei vertreter wie sarkozy, merkel und co. dann nicht mehr verantworten.
    http://www.kettcards.de/img/kubeha001.jpg
    http://www.koufogiorgos.de/images/Tuerkei.jpg

  8. Nun denn gehe auch ich konform mit den Argumentationslinien der Kollegen Busch wie Heiden, sehe gleichviel keine in den Posts Herrn Aktunas. Dennoch sei von meiner Seite angemerkt, das der Blog-Eintrag des Professoren Mangotts "feinliche übernahme" nicht den üblichen gleicht. Den Titel interpretiere ich als "über das Ziel hinausgeschossen", die Interpretation der Passage über "neuen Beginn" wie "neuen Frieden" scheint mir mehr subjektiver Natur zu sein, gleichsam provozierend wie des eigenen Vortrags dienlich und in diesem Sinne nicht "besser" als der Auftritt Herrn Erdogans gen Ludwigshafen.   

  9. @ Karl Heiden: Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass für übersteigerte Nationalismen in einem durch die EU definiertem Europa wenig Platz ist. Doch glaube ich nicht, dass dies ein speziell türkisches Phänomen ist, wenn man sich die Rhetorik verschiedenster Politiker (besonders zu Wahlkampfzeiten) der EU-Länder genauer betrachtet. Die Europäische Integration wird oftmals als willkommener, weil in der Bevölkerung oft nicht greifbarer, Sündenbock für verfehlte nationale Politik herangezogen. Betreffend der Türkei möchte ich noch anmerken, dass es auch nicht verwundert, wenn nationale Politiker der Türkei die ablehnende, zu Recht oder zu Unrecht sei zunächst dahingestellt, Verzögerungstaktik betreffend eines vermeintlichen EU-Beitritts der  Türkei in naher oder ferner Zukunft für Ihre eigene Reputation beim Wählerpotential nutzen. Die Aussicht auf eine privilegierte Partnerschaft reicht der Trükei nicht, was ja an und für sich eine bemerkenswerte Entwicklung ist – die Türkei will von offizieller Seite ein Bestandteil der Europäischen Integration sein, wie es ihnen auch versprochen worden war. Natürlich müssen sich noch einige Dinge in der Türkei ändern, genauso wie Reformen in der EU selbst unabdingbar sind, um eine horizontale Erweiterung der Mitgliedstaaten effektiv zu gewähleisten, aber die stark verankerte Ablehnung einer vollwertig europäischen Türkei stärkt die anti-europäischen und anti-säkularen Kräfte in der Türkei.

  10. Die EU/USA/WESTEN braucht die Türkei, nicht umgekehrt!
     
    Damit wir uns nicht falsch verstehen, ich bin auch sehr stark gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei aber aus anderen Gründen.
     
    Die Türkei liegt inmitten des Konfliktdreiecks
    Südosteuropa – Naher Osten – Kaukasus.
    Darüber hinaus spielt die Türkei eine entscheidende Rolle bei der Absicherung westlicher Energieinteressen in ihrer kaspischen Nachbarschaft. Für die europäische und die amerikanische Politik ist sie somit ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt par excellence. Die Umsetzung dieser Analyse in eine praktische außen- und sicherheitspolitische Strategie fällt der Europäischen Union äußerst schwer. Geopolitisch und geostrategisch fundierte Politik im Hinblick auf die Türkei wird in erster Linie von den Vereinigten Staaten betrieben, die eine Sonderbeziehung zur Türkei unterhalten. Die primär normen- und wertegeleitete Politik der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaten vernachlässigt entscheidende, aus der geopolitischen Bedeutung der Türkei resultierende Faktoren. Eine verbesserte Wahrnehmung der geopolitischen Bedeutung der Türkei könnte zu einer pragmatischeren, zielgerichteten Interessenformulierung durch die EU beitragen und möglicherweise auch der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu einer langfristigen Perspektive verhelfen. Die EU sollte eine umfassende Türkeistrategie entwickeln, die auch die strategische Aufwertung des Landes nach den Anschlägen vom 11.9.2001 mitberücksichtigt.
    Und vor dem Hintergrund der Terror-Anschläge des 11. September 2001 kommt der Türkei als säkularem Staat mit vorwiegend muslimischer Bevölkerung immer mehr auch die Rolle eines demokratischen Modells als „counterweight to fundamental islam“ zu. Obwohl die Stärkung der Menschenrechte ebenfalls als Anliegen der amerikanischen Politik bezeichnet wird treten bei dieser Betrachtungsweise die innenpolitischen Aspekte der Beziehungen in den Hintergrund..
    Die Sicherheitsfrage steht in der türkischen Politik ganz obenan, und sie wird seit über 40 Jahren mit der NATO-Mitgliedschaft beantwortet. Eine zunehmende Entfremdung von Europa könnte zum NATO-Austritt führen mit der Folge, daß sich die Türkei ihre Sicherheit allein oder mit neuen Partnern verschaffen müßte. Auf sich allein gestellt würde die Türkei eines der folgenden Szenarien anstreben müssen:
     
    • Regionalmacht mit allseitiger Brückenfunktion;
    • Integration des Wirtschaftsraums um das Schwarze Meer;
    • Union der Turkvölker; (hoffentlich)
    • Union der islamischen Nachbarstaaten; (hoffentlich nicht)
    • Tigerklub mit Fernasien;
    • außereuropäische Bündnismacht der USA
     
    Wir sind heute schon eine Regionalmacht mit allseitiger Brückenfunktion und werden das in Zukunft auch stark ausnutzen. Wenn die EU eines Tages auch militärisch ein „global player“ sein möchte braucht sie uns, denn mit Geld kann wirklich keine Konflikte lösen!

  11. Wenn Herr Orkun Aktuna hier von "Zensur" fabuliert, scheint er die geografischen Örtlichkeiten ein wenig durcheinander zu bringen. Vielleicht hat er mit diesem Zustand aus seiner Heimat her Erfahrung, in Österreich findet sie jedenfalls nicht statt. Nur sollte er, wenn er sich an einem Blog mit Kommentaren beteiligt, zumindest auch das vorgegebene Thema beachten. Bei einer Seminararbeit hieße es mit seinem obigen Beitrag glatt "Thema verfehlt", denn von "Geopolitik" ist in dieser Rubrik überhaupt nicht die Rede.

  12. @Mr. Busch So lange in der EU bei der Aufnahme neuer Mitglieder ein Einstimmigkeit herrschen muss habe ich starke Zweifel, dass die Türkei EU Mitglied wird. Wenn nicht sowieso Frankreich oder Deutschland auf die Barrikaden steigen, dann könnte ich mir doch vorstellen, dass es an Österreich scheitert.

  13. @gls: Ich stimme darin natürlich überein … Meine Anmerkung bezog sich aber darauf, ob es Herrn Erdogan nicht doch teilweise gelingen könnte, via Vorwurf "EU=Christenclub" von Un-Praktiken des türkischen Staates abzulenken.

  14. ein Zensur bleibt ein Zensur, auch wenn ich Thema abfällt habe. Mangotts Blogs sind gut. Aber ich bekomme Maulsperre. Wieso, weiß nur Allah!

  15. Ich kann dem Post viel abgewinnen und habe ausführlicher nachgelesen, was in Sivas passierte. Wenn religiöser Fanatismus so weit geht, dass auch Mord ein Mittel ist, um gottgefällig zu handeln, frage ich mich nach dem Nutzen eines solchen Glaubens.
    Der Katholizismus hat auch seine blutigen Tage gezählt und das Vergehen an unschuldigen Kindern von Seiten sogenannter Diener Gottes hat viele dazu bewogen, die Kirche zu verlassen. Mich haben weit banalere Gründe noch vor Bekanntwerden der Missbrauchsfälle dazu bewogen, mein Bekenntnis abzulegen: Die bloße Benachteiligung, um nicht zu sagen Diskriminierung, der Frau und die Dämonisierung der Sexualität, was sich offenbar wechselseitig bedingt, Homosexualtität wird generell wenig geschätzt, ein weiterer Grund von dieser Heiligen Kirche zu gehen. Auch ist es ein Verbrechen gewesen, Kondome zu verbieten, was viele Menschen an AIDS erkranken ließ und jetzt sind diese zumindest Prostituierten erlaubt. Interessante Substanz, die den Papst zu solch einer Aussage brachte.

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