Die polnische Schande

kaczynski_nowy_400_krynicki_prezyde.jpgBeinahe wäre der Reformvertrag der Europäischen Union am Starrsinn, nationalistischer Verirrung und Verblendung der polnischen Verhandler gescheitert. Den Vertrag zu verwässern aber, hat dieses Irresein allemal ausgereicht; der Reformvertrag, wenn er denn überhaupt angenommen werden wird, hat verzerrte Stimmgewichte beibehalten; mindestens ein Jahrzehnt noch wird Polen ein völlig unangemessenes Stimmgewicht erhalten bleiben.

Die polnische Regierung ist der Schandfleck der Europäischen Union. Deren Vertreter stehen längst ausserhalb der aufklärerisch-humanistischen Wertegemeinschaft. Diese Regierung hätte Ächtung, Ausgrenzung und Isolierung verdient, nicht aber einen Kniefall vor der erpresserischen Selbstgerechtigkeit der nationalistischen Brüder.

Die polnische Regierung ist eine katholisch-nationalistische Hetzgemeinschaft. Als Bürger der Union graut mir vor diesen Vertretern frömmlerischer Verbohrtheit. Eine Regierung, die darüber diskutiert, Kafka und Schiller aus den Schulbüchern zu verbannen, hat in Europa nichts verloren. Eine Regierung, die Lehrer entlässt, weil sie Aufklärungsbroschüren des Europarates an den Schulen verteilen, ist gänzlich unannehmbar. Eine Regierung, der mit der ‚Liga der Polnischen Familien’ eine Bande angehört, deren Jugendorganisation ungehindert und unbestraft ‚Schwule ins Gas’ auf Warschauer Straßen grölen darf, beschmutzt europäische Werte. Eine Regierung, die ein Urteil zugunsten einer Frau anfechten will, die in Polen nicht abtreiben konnte, obwohl sie durch die Schwangerschaft beinahe völlig das Augenlicht verloren hat, darf in der EU an keinem Verhandlungstisch mehr auftauchen.

Die polnische Gesellschaft wird diese Flut katholischer Selbstherrlichkeit überstehen; sie stemmt sich ihr entgegen. Wie lange aber müssen wir warten, bis diese Regierung aus ihren Ämtern gejagt wird?

Solange wie es dauern wird, muss die polnische Regierung am Pranger stehen, aber nicht am Gesprächstisch europäischer Politik.

Cartoon by: Artur Krynicki
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18 thoughts on “Die polnische Schande”

  1. Lieber Gerhard! Du hast völlig Recht und traust Dich auszusprechen, was auch ich als skandalös empfinde. Aber es sind sicherlich auch die US-backings unter Bush, die Polen (d.h. die jetzige Regierung) zu diesem Spaltpilz in der EU gemacht haben. Ich war von Anfang an gehen eine vorschnelle EU-Osterweiterung, genau mit dieser Prognose. Gruß Georg

  2. lieber georg!

    die v.a. bilaterale achse der polnischen regierung zur usa, die sich ja auch darin ausdrückt, dass die md-kooperation zwischen polen und der usa die bündnissolidarität innerhalb der nato untergräbt, ist sicherlich ein wichtiger faktor für die rolle polens innerhalb der eu. es ist aber schwer zu sagen, ob die usa die polen dazu treiben oder die polen in vorauseilendem gehorsam in der erwartung von gegenleistungen diese rolle übernehmen. vermutlich sind beide faktoren am werk.

  3. ‘Das liberale Europa’ scheint in zunehmendem Ausmaß von einer bitterbösen Krankheit befallen zu werden; so verschieden deren Ausformung im konkreten Fall auch sein mag, ihre Gemeinsamkeit ist eine vollkommen falsch verstandene ‘Toleranz und Offenheit’ wie ein bessessenes Festhalten am ‘Dialog’. Freilich, Toleranz, Offenheit und Dialog statt Herrschertum, Exklusion und Gewalt bilden das Fundament einer liberalen Demokratie, doch ist in keinster Weise nachvollziehbar, wieso eindeutig anti-liberale und anti-demokratische Aktivitäten geduldet werden sollen. Pluralismus und der daraus erwachsende Wettbewerb sind immens wertvolle Güter – aber nur solange, wie Menschenrechte und der demokratische Prozess an sich unverletzt bleiben! Dies zu verkennen, ist nicht nur naiv, sondern auch gefährlich, weil dadurch der (heterogenen) Opposition einer aufklärerisch-humanistischen Wertegemeinschaft unnötig Raum gegeben wird. So entsetzt mich im Kontext dieser unerträglichen Pseudotoleranz nicht nur die Dialogbereitschaft der EU mit einer "katholisch-nationalistischen Hetzgemeinschaft", sondern beispielsweise auch die geduldete Teilnahme an Wahlen einer zutiefst menschenverachtenden NPD, ein absurdes Gerichtsurteil aus Frankfurt oder eine befremdlich anmutende ‘Solidarisierung’ im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit …

  4. die wehrhaftigkeit einer wertegemeinschaft ist das, was sie konstituiert und sie ausmacht; verliert sie diese, stellt sie sich selbst in frage. die humanistisch-aufklärerische gemeinschaft in europa scheint diese wehrhaftigkeit zu verlieren – weil sie selbst nicht daran glaubt, oder aber, weil die bevölkerungen diesen werten gleichgültig gegenüberstehen. verräterischer im wortsinne, als verrat an zentralen werten, aber ist die kungelei vieler intellektueller mit religiösen hetzerideologien, die auszugrenzen ein unverzichtbarer teil der aufklärerischen gemeinde sein müsste.

  5. Ich stimme obigen Ausführungen über religiöse Hetzerideologien vollends zu – eine Ausgrenzung im Namen aufgeklärter Werte wäre unabdingbar!!! Allerdings fällt bedauerlicherweise auf, dass wenn es einmal gelingen sollte, europäische Bevökerungen aus ihrer unerträglichen Gleichgültigkeit zu rütteln, dann, indem mensch auf genau dieser Ausgrenzung beharrt – nur, dass die Parteinahme (für diese unsägliche ‘Religionsfreiheit’?!) dann mehrheitlich eine völlig falsche ist.

  6. Das gilt dann allerdings auch gegenüber der Bedrohung durch den kämpferischen Islamismus der iranischen "Gottesstaatler" und ihren Ablegern in der Hamas und der Hizbollah. Demnach ist das westlich-demokratische Israel in "intoleranter Weise" gegen seine islamistischen Feinde, die es "auslöschen" möchten, zu unterstützen. Oder etwa nicht?

  7. Israel und Iran – das sind staatliche Rivalitäten mit assymetrischen Fähigkeiten. Die Debatte hier dreht sich um die Wehrhaftigkeit von Werten und Normen gegen ihre Feinde.

  8. Im Iran werden Homosexuelle von den Mullahs verfolgt, während im westlich-demokratischen Israel jede(r) nach seiner (ihrer) Fasson "selig" werden kann ("pursuit of happiness" nach amerikanischer Lesart …). Ich meine also doch auch "Werte"! Mit freundlichen Grüßen.

  9. … das wieder haben Iran und Polen gemeinsam – eine exzessive Homophobie, wie sie Islam und Katholizismus eigen ist. Den Judaismus nicht zu vergessen. Werte jenseits der Religionen zu entdecken, ist viel ehrlicher.

  10. In der Tat sind gar einige Positionen und Handlungen der polnischen Regierung irrsinnig, manche noch dazu verachtungswürdig. Allein, der Erfolg kann den “Brothers Grimm” dennoch nicht abgesprochen werden: Polens Stimme wird für mindestens 10 Jahre lauter in der EU zu vernehmen sein, als es eigentlich angebracht wäre. Innenpolitisch klopft man dem Brüderduo anerkennend auf die Schultern – und das so ziemlich aus allen politischen Ecken. Und wird man sich in Europa in ein paar Jahren noch daran erinnern, mit welchem Starrsinn das vorteilhaftere Stimmenverhältnis erstritten wurde? Wird da nicht die heutige Kritik einer stillen Bewunderung für das polnische “Verhandlungsgeschick” weichen, ganz so wie manche Länder etwa heute neidisch auf die Privilegien Dänemarks schielen? Offensichtlich gewinnen in der EU jene, die sich am meisten sträuben. Vernünftig müssen die Einwände dabei anscheinend nicht sein – nur überzeugt vorgetragen. Um Wurzel, pardon, Leben oder Tod, muss es gehen – mindstens.
    Mfg

  11. Der Stil der Erpressung höhlt das Projekt der Europäischen Union aus: sowie Nizza ein unwürdiger Schacher war, bei dem sich Frankreich unangenehm hervorgetan hat, so ist das Vereinigte Königreich ein schon permanenter Störfaktor und Polen seit Brüssel nunmehr auch. Der nationalistische Verhandlungsschacher ist Ausdruck der Unkenntis oder der Missachtung des Grundgedankens der europäischen Integration und Ausdruck dafür, dass Polen nicht reif für die EU ist. 1973 und 2004 könnten in vielerlei Hinsicht törrichte Erweiterungsjahre gewesen sein.

  12. Prof. Mangott hat völlig recht: Mit einem Rückgriff auf die Gespenster der Vergangenheit kann kein Neues Europa geschaffen werden, vor allem nicht für eine junge unbelastete Generation. Für das unappetitliche  Aufrechnen von Weltkriegstoten zu Gunsten einer besseren Stimmgewichtung gibt es überhaupt kein Verständnis. Die katholischen "Moralisten" in Polen werfen getötete Menschen in die Waagschale zwecks Erlangung von mehr Agrarförderung in den kommenden Jahren. Das richtet sich von selbst!

  13. Die "katholischen  Moralisten" existieren nie mehr so stark im Polen, wie vor 1989. (ich bin regelmäßiger Kirchgänger, aber ich bin immer kritisch gegen die Kirche) Natütlich es ist schwer für mich, um objektiv zu bleiben. Gott sei dank, bin ich kritisch! Aber ich finde als die großte Bedrohung der Europäischen Integration in Polen nicht nur Liga der Polnischen Familien, sondern auch keine engere zusammenarbeit und verständnis zwischen Deutschen und Polnischen. So lange dieser "Brücke" nicht entsteht so lange Polen kann skeptische gegenüber die EU sein. Diese "Deutschfeindlichkeit" nach der über 60. Jahren ist immer hoch. Nach der letzten Umfragen, ca. 80% der Polnischer ist zur EU positiv eingestellt. Also einziger Grund zur Missverständnisse bauen aus der meiner Sicht keine Wiedergutmachungsvorschläge und auch Nördliche Gasleitung zw. Deutschland und Russland, die ist durch manchen als gegen Polnisches Akt der Politik gesehen, wo Deutschen immer zuerst über ihre nationalen Interessen denken und esrt über die gesamten EU. Ich denke, dass Stimmregel die durch Jarek und Leszek vorgeschlägt wurde ist nicht schlecht (s. witka.net) – aber Großer Fehler liegt darin, dass sie sollten zuerst eine Koalition zwischen der europäischen Ländern bauen (finden) anstatt allein Kämpfen gegen die "Deutschen und ihre EU" – populismus ?? (nächste Wahlen im Sept. 2009)Nach der Vergleich der Stimmengewicht in "neue" Regeln, muss man feststellen das die Idee war gut. Aber Fehler ist, dass beide Brüder sich Isolieren von EU politik, sie haben sich zu spät errinnert, dass Polen ist in der EU. Noch andere Sache ist, dass Entscheidungs -Zwillinge ist immer Jaroslaw, und das ist klar – aus diesem Grund, Präsident (Lech) sollte nicht in Berlin sein, sondern die "Erster Strateg der IV. Republik – Jaroslaw) Um es locker zu machen, ich einlade Ihnen zu unterscheiden zw. Lech (präsident) und Jaroslaw (premierminister) -> click  (bitte klicken sie auf START) Noch eine witzige graphik: Steifmutter Europas   

  14. Gar so witzig ist diese Karikatur gar nicht, sondern eher geschmacklos – wie so vieles, was in den letzten Tagen – und davor auch – aus Polen gekommen ist … Übrigens: Wenn Polen gar so unzufrieden mit den Abstimmungsmodalitäten in den EU-Gremien ist, kann es ja ab 2009 aus der EU wieder austreten. Das ist nun möglich. Aber das werden die Polen auch wieder nicht wollen, weil sie scharf auf unsere (europäischen) Steuergelder sind, von denen sie sich – solidarisch – aushalten lassen wollen.

  15. Guten Tag Herr Mangott. Ich stimme mit ihrer kritischen Ansicht über Polen volkommen überein. Ich selbst besuchte Polen (genauer Wadiwice) vor einem Jahr, bei einem Schüleraustausch. So erwartete ich doch v.a. in der Geburtstadt des ehemaligen Papstes, eine konservative, katholische Einstellung der Leute. Aber ganz im gegenteil, obwohl alle sehr Gläubig sind, ist vorallem sie Jugend sehr emanzipiert, tolerant und offen eingestellt gegenüber Europa und dessen Werten. Jugendlich stehen der Regierung sehr kritish gegenüber und sind in einer fast schon euphorischen Aufbruchsstimmung, in Richtung Westen. So sollte man sich in Acht nehmen, die Jugend Polens nicht über einen Kamm zu scheren. Sondern v.a. der Regierung den Vorwurf machen, solche liberalen Einstellungen nicht zu ünterstützen sonder einzudämmen. Das ist wirklich traurig, dass solch positive Tendenzen schon im Keim erstickt werden. Solche Handlungsweise hat nun wirklich nichts in der EU zu suchen. Mit freundlich Grüßen 

  16. @15 darf ich annehmen, dass du auch auf eu austritt österreichs (nettozahler!) plädiert hast, als die bilateralen maßnahmen in kraft traten? @topic kaczynski 1 und 2 würden doch nie so daherreden, wenn sich dadurch nicht mehrheiten ansprechen ließen, so traurig das auch ist, aber so alleine sind die damit gar nicht, schüssel/haider in österreich, berlusconi in italien, howard in australien, stoiber in bayern … alle wurden für ihre homophoben aussagen/politik teilw. mit absoluten mehrheiten "belohnt". im zweifelsfall bekommen doch immer die parteien rechts der mitte die stimme – ätzend. @karikatur ich sehe daran nichts schlimmes. die kunst sollte frei sein. @Prof. Mangott Sehr geehrter Herr Prof. Mangott!Bin zwar meist nur Leser, aber: Toller und interessanter Blog.

  17. Hätte ich für Austritt Österreichs plädiert, wäre das einer Solidarisierung mit Herrn Haider und Schüssel’s "nationalem Schulterschluss" gleichgekommen. Aber nichts ist grauslicher als ein "nationaler Schulterschluss"! Mit ähnlichen Methoden haben die Nazis in ihrer Propaganda auch operiert. Außerdem hat es dazumal die Möglichkeit eines Austrittes aus der EU noch nicht gegeben. Und schließlich: Kunst soll frei sein, aber über Geschmack läßt sich trefflich streiten.

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