… scheintot, aber eben nur scheinbar tot…

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Die Pläne eines Konsortiums unter der Leitung von OMV, eine Gasleitung zum Transport kaspischen (und russländischen) Erdgases nach Zentraleuropa – mit dem terminal point Baumgarten – zu errichten ist in einer schwierigen, aber keineswegs aussichtslosen Lage.

Das zentrale Problem ist das Volumen von einspeisbarem Gas. Die finanzielle Rentabilität erfordert ein Durchsatzvolumen von 30-31 Mrd. cbm Erdgas. Der derzeitige alleinige gesicherte Lieferant von Erdgas an das Nabucco-Konsortium ist Azerbajdzan; dessen derzeit und auf absehbare Zeit verfügbares Exportvolumen von Erdgas liegt aber nur bei 10-12 Mrd. bcm. Das reicht zwar für eine start-up phase, aber nicht für den mittel- bis langfristigen wirtschaftlichen Betrieb des projektierten Endausbaus der Pipeline. Allerdings ist zu betonen, dass das mögliche mittelfristige Exportvolumen von azerbajdzanischem Erdgas schwer zu bestimmen ist. Reserven, Nutzungsgeschwindigkeit und Exportkapazität für dessen (mögliche) off-shore Gasfelder ist nicht eindeutig kalkulierbar.

Daraus ergibt sich die entscheidende Frage nach möglichen zusätzlichen Gaslieferanten. Alternative grundsätzliche Lieferanten sind natürlich Russland und Iran. Wenn Nabucco (v.a. von der Europäischen Kommission aber nicht nur) aber als alternative Versorgungsroute der EU mit (vorrangig) nicht russländischem Gas verstanden werden soll, scheidet Russland – aus meiner Sicht völlig unnotwendig – als Teillieferant aus. Der Druck – allen voran der USA – auf das Konsortium und dabei insbesondere auf die OMV, auf den vertraglichen Zugriff auf iranisches Gas zu verzichten, ist enorm. Der Druck ist rechtlich nicht haltbar und dem sollte trotz der derzeitigen Differenzen über das iranische Nuklearprogramm in keiner Weise auch politisch nachgegeben werden.

Weitere Anbieter sind natürlich Kazachstan und besonders Turkmenistan. Die Gasreserven Turkmenistans wiederum sind nicht von unabhängigen Stellen beziffert worden. Zudem hat Turkmenistan langfristige Lieferverträge mit Russland abgeschlossen, die nahezu vollständig das derzeitige Produktionsvolumen Turkmenistans absaugen. Überdies hat Turkmenistan auch mit der VR China Lieferverträge abgeschlossen; eine Transportpipeline dafür wird derzeit gebaut. Allerdings kann von einer – vor allem durch westliches Kapital und Expertise unterstützte – Steigerung des Fördervolumens ausgegangen werden.

Anteile dessen könnten für die Einspeisung in die Nabucco-Pipeline genutzt werden. Die unabdingbare Voraussetzung dafür ist aber der Bau einer transkaspischen Pipeline, die turkmenische Gasfelder mit Baku verbindet, um turkmenisches Erdgas in die die bereits bestehende Pipeline Baku-Erzurum eingespeist zu werden. Ein derartiges Projekt ist auf absehbare Zeit aufgrund des ungeklärten völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meeres, Obstruktion durch Russland und Iran und politisch motivierter Zurückhaltung Turkmenistans eher unwahrscheinlich.

Daraus ergeben sich derzeit erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit des Nabucco-Projektes jenseits einer start-up Phase. Daraus kann die Bezeichnung des Projektes als in einem grundsätzlich scheintoten Zustand abgeleitet werden. Scheintot meint vermeintlich tot; aber eben nicht tot. Die Wiederbelebung scheint aber möglich, wenn Nabucco im Rahmen der EU nicht mehr als politisches, sondern ausschließlich als wirtschaftliches Projekt verstanden wird.

Ein derart ernergiewirtschaftlicher Ansatz legt auch die Wirtschaftszusammenarbeit mit Iran nahe. Investitionen in die iranische Gasindustrie sollten nicht der VR China überlassen werden.

Foto: RWE-Dea AG

 

By the way, my main points have been included in an article on Kommersant, November 3rd, 2007.

5 thoughts on “… scheintot, aber eben nur scheinbar tot…”

  1. Nun kenne ich freilich Ihre neorealistische Perspektive, und teile sie prinzipiell auch. Allerdings fällt es mir doch sehr schwer, Empfehlungen innerhalb der internationalen Politik unter Aussparung aller (selbstverständlich: aufgeklärten) Moral auszusprechen :-)Wieso manche Kreise innerhalb der EU allerdings aus politisch-moralischen Gründen die Russländische Föderation als Energiepartner verwerfen wollen, ist mir schleierhaft. Es wäre ratsam anzuerkennen, dass die Ökonomie des Westens auf mittlere Sicht auf Erdöl / Erdgas angewiesen ist, und dass eine Versorgungssicherheit bzgl. dieser traditionellen Energieträger deshalb unerlässlich für westlichen Wohlstand und in weiterer Folge wohl auch für westliche liberale Demokratie ist.Weiters gilt es anzuerkennen, dass es unter den bedeutenden erdöl/-gasproduzierenden Staaten keine Demokratie (im rechtsstaatlichen Sinne) gibt. Nüchtern betrachtet (und sieht man eventuell von dem für den europäischen Kontinent ohnedies unbrauchbaren Venezuela ab) scheint die Russländische Föderation (mit und ohne Putin) demokratischen Standards eindeutig am nähesten zu kommen. Wenn man bedenkt, dass es bei der strategischen Energiepartnerschaft zwischen der EU und der Russländischen Föderation um die Wahrung materieller Interessen und nicht um einen Beitritt in die europäische Wertegemeinschaft geht, halte ich eine sogar vertiefte Kooperation für jedenfalls wünschenswert. Zumal die angedachte Alternative Iran – gerade aus politisch-moralischen Überlegungen – ja nun wirklich keine sehr attraktive ist; aus moralischen Motiven Iran gegenüber Russland für eine strategische Energiepartnerschaft zu präferieren ist meines Erachtens schlechterdings absurd. Das hieße ja im Namen der Moral einen autoritären Gottesstaat einem reaktionären Polizeistaat vorzuziehen; oder einen außenpolitisch aggressiven, sich in vehementem Staatsterrorismus übenden (Schurken-)Staat über eine selbstbewusste, aber nicht aggressive (regionale) Großmacht zu stellen. Wirklich reflektiert scheint mir eine derartige Moral jedenfalls nicht zu sein.Anmerkung: Inwiefern Iran als Energielieferant der Russländischen Föderation aus strategischen Gesichtspunkten vorgezogen werden könnte, weiß ich leider nicht, weshalb ich mich auf die von Teilen der EU häufig bemühte "moralische Seite des Russland-Geschäftes" konzentrierte.

  2. Staaten wie Wirtschaftskonzerne haben zunächst Interessen – machtpolitische, wirtschaftliche, finanzielle und geostrategische. Die gesicherte Energieversorgung – und darunter ist nicht nur die Versorgung mit einem vereinbarten Volumen an Energieträgern, sondern auch zu einem vertretbaren Preis im Rahmen technisch sicherer Leitungsnetze – ist ein zentrales staatliches, soziales und volkswirtschaftliches Interesse.

    Die Verknüfung dieser Interessen mit moralischen Imperativen ist soweit gerechtfertigt, als dies Kerninteressen nicht beschädigt. Hinsichtlich des Energieträgers Gas erachte ich es daher für erforderlich, es anzukaufen, wo es Anbieter gibt – das sind Russland und Iran ebenso, wie Algerien, Libyen und Nigeria. 

  3. Die historische Erfahrung lehrt, dass Russland (damals die Sowjetunion) auch in Zeiten des "Kalten Krieges" stets ein verlässlicher Lieferant von Gas an Österreich (damals ÖMV) gewesen ist, denn es wurden die daraus lukrierten Deviseneinnahmen benötigt. Demnach wurden schon dazumal die wirtschaftlichen über die politischen Aspekte gestellt, was insofern erleichtert wurde, als auch die seitens Österreichs praktizierte Neutralitätspolitik über jeden Zweifel erhaben und für die Sowjetunion berechenbar war. Seither sind die Perspektiven für Österreich einigermaßen in Schieflage geraten, wozu nicht zuletzt sein Beitritt zur EU und die daraus resultierende Diskussion über den nunmehr relevanten  Neutralitätsbegriff beigetragen hat. Dass in diese Diskussion vermehrt moralische Kategorien einfließen, verwundert in dem  Zusammenhang mangels eindeutiger politischer Festlegungen der "staatstragenden" Akteure/Akteurinnen kaum mehr. 

  4. Die Energiedebatte wird derzeit nahezu ausschließlich als Versorgungssicherheit diskutiert. Russland definiert für sich aber nicht zu Unrecht auch eine Absatzsicherheit, d.h. langfristige Verträge mit europäischen Konsumenten, um die hohen Pipelinekosten zu amortisieren. Vorschläge der Europäischen Kommission, von den langfristigen Lieferverträgen abzugehen, ist kaum im russländischen Interesse. Allerdings auch nicht im Interesse der EU: Die Abschaffung der langfristigen Lieferverträge unterstützt die Bildung eines Gaskartells.

  5. Die Nabucco Pipeline wird kaum die aktuelle abhängigkeit von Russlands Gaslieferungen mildern können, sondern allenfalls zur versorgungssicherheit für den erwarteten mehrverbrauch innerhalb der EU von etwa 100mio m³ für die nächsten 10 jahre beitragen koennen. Aber auch hier kann das Pipelineprojekt lediglich marginales leisten:Wenn bei steigender russischer binnennachfrage der gaspreis auch im binnenland internationales niveau erreicht (2004: 1000m³ für die EU: 139$. Für den russischen inlandsmarkt lediglich: 24$.), so wird der export nach europa weniger attraktiv. Ein seitenblick auf den rasant steigenden wohlstand russlands (Durchschnittslohn ende 90er: 100$/monat, 2007: 500$) mag erahnen lassen, dass gasnachfrage und -preis diesem auwärtstrend folgen werden. Es ist somit keineswegs geklärt, ob russland mengenmässig in der lage sein wird, den prognostizierten europäischen mehrbedarf (200…250mrd m³ bis 2030) zu decken. Zumal an der Ostflanke des landes weitere staaten  beharrlich an russlands energietüre gazprom anklopfen. Nabucco (möglicherweise eine moderne berlin-bagdhad bahn?) würde demnach lediglich etwa 13% des prognost. europäischen mehrverbrauchs bis 2030 bedienen können.Dies deutet m.E. darauf hin, dass diesem -sicher wichtigen und rechtzeitig in die wege geleitetem projekt- derzeit von diversen interessensgruppen mehr politische brisanz attribuiert wird, als die pipeline jeh selbst zu bewegen in der lage sein wird:Vielmehr sollte die relative bescheidenheit dieser pipeline bzgl. der sicherung des europäischen gesamtverbrauch, gepaart mit der sie verbindenden politischen brisanz und der generationendimension des projekts einen alarmierenden fokus auf die desaströse langfristige energiesicherung der EU leiten….

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